Es wird später niemand behaupten können, man habe es nicht versucht. Im westthüringischen Eisenach zum Beispiel, wo sich am Samstag ein paar Dutzend Linke von der Basis trafen, um „sich näher kennenlernen und ein besseres Verständnis füreinander entwickeln“ zu können. „Come together“ heißt die Initiative bei der Partei, die im Sommer ihren vierten Geburtstag beging, die zurzeit aber nicht viel zu feiern hat. Persönliche Konflikte, ausbleibende Wahlerfolge, Flügelstreit – die Stimmung unter den Genossen ist dort, wo die Umfragewerte stehen: im Keller. Und das ist noch zurückhaltend formuliert.
„Von einer geschlossenen Partei sind wir himmelweit entfernt“, zürnte Linken-Chef Klaus Ernst am vergangenen Wochenende auf einem Parteitag im hessischen Wetzlar. Permanente Querelen, mediale Präsenz mit falschen Themen, zu viel Selbstbeschäftigung – seit Monaten nennen führende Linke dies als Ursachen für den politischen Verdruss. Meist ist es als Vorwurf gemeint, von der Landes- an die Bundesebene adressiert, von dem einen an den anderen Flügel. Parteichef Ernst, der „selbstverständlich“ auch eigene Fehler eingesteht, hat es jetzt in ein Bild aus der Werbebranche gebracht: Die Partei verhalte sich, „als würde die Firma Müller-Milch im Fernsehen auftreten und sagen: Unsere Milch ist sauer“.
Die Linke hat aber nicht nur ein PR-Problem. Briefe an Fidel Castro, Streit über die Bewertung des Mauerbaus und dergleichen wirken sich nicht förderlich auf Umfragen und Wahlergebnisse aus. Die Konflikte, die im parteiinternen Streit darüber zum Ausdruck kommen, liegen allerdings eine Ebene darunter: tief im Fleisch der fusionierten Linken, die bisher eher eine Sammlungsbewegung unterschiedlicher Traditionen, Konzepte und Organisationskulturen war. Nun stehen Entscheidungen an, rücken damit bisher aufgeschobene Klärungen näher – und damit auch die Frage, ob sich jene in der Linken durchsetzen, denen „Klarheit vor Einheit“ geht. Oder, um eine andere historische Reminiszenz zu bemühen, ob Linksfraktionschef Gregor Gysi erfolgreich ist, der den Pluralismus erhalten will und sich dafür in die Rolle des „Zentristen“ begeben hat – von denen Lenin einmal sagte, sie seien „lediglich eine Erscheinung des Übergangs von der hinter uns liegenden Periode“.
Erscheinung des Übergangs
Ist die Periode des Zusammenhalts antikapitalistischer und reformsozialistischer Positionen, von Gewerkschaftertum und kultureller Linker, von Oppositionsparadigma und Kooperationsorientierung, von Sozialstaatsbewahrung und Paternalismuskritik, von Ost und West unter einem Dach womöglich schon vorbei? Gysi hat vor ein paar Tagen erklärt, „viele in der Partei neigen dazu, sich für A oder für B zu entscheiden“. Er hingegen sei davon überzeugt, dass die Linke „an Wert einbüße, wenn sie ihren radikaler oder ihren reformistischer denkenden Teil verlöre.“
Allein dass der Linksfraktionschef diese Möglichkeit öffentlich zum Gegenstand der Diskussion macht, lässt die Bedeutung der anstehenden Entscheidungen erahnen: Ende Oktober soll auf einem Parteitag in Erfurt das neue Programm beschlossen werden. Ursprünglich hatte man die bisherigen „Eckpunkte“ schon viel früher durch ein ausführlicheres Grundsatzpapier ablösen wollen. Nun fällt die Abstimmung in eine Zeit, in der die auf Vorstandsebene gefundenen Kompromisse unter neuen Druck geraten: Im November soll die Fraktionsspitze neu gewählt werden, eine mögliche Kandidatur von Sahra Wagenknecht für den Co-Vorsitz neben Gysi wird von einem Teil der Linken zur Richtungsentscheidung stilisiert. Wie auch immer dieser Konflikt ausgeht – er wird Auswirkungen haben auf die ebenfalls schon schwelende Debatte über eine mögliche Nachfolge von Ernst und Lötzsch in der Parteiführung. Dabei hatte man sich in den vergangenen Wochen mehrfach gegenseitig versprochen, keine Personaldebatten zu führen, weil diese „nicht hilfreich“ wären. Worauf dann meist die nächste Runde im Spiel der Namen eingeläutet wurde.
Die jüngste Umdrehung hat wieder einmal mit Oskar Lafontaine zu tun, über dessen Rückkehr auf die bundespolitische Bühne schon im April orakelt worden war. Nun geht es um eine mögliche Spitzenkandidatur bei den nächsten Bundestagswahlen neben Gysi. Während in den ostdeutschen Ländern eher mit Zurückhaltung reagiert und auf die Notwendigkeit eines Generationswechsels und das Alter des Saarländers verwiesen wurde, ließ sich ein „Vertrauter“ Lafontaines mit dem Hinweis zitieren, dieser sei „fit wie ein Turnschuh“. Wagenknecht erklärte, sie „denke schon, dass so eine Konstellation von der übergroßen Mehrheit der Linken gewünscht würde“. Die Frage bewege sich zwar derzeit auf dem Niveau von Sandkastenspielen, aber selbstverständlich müsse man das „Personal so aufstellen, dass die Linke gestärkt und nicht geschwächt in den nächsten Bundestag kommt“.
Ein Zugpferd und der Acker, auf dem es läuft
Das ist, einerseits, dem üblichen massenmedialen Modus der politischen Kommunikation geschuldet, der sich für Konflikte mehr interessiert als für Inhalte und gern personalisiert. Das ist aber, andererseits, auch tatsächlich eine der grundlegenden Streitpunkte in der Linken, weshalb die Medien stets ausreichend Zitate-Futter aus der Linken bekommen: Mit welcher Strategie, mit welchen Forderungen kommt die Partei wieder in die Offensive – und wer vertritt diese am ehesten?
Über die Bedeutung, die Lafontaine für die früheren Wahlerfolge der Linken hatte, wird man nicht so leicht hinwegsehen können. Doch auch das beste Zugpferd läuft nur so gut, wie es der Acker zulässt.
Nach der Bundestagswahl 2009 hat sich die Linke bei fünf von acht Landtagswahlen prozentual nicht verbessert, bei keiner erreichte sie ihre zuvor gesteckten Ziele. Zwar wird der Linken nach wie vor die Kompetenz zugeschrieben, für soziale Gerechtigkeit zu stehen. Zugleich trauen aber nur wenige der Partei zu, die Probleme zu lösen, die sie „wenigstens beim Namen nennt“. Sie geriet zudem koalitionspolitisch in die Defensive – in Berlin wurde ein rot-rotes Bündnis abgewählt, anderswo kam eine Kooperation auf Wunsch der SPD nicht zustande. Im Westen wurden die Grenzen des Parteiaufbaus in zahllosen Kleinkonflikten und bei Kommunalwahlen sichtbar. Im Osten nehmen die Probleme einer überalterten Partei zu.
Keine wirksamen Antworten
Auf die seit Herbst 2009 veränderte bundespolitische Konstellation hat die Linke bisher keine wirksame Antwort gefunden. Sie hat die politische Agenda verändert, ihre Erfolgsthemen wurden dabei aber von der Konkurrenz absorbiert. Sie muss sich den Platz in der Opposition nun mit SPD und Grünen teilen. Themen, mit denen die Linke bis dato die anderen Parteien treiben konnte – Afghanistankrieg, Hartz IV, Mindestlohn –, werden heute nicht zuletzt von denen ganz anders diskutiert. Der „Begrünung“ des politischen Diskurses hat die Partei bisher ohne große Wirkung ihr Credo entgegengestellt, es müssten Energiewende und ökologischer Umbau auch als soziale Auseinandersetzungen begriffen werden. Auf Milieuveränderungen und politische Nachfrage abseits der etablierten Parteien, die sich im Aufkommen der „Wutbürger“ ebenso zeigen wie im Aufstieg der Piraten, reagierte die Linke zwar, aber offenbar zu spät.
Bisweilen macht sich über Flügelgrenzen hinweg Ratlosigkeit breit. Thüringens Fraktionschef Bodo Ramelow hat unlängst eine „Neuerfindung“ angemahnt. Dagegen pochen die „linken“ Strömungen gern darauf, jene Politik fortzusetzen, die sie für die Wahlerfolge der Periode 2005 bis 2009 verantwortlich machen – eine Konferenz, bei der am Samstag Wagenknecht und Lafontaine in Berlin auftreten, steht nicht umsonst unter dem Motto „Kurs halten“. Auf der Tagesordnung stehen dann auch Evergreens, die noch jede linke Programmdebatte dominierten – etwa die Frage von Regierungsbeteiligungen und der Auslandseinsätze der Bundeswehr.
Es ist der dabei angeschlagene Ton, der manche bereits an Untergangsmusik denken lässt: Änderungsanträge der Reformer werden gern mal als „Angriffe der Parteirechten“ bezeichnet, die Kritik des „linken“ Flügels als Neigung zum Hinterzimmer-Revoluzzertum. Und in Fraktionssitzungen fällt schon mal das Wort Arschloch. Beim „Come Together“ in Eisenach hätten die Strömungsvertreter erfahren können, was die Basis davon hält. Es sei doch auffällig, meinte dort eine Frau, „mit welch großen Keulen wir zuweilen auf unsere eigenen Mitstreiter einschlagen.“
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