Selbstblockaden Alle reden über Dieter Althaus. Das wahre Thüringer Drama aber ist der Zustand des Landes - und eine Opposition, die einfach nicht zusammenfinden will
Thüringen, hat Rainald Grebe einmal gesungen, ist eines von den schwierigen Bundesländern. Eines, das kaum jemand kennt. Ein Land ohne Prominente. Das hat sich inzwischen ein wenig geändert. Was aber weniger an Thüringen und seinen Bewohnern selbst liegt, als an einer Öffentlichkeit, die Politik für das hält, was ein skifahrender Ministerpräsident macht. Oder eben nicht macht.
Kann ein Dieter Althaus noch regieren? Konnte er es vor dem Augenblick, um den nun alles wie gebannt kreist? Was heißt das überhaupt: regieren können? Ist der Zustand eines Einzelnen in der Politik überhaupt so wichtig? Haben die Leute nichts Besseres zu tun, als sich für eine Parallelwelt zu interessieren, in welcher der Blick eines CDU-Politikers immer
kers immer „ins Leere“ gehen muss; in der jeder ein Rehabilitationsexperte ist; in der ständig behauptet wird, ein Unfall dürfe selbstverständlich kein Wahlkampfthema sein – um dann doch darauf herumzureiten? Kaum ein Interview mit einem Thüringer Politiker, in dem nicht die Frage nach Schuld und Sühne gestellt wird. Ein Wahlkampf als Sittengericht, als moralphilosophisches Oberseminar. Dabei hat doch Rainald Grebe recht: „Und die Männer wollen im Stillen/ Nur raus in den Garten und grillen.“Am Holzkohlefeuer machen sich die Thüringer dann ihre Gedanken. Lutz Rathenow etwa, den Wikipedia einen Lyriker nennt und der es schafft, das eine Un-Thema mit dem anderen zu verbinden: Althaus’ Rückkehr und der böse Unrechtsstaat. Der Ossi, so muss man Rathenow verstehen, bringt aus dem Bewusstsein seiner Schuld an einem Leben in der DDR und seiner Dankbarkeit heraus, heute trotzdem bei Aldi einkaufen zu dürfen, „mehr Verständnis für eine zweite, dritte Chance auf“.Opel wichtiger als SchuldfrageDie wird freilich nicht jedem zuteil, jedenfalls nicht einem Westdeutschen wie dem linken Kandidaten Bodo Ramelow. Der muss sich seit seiner Weigerung, ein politisches Schlagwort wie „Unrechtsstaat“ im Munde zu führen, alle fünf Minuten für die Vergangenheit der SED entschuldigen. Eine CDU-Blockflöte aus Heiligenstadt hat es da besser. Eine zweite Chance bekam Althaus, als ihm vergeben wurde, noch am 9. November 1989 für eine Jugendweihe im Geiste der „marxistisch-leninistischen Weltanschauung“ plädiert zu haben. Eine dritte gibt es nun per demoskopischer Absolution: Mehr als die Hälfte der Thüringer findet es richtig, dass der Ministerpräsident nach seiner tödlichen Schussfahrt wieder kandidiert. Nur zehn Prozent antworteten das Naheliegende: Ist mir egal, ich habe andere Sorgen.Denn ganz sicher würden die Menschen im Freistaat über wichtigere Probleme reden, wenn man sie nur fragen würde. Über Opel zum Beispiel, denn die Zukunft des Autobauers ist auch im Freistaat ein Thema, nicht nur bei den knapp 2.000 Beschäftigten in Eisenach. Wird das Werk gerettet? Für wie lange? Das sind die wahren Sorgen in einem Land, das mit 12,7 Prozent zwar die niedrigste Erwerbslosenquote im Osten hat. In dem aber auch im Schnitt der geringste Lohn der neuen Länder gezahlt wird. Wo die Zahl der Jobs in den vergangenen Jahren immer weiter zurückgegangen ist, wo viele Menschen täglich nach „drüben“ fahren müssen, um sich zu verdingen. Wo sich täglich Dutzende junge Menschen aufmachen, um woanders ein bisschen Glück zu finden. Wo die Sparpolitik der Landesregierung zwar den Haushalt saniert hat, dafür aber fast 8.000 Jobs im Landesdienst strich und mit einem eine halbe Milliarde Euro dicken Rotstift durch den öffentlichen Sektor fuhr. Wo Erzieherstellen in den Kitas gestrichen wurden, damit eine Herdprämie für Vollzeitmütter bezahlt werden kann.Die Opposition im Erfurter Drei-Parteien-Parlament sagt: So soll es nicht weitergehen, die CDU-Regierung gehört abgelöst. Schaut man sich die Wahlforderungen von SPD und Linkspartei an, fällt schon in den Titeln auf, wo das praktische Problem liegt: Beide treten mit einem „Regierungsprogramm“ an, wollen den Ministerpräsidenten stellen. Die Linke bekommt – trotz jüngster Einbußen – in den Umfragen klar bessere Werte als die Sozialdemokraten. Doch die wollen ein Bündnis nur unter ihrer Führung. Eine Sackgasse von bundespolitischen Ausmaßen, eine Selbstblockade, die es anderswo in ähnlicher Form gibt und die verhindern könnte, dass etwas im politischen Sinne Vernünftiges getan wird: eine Koalition einzugehen, weil es inhaltlich die größten Schnittmengen gibt.Rot-rotes AbstandsgebotSagen tut das in Thüringen kaum noch ein Sozialdemokrat, seit der Spitzenkandidat Christoph Matschie vor einem Jahr seinen Widersacher Richard Dewes in einer Urwahl bezwang und damit das rot-rote Abstandsgebot zur zentralen Wahlaussagen der SPD machte. Kein Ministerpräsident der Linken – das ist das Mantra einer Partei, die bei der vergangenen Landtagswahl mit etwas über 14 Prozent abgeschlagen Dritter wurde, nun auf Regierung setzt, aber nicht mit dem damaligen Zweiten koalieren will, obwohl der programmatisch viel näher ist als der ausgerufene Hauptgegner. Die Linke macht ihrerseits daraus einen Wahlkampfschlager – den von der SPD, die im Abgrenzungswahn lieber die Union in Kauf nimmt, statt den Politikwechsel anzupacken, den sie selbst verspricht.Die CDU weiß dennoch um die rechnerische Stärke dieser rot-roten Option und wird sich nicht darauf verlassen, dass es eine FDP der Namenlosen mit einem Ergebnis in den Landtag schafft, das der Union den Machterhalt sichert. Sie weiß auch, dass es nach dem 30. August in Thüringen so schnell keine Festlegungen auf ein Regierungsbündnis geben wird. Einen Monat später ist Bundestagswahl und deren Ausgang soll nicht noch durch landespolitische Entscheidungen in Erfurt, Saarbrücken oder Potsdam beeinflusst werden.Und so wartet man ab, sich Möglichkeiten offenhaltend. Das Einschwenken der Thüringer Union auf die Forderung eines unter anderem von der SPD unterstützten Volksbegehrens für mehr direkte Demokratie mag dazu zählen. Die auffallende Wahlkampf-Zurückhaltung der CDU gegenüber Matschies Sozialdemokraten lässt sich aber auch als Reaktion auf deren Schwäche interpretieren. Die Wahl, sagt CDU-Fraktionschef Mike Mohring, werde zwischen Althaus und Ramelow ausgemacht. Die SPD zählt in Thüringen nicht mehr zur ersten Riege der Volksparteien.Als eine Art Zünglein an der Waage werden die Sozialdemokraten am Ende wohl dennoch über die Regierung entscheiden können. Wie viel dabei ein Matschie zu sagen hat und wie viel im Berliner Willy-Brandt-Haus vorgegeben wird, hängt von vielen Variablen ab. Prognosen sind schwierig. Ob er die Hoffnung habe, dass sich die SPD doch noch auf die Linke zubewegt, ist Bodo Ramelow unlängst gefragt worden. Er sei religionspolitischer Sprecher der Linksfraktion im Bundestag, antwortete der, und deshalb „zuständig für Hoffnung, Glaube und Wunder“. Gibt es noch welche?
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