Der Freitag: Noch vor ein paar Wochen war in deutschen Medien viel vom Kampf gegen Steueroasen die Rede. Man erinnert sich an die verbalen Kraftakte des Finanzministers. Inzwischen hat sich Franz Müntefering für die unglückliche Wortwahl seines Parteifreundes entschuldigt. Gibt es Gründe für die neue Freundlichkeit?
Gerhard Schick: Überhaupt nicht. In der Öffentlichkeit ist der Eindruck erweckt worden, Steueroasen gehe es jetzt richtig an den Kragen. Dazu haben auch die Polemiken von Peer Steinbrück und die Reaktionen der kritisierten Staaten geführt. Doch das Bild, das dabei entstand, ist völlig übertrieben. Das viel gelobte Instrument im Kampf gegen die Steueroasen, der OECD-Standard, ändert in Wirklichkeit kaum etwas.
Warum nich
D-Standard, ändert in Wirklichkeit kaum etwas. Warum nicht?Für das wichtigste Kontrollelement, das so genannte Auskunftsersuchen, müssten die deutschen Finanzbehörden schon vorher wissen, wer in welchem Land Steuern hinterzieht. Erst dann kann man eine Anfrage stellen. Das ist doch absurd. Wenn sich inzwischen Länder wie die Schweiz oder Liechtenstein bereit erklärt haben, den OECD-Standard künftig umzusetzen, dann ist damit noch kein Millimeter Fortschritt verbunden. Auf der Basis der geltenden Regelung gab es zum Beispiel zwischen der Steueroase Jersey und den USA binnen sieben Jahren gerade einmal vier Auskünfte. Wer meint, auf diese Weise Steuerflucht bekämpfen zu können, täuscht sich und die Öffentlichkeit.Und wie könnte man Steuerflucht stattdessen wirksam bekämpfen?Wir brauchen als ersten Schritt einen automatischen Informationsaustausch. Aber diese Forderung stand bisher noch gar nicht auf der offiziellen Tagesordnung. Wenn sich in dieser Woche (am 23.6.) in Berlin die Vertreter der OECD treffen, muss endlich über effektivere Regeln gesprochen werden. Andernfalls wird man keinen Druck auf die Steueroasen ausüben können.Wären die betreffenden Länder überhaupt in der Lage, die notwendigen Informationen bereitzustellen? Es reicht natürlich nicht aus, dass Steueroasen internationale Verträge abschließen oder ihre nationalen Gesetzgebungen reformieren. Die Verwaltung einer kleinen Insel hätte derzeit gar nicht die Ausstattung, um einen effektiven Datenaustausch zu gewährleisten. Wie gehen wir damit um? Das Beispiel zeigt, dass das Problem Steueroasen viel weiter reicht, als sich auf OECD-Ebene lösen lässt. Stark betroffen sind übrigens auch die Entwicklungsländer, denen massiv Geld verloren geht, weil die dortigen Eliten ihre Vermögen in Steueroasen bunkern. Den Menschen dort hilft der OECD-Standard überhaupt nicht.Peer Steinbrück ist also auf dem falschen Weg – und mit ihm die Öffentlichkeit?Ich finde es bedenklich, wie leichtfertig dem Bundesfinanzminister hierzulande auf den Leim gegangen wird. Nicht nur, dass er sich mit einer völlig unzureichenden Regelung als Vorkämpfer gegen Steueroasen schmückt. Steinbrück tut auch kaum etwas gegen die deutschen Banken, die ja eine entscheidende Rolle bei der Steuerflucht spielen.Die Kredithäuser streiten ihre Rolle als Fluchthelfer ab. Das liegt in der Natur der Sache. Tatsächlich ist in der Öffentlichkeit noch viel zu wenig darüber bekannt, was deutsche Finanzhäuser in Steueroasen treiben. Das betrifft sowohl die privaten Institute wie die genossenschaftlichen und Landesbanken. Auf einem kleinen Eiland wie Mauritius hat die Deutsche Bank zum Beispiel 180 Mitarbeiter, das Unternehmen betreibt über 150 Tochtergesellschaften auf den Cayman Islands. Deutsche Kreditinstitute werben sehr deutlich für Offshore-Geschäfte, bei denen reiche Kunden nicht zu Hause, sondern auf einer kleinen Insel fernab betreut werden. Hiesige Banken sind am Geschäft mit der Steuerflucht massiv beteiligt.Es hat Anhörungen im Bundestag gegeben, dazu war auch die deutsche Kreditwirtschaft gebeten – was haben Sie dabei erfahren?So gut wie gar nichts. Entweder haben die Vertreter der Unternehmen um den heißen Brei herumgeredet oder sie sind der Einladung des Parlamentsausschusses gar nicht gefolgt. Ich hätte mir gewünscht, dass die Kollegen der anderen Fraktionen meine Forderung stärker unterstützen, Bankenchefs vor den Ausschuss zu bringen. Es ist doch ein Unding, dass ein Josef Ackermann von der Deutschen Bank oder ein Martin Blessing von der Commerzbank der Einladung nicht folgen. In den USA würde es sich das Parlament nicht gefallen lassen, wenn sich Bankmanager einer Anhörung von öffentlichem Interesse vor einem Kongressausschuss entziehen.Fehlen dem Parlament schärfere Instrumente?Man kann viel verbessern. Es braucht aber auch den politischen Willen, das zu tun. Nicht nur auf nationaler Ebene. Konservative und Liberale im Europaparlament haben vor wenigen Wochen die dringend notwendige Ausweitung der Zinssteuerrichtlinie verhindert. So kommt man nicht voran. Wir müssen es schaffen, wieder Finanzpolitik für die Bürger zu machen – und nicht eine Finanzmarkt-Industriepolitik fortsetzen, bei der das Interesse der Kreditwirtschaft im Vordergrund steht.Was hindert die Politik daran?Heute sitzen dieselben Leute an den Schalthebeln, die vor der Krise eine Deregulierungspolitik betrieben haben und damit der Finanzwirtschaft zu Diensten waren. Um es deutlich zu sagen: Mit Peer Steinbrück wird es keinen Neuanfang in der Finanzpolitik geben. Außerdem gibt es eine enge Verflechtung zwischen Politik und Bankensektor. Das ist ein enormes Problem. Gerade im Bereich der Finanzmarktpolitik ist der Einfluss der Lobby extrem groß. Daran hat auch die Krise nichts geändert. Die alten Kanäle funktionieren noch sehr gut.Hat sich das auch auf den Gesetzentwurf der Koalition zur Bekämpfung von Steuerflucht ausgewirkt?Die Novelle ist inzwischen vergleichbar mit einer Fliege, die von der Spinne gefangen und ausgesaugt wurde. Es sieht noch aus, als sei es eine Fliege, aber drinnen ist kein Saft mehr. Dabei war die Idee wirklich gut. Doch die Union hat es geschafft, den Entwurf so auszuhöhlen, dass eine Wirkung des Gesetzes erst eintritt, wenn eine entsprechende Rechtsverordnung die Zustimmung des Bundesrates erhält. In der Länderkammer gibt es derzeit aber keine Mehrheit dafür. Und so beschließt der Bundestag womöglich ein Gesetz, das gar nichts bringt.Das sagen die Banken auch: Der Entwurf enthalte keine wirksamen Maßnahmen gegen Steuerflucht. Wenn es nicht so traurig wäre, könnte man darüber lachen. Erst leisten die Banken massiven Widerstand gegen das Gesetz – und dann wird der auf ihren Druck hin gezähmte Entwurf als unwirksam kritisiert.