In anderer Weise

SPD Hannelore Kraft hat das Stammland der Sozialdemokraten zurückerobert. Doch ihre von manchem Superlativ begleitete Wahl ist kein Vorbote einer Wende für die ganze Partei

Kurz nach 13 Uhr war es soweit. Auch wenn niemand mit einem anderen Ergebnis gerechnet hatte – der Spannungsabfall bei SPD und Grünen war spürbar. Er war es in den Gesichtern, in dem für ein Parlament fast etwas deplatziert wirkenden Jubel, in den Tränen beim großen Gratulationsdefilee. Auch und gerade Hannelore Kraft sah man die Erleichterung an. Es sollte wie erwartet im zweiten Wahlgang die einfache Mehrheit reichen, 90 Voten für die SPD-Frau, keine Stimme mehr oder wenig als das rot-grüne Lager aufzubringen vermag. Während die 49-Jährige als Regierungschefin vereidigt wurde, musste sie bei der Formel, „meine ganze Kraft“ zum Wohle Nordrhein-Westfalen einzusetzen, sogar kurz lachen.

Der rot-grüne Start, der am Donnerstag mit der Ernennung der Kabinettsmitglieder komplettiert wird, war von einigen Superlativen begleitet. Kraft ist die erste Ministerpräsidentin an Rhein und Ruhr, sie amtiert erstmals im Verbund mit einer Stellvertreterin, weshalb bereits von der Möglichkeit eines neuen weiblichen Politikstils die Rede war. Die Sozialdemokratin steht außerdem der ersten Minderheitsregierung aus SPD und Grünen im Land vor, einem Kabinett, das nun „in anderer Weise“ nach Mehrheiten suchen wird. Kraft sah darin „eine Chance, und die Grünen-Fraktionschefin Sylvia Löhrmann zeigte sich sogar „beflügelt von der Idee“, damit etwas zur demokratischen Erneuerung der Republik beizutragen.

Abwarten. Noch in dieser Woche wird das rot-grüne Minderheitsprojekt erste Bewährungsproben zu bestehen haben. Ihr Antrag zur Abschaffung der Studiengebühren wird am Donnerstag zur Abstimmung stehen, die Gespräche mit der Linken laufen noch. Auch die „kleine Schulreform“ (Hannelore Kraft) wird erstmals im Landtag beraten. Jede Annäherung an die Linkspartei, jeder Kompromiss und jede ausgestreckte Hand werden von Union und FDP als Menetekel einer Linksregierung an die Wand gemalt werden. Die Bundesparteien haben am Mittwoch noch vor der Wahl mit einem gemeinsamen Auftritt der Generalsekretäre bereits einen Vorgeschmack geliefert. Da war von „Wortbruch“ die Rede, von der gefährlichen Linkspartei und was, so der warnende CDU-Mann Hermann Gröhe „dieses Bündnis für Nordrhein-Westfalen bedeutet“.

Gabriels Erfolgsmaßstab

Spannender ist die Frage, was dieses Bündnis, das keines ist, für die daran beteiligten Parteien, vor allem für die Linke und die SPD bedeutet. Auf der einen wird alsbald der Druck lasten, Gesetzen zuzustimmen, die ihr nicht ausreichend erscheinen – bei deren Ablehnung sie jedoch den Vorwurf fürchten muss, unpolitische Verweigerung im Parlament zu betreiben. Die andere wird sich fragen müssen, ob mehr Kompromissfähigkeit nach links nicht viel besser wäre als der sonst womöglich unabwendbare Gang in die Neuwahlen – der im dümmsten Fall (die gegenwärtigen Umfragen könnten sich rasch als Täuschung erweisen) zum selben Ergebnis führen könnte wie beim Urnengang im Mai.

Seinerzeit war SPD-Chef Sigmar Gabriel über den Erfolg an Rhein und Ruhr schier aus dem Häuschen geraten. Wer meint, die Wahl von Kraft zur Ministerpräsidentin gibt ihm nun abschließend Recht, der irrt. Weder ließ sich der Ausgang der Landtagswahl im Mai, bei der die Sozialdemokraten das schlechteste Ergebnis seit 50 Jahren einfuhren, als Signal sozialdemokratischer Wiederbelebung begreifen. Noch haben die gescheiterten Versuche der SPD, Mehrheitsregierungen entweder mit der Linken oder aber mit FDP beziehungsweise CDU zu bilden, irgendeine strategische Aussicht verbessert. Mag ja sein, dass die SPD in den jüngsten Umfragen auf Bundesebene der Union so dicht auf den Fersen ist wie seit Jahren nicht mehr. Aber im Wahljahr 2011 wird ihr das wenig nutzen.

Sechs Wahlen im kommenden Jahr

Nordrhein-Westfalen eingerechnet führen die Sozialdemokraten derzeit sechs Landesregierungen an. In Berlin und Brandenburg in einem rot-roten Bündnis, in Bremen in den Farben Rot-Grün, in Mecklenburg-Vorpommern in einer „großen Koalition“, die zahlenmäßig eher eine „mittlere“ ist und in Rheinland-Pfalz regiert Kurt Beck allein. Vier dieser Regierungen stehen 2011 zur Wahl und es ist keineswegs ausgemacht, dass die SPD überall als Sieger hervorgeht. In einer der beiden „großen Koalitionen“, in denen die Sozialdemokraten nur Juniorpartner sind, wird nächstes Jahr ebenfalls gewählt: In Sachsen-Anhalt muss sie erneut damit rechnen, hinter CDU und Linkspartei nur drittplatziert zu werden. Und in Baden-Württemberg stehen ihre Chancen auf Verdrängung des CDU-Ministerpräsidenten auch nicht gerade gut.

Hannelore Kraft hat zwar das Stammland der Sozialdemokraten zurückerobert. Sie hat damit eine offene Wunde geschlossen, die im Mai 2005 mit der Niederlage von Peer Steinbrück aufgerissen war und in deren Folge sich die bundespolitische Parteienbühne gravierend veränderte. Aber die Rückkehr auf den Düsseldorfer Regierungssessel ist bisher eher ein isoliertes Ergebnis geblieben. Es wird – anders als die Pleite von 2005 – nicht notwendigerweise auch bundespolitisch oder in andere Länder ausstrahlen.

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Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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