Wann immer in den vergangenen anderthalb Wochen Politiker über die Landtagswahlen am Sonntag gesprochen haben, klang das so, als gehe es in Südwesten um die Zukunft der Atomenergie in Deutschland. Auf der einen Seite hörte man wahlpolitische Hoffnung heraus, auf der anderen ließ sich eher Besorgnis über die möglichen Auswirkungen vernehmen. Aber irgendwie machten doch alle mit: die einen mit ihrem auf den Wähler abzielenden „Moratorium“, die anderen mit Mahnwachen und Plakaten.
Landespolitische Fragen, die es in einer von Bundestrends dominierten Öffentlichkeit ohnehin eher schwer haben, standen seit der Reaktorkatastrophe von Fukushima mehr denn je im Schatten. Was sich im Erfolg der Grünen in Sachsen-Anhalt bereits andeutete, beflügelt vor allem die Hoffnungen auf einen Regierungswechsel in Stuttgart: Das Thema Atomkraft könnte die Entscheidung bei einer Wahl auf eine Weise beeinflussen wie lange nicht mehr.
"Schicksalswahlen", für wen?
In Baden-Württemberg glauben mehr als zwei Drittel der Befragten, dass die Zukunft der deutschen AKW den größten Einfluss auf den Ausgang der Abstimmung haben wird, in Rheinland-Pfalz sind es 58 Prozent. Nur: Welche Rolle spielen die Ergebnisse tatsächlich für das, was nach der Wahl passiert und für den Bestand der schwarz-gelben Laufzeitverlängerung?
Stefan Mappus musste in Stuttgart auch schon vor dem Erdbeben in Japan den Machtverlust fürchten. Kurt Becks Regierungssessel in Mainz ist durch den folgenden GAU nicht noch sicherer geworden. Ebenso wenig wäre eine Revision der im vergangenen Spätherbst von Union und FDP durchgesetzten Atomnovelle zu allererst Sache der Länder. Eine umwerfende Änderung der Mehrheiten im Bundesrat steht nicht an – selbst wenn Schwarz-Gelb in Baden-Württemberg abgelöst wird. Angela Merkels Koalition hat schon länger keine Mehrheit in der Länderkammer, das Oppositionslager könnte zwar weiter aufschließen – zur zahlenmäßigen Dominanz im Bundesrat würde es aber nicht einmal dann reichen, wenn zu den sechs baden-württembergischen Stimmen noch die drei aus Sachsen-Anhalt dazukommen, wo bisher ohnehin die Fortsetzung der „großen Koalition“ erwartet wird.
Die Rede von den „Schicksalswahlen“ trifft denn auch weniger auf die Kanzlerin als auf ihren Regierungspartner FDP zu. Guido Westerwelle muss sogar fürchten, dass sich in Stuttgart und Mainz wiederholt, was in Magdeburg bereits passierte: Die Liberalen flogen aus dem Landtag. In einem solchen Fall, heißt es in Berlin, könne der Außenminister, der sich schon im vergangenen Jahr einer kleinen Palastrevolte erwehren musste, kaum Chef der FDP bleiben. Die wählt im Mai ihren Vorstand neu – bis dahin dürften etwaige Niederlagen kaum vergessen sein.
Volksentscheid in Hessen
Diese könnte allerdings auch Merkel zu spüren bekommen. Die Fliehkräfte in der Koalition würden wieder stärker. Und das betrifft dann tatsächlich auch die Atomfrage: Schon das „Moratorium“ stieß bei der FDP auf Kritik, nochmals geschwächte Liberalen könnten zur Profilschärfung erst Recht auf die Beibehaltung des schwarz-gelben Ausstiegs vom Ausstieg pochen. Und die stets taktierende Merkel wird darauf wie immer mit Konzessionen reagieren.
Spannender könnte vor diesem Hintergrund anderes sein. Etwa, ob die Linke im Südwesten den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde schafft und damit endgültig die Strategie der SPD zu Fall bringt, die Partei aus den West-Landtagen herauszuhalten. Das würde die Frage nach alternativen Mehrheiten und Diskussionen beflügeln, die in den Schatten eines Fukushima-geprägten Wahlkampfs geraten ist.
Und dabei geht es nicht nur um Stuttgart 21. In Baden-Württemberg stehen ein längeres gemeinsames Lernen und die Abschaffung von Studiengebühren zur Wahl, die von SPD, Grünen und Linken gefordert werden. In Rheinland-Pfalz wird über wichtige Verkehrsprojekte entscheiden – ziehen die Grünen in die Regierung ein, wird es die SPD nicht mehr so leicht haben, zum Beispiel die vierspurige Brücke im Moseltal durchzusetzen. Und eine oppositionelle Linke würde SPD und Grünen an deren Wahlversprechen erinnern. Viele davon stehen allerdings unter dem Vorbehalt eines haushaltspolitischen Dauertons, der keine Alternativen mehr kennt, sondern nur noch Sparen. Die Folgen für landespolitische Spielräume lassen sich nicht in Merkel-Schicksal oder Farb-Spielen ermessen. So betrachtet hätte auch die Volksabstimmung, die am Sonntag in Hessen parallel zur Kommunalwahl stattfindet, etwas mehr bundespolitische Beachtung verdient gehabt: Dort wird über die Einführung einer Schuldenbremse in die Landesverfassung abgestimmt.
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