Vor ein paar Tagen kam eine kleine Serie von Texten ins Rollen, deren Tenor man auf den Satz bringen könnte: Die SPD-Linke hat nichts zu melden. Die Frankfurter Allgemeine sah den Flügel „ins Kiesbett gerutscht“, die Tageszeitung schrieb, er spiele „im Kanzlerkandidaten-Spiel der Partei schlicht keine Rolle“. Und beim Spiegel, der sich seit Wochen um eine Nominierung von Peer Steinbrück verdient macht, frohlockte man: „Lange haben seine Gegner die Diskussion belächelt, weil sie für offensichtlich hielten, wie schräg das alles ist. Jetzt ist ihnen das Lachen vergangen.“
Nun könnte man sagen, als linker Sozialdemokrat hat man schon länger nichts zu Lachen. Oder gleich überhaupt nicht, weil es sich dabei um eine Art politische Unmöglichkeitsform handelt – siehe Agenda 2010 und andere zeithistorische Beweise fürs große Einknicken. Die Sache ist aber vielleicht doch etwas komplizierter. Jedenfalls bemüht sich die SPD-Linke seit ein paar Tagen mit Kräften, den Eindruck zu zerstreuen, die Debatte um Kurs und Personal der Regierungs-Sozialdemokratie anno 2013 sei schon ausgemachte Sache.
Das Wahlergebnis in Mecklenburg-Vorpommern und der mutmaßliche Ausgang in Berlin in zwei Wochen kommen dem Flügel dabei zu Hilfe. Schon vergangene Woche hatte Andrea Nahles mit dem Hinweis auf die Gewinner-Qualitäten eines Klaus Wowereit eine Antwort auf die sozialdemokratische K-Frage gegeben, die der Troika – Sigmar Gabriel, Peer Steinbrück und Frank-Walter Steinmeier – gar nicht gefallen konnte. Wenn der Regierende Bürgermeister erneut einen Sieg erringe, so der Hinweis der Generalsekretärin, „dann war das der dritte in Folge. Sigmar Gabriel hat bereits gesagt, dass jeder Ministerpräsident in der SPD geeignet ist für Höheres. Dem stimme ich zu.“
Welche Leistung lohnt sich auch in der Politik?
Der Versuch, den bisherigen elektoralen Erfolg zum Maßstab des Redens über eine Kanzlerkandidatur zu machen, ist zwar durchsichtig aber schwer zu kontern: Steinbrück kam 2002 ins Düsseldorfer Ministerpräsidentenamt, weil Wolfgang Clement in Berlin das Ressort für Arbeit und Wirtschaft übernahm – und scheiterte bei der ersten Prüfung durch die Wähler 2005. Gabriel wurde 1999 in Hannover nur Ministerpräsident, weil die erste Wahl für die Schröder-Nachfolge – Gerhard Glogowski – schon bald an Affärenvorwürfen gescheitert war. 2003 verlor der heutige SPD-Vorsitzende seine erste Wahl als Spitzenkandidat. Und an Frank-Walter Steinmeier haftet der Makel einer verlorenen Kanzlerkandidatur.
Vor diesem Hintergrund ist es schon wieder amüsant, wenn sich Gabriel an diesem Wahlsonntag mit den Worten zitieren lässt: „Leistung lohnt sich auch in der Politik.“ DGB-Chef Michael Sommer hat das Stichwort inzwischen aufgenommen und erklärt, der nächste Kanzlerkandidat der SPD „sollte fähig sein, Wahlen zu gewinnen. Und das schon einmal bewiesen haben“. Nach dieser Logik kämen jede Menge Sozialdemokraten für die Nominierung in Frage, etwa Hannelore Kraft aus Nordrhein-Westfalen, Olaf Scholz aus Hamburg und eben auch Sellering oder Wowereit. Dass es tatsächlich einer aus dieser Riege wird, ist freilich höchst unwahrscheinlich und wer davon wirklich zur SPD-Linken zu rechnen ist, wäre auch noch eine interessante Frage.
Deshalb gehen deren Vorstöße aber noch lange nicht ins Leere. Erstens kann die sozialdemokratische Troika den Wahlsieg von Erwin Sellering im Nordosten nun wirklich kaum als Bestätigung ihrer eigenen Linie vereinnahmen – der Schweriner Ministerpräsident hatte nämlich nicht nur Amtsbonus, sondern inszenierte sich gern als der bessere Ost-Linke: Abzug aus Afghanistan, DDR kein Unrechtsstaat – mit solchen Parolen stand der SPD-Ministerpräsident der Linkspartei oft näher als es die Strategen in Willy-Brandt-Haus und Bundestagsfraktion üblicherweise für gut halten. Zweitens setzt sich mit der Wahl im Nordosten und mutmaßlich in Berlin ein Trend fort, der Gabriel, Steinbrück und Steinmeier das selbst zuerkannte Gewicht abspricht: die SPD regeneriert sich über die Ländern, weniger durch staatsmännische Auftritte vor der Bundespressekonferenz oder verfrühten Fell-Verteilungs-Debatten.
Maßstab ist der inhaltliche Raumgewinn
Und drittens, und am wichtigsten: Der linke Flügel hat einiges aufzuholen. Obwohl man in der Bundestagsfraktion personell die Mehrheit bildet und trotz einer programmatischen Debatte (siehe etwa hier), die weit über die paar Merksätze der Pragmatiker („Wirtschaftsfreundlichkeit, Verlässlichkeit, Verantwortung“) hinausgeht, erscheint die SPD-Linke in der Öffentlichkeit blass. Einstige Ideen wie Andrea Nahles' Arbeitsversicherung sind versenkt, andere Kernprojekte wie die Bürgerversicherung strahlen inzwischen alles andere als Rot. Den Mindestlohn will inzwischen auch der Arbeitnehmerflügel der CDU. Einer deutlich selbstkritischen Diskussion über Hartz – als Chiffre für die Lebensbedingungen der Abgehängten, für welche die regierende Sozialdemokratie mitverantwortlich ist - geht auch die SPD-Linke noch immer lieber aus dem Weg. Und nicht zuletzt geht es um bündnispolitische Fragen - nicht als Machtarithmetik, sondern als kritische und auf Inhalte konzentrierte Suche nach dem Gemeinsamen, wie man sie zum Beispiel unlängst in den Überlegungen zur Zukunft der pluralen Linken von Ex-Juso-Chef Benjamin Mikfeld lesen konnte.
Es ist vielleicht nicht einfacher, linke Akzente zu setzen, wenn die eigene Partei in der Opposition sitzt und auch Leute, die vormals anders sprachen, den Blinker betätigen. Aber es gibt, siehe das neue Steuerkonzept der SPD, die Euro-Krisen-Strategie oder die Außenpolitik (Libyen), dafür gute Gründe, die keineswegs geringer wiegen als taktische Stillhalte-Überlegungen. Daran, wie der linke Flügel in den kommenden Monaten inhaltlich punkten kann, wird er zu messen sein. Und erst dann könnte es auch wirklich wieder einen Grund zum Lachen geben.
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