Brüderles Erklärung

Gastkommentar Der Wirtschaftsminister ignoriert die ökonomische Vernunft. Ohne Umverteilung wird es weder mehr Binnenachfrage noch ein steigendes Wachstum geben

Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle verteidigt deutsche Exporterfolge. Deutschland habe sich seinen Exportüberschuss durch exzellente Produkte verdient.

Dies ist nur die halbe Wahrheit. Seit 2000 sinken die deutschen Reallöhne gegenüber deutlichen Lohnsteigerungen in allen anderen Industrieländern. Mit diesem Lohndumping erhielten deutsche Unternehmer eine Streitaxt zur Eroberung ausländischer Märkte. Die deutschen Lohnstückkosten sind seit 2000 nur um sieben Prozent angestiegen während im Schnitt der Euroländer ohne Deutschland der Zuwachs bei 27 Prozent lag.

Seit 2002 hat Deutschland einen Außenhandelsüberschuss von mehr als einer Billion Euro erzielt. Dies führte zu einer massiven Verschuldung anderer Länder, vor allem der USA und der europäischen Südländer. Diese Verschuldung ist in der Finanzmarktkrise kollabiert und nicht fortführbar. Jetzt rächt sich das deutsche Exportmodel. Ohne weitere Verschuldung der Absatzländer stockt der Export.

Wie kann die Binnenwirtschaft belebt und der deutsche Exportüberschuss zurückgefahren werden? Darüber gibt es mittlerweile eine breite Debatte unter Ökonomen unterschiedlichster Ausrichtung. Nur im deutschen Bundestag herrscht eine Mischung aus plattem Unverständnis, Ignoranz und Tabuisierung. Trotzig heißt es: „Die anderen sollen so wettbewerbsfähig werden wie wir“.

FDP-Logik und Klippschulniveau

Der Chefökonom der Deutschen Bank, Thomas Meyer favorisiert „Strukturreformen“. Gemeint ist der Ausbau des Niedriglohnsektors. Die Löhne für einfache Dienstleistungen sollen noch weiter sinken und durch den Kombilohneffekt des Arbeitslosengeldes II aufgestockt werden. Dann würden viele Menschen nicht mehr davor zurückschrecken „sich den Rasen mähen zu lassen.“ So bringt man „mehr Menschen in Lohn und Brot, wodurch die Binnennachfrage gestützt wird.“ Das ist das Niveau einer Klippschule. Wenn Löhne sinken ist die Steigerung der Beschäftigung nicht gewiss. Besonders beliebt ist die Empfehlung „Steuern und Abgaben runter“. Die FDP-Logik „Mehr netto fürs Brutto“ soll die Binnennachfrage voranbringen. Mit Steuer- und Abgabensenkungen werden jedoch die Einnahmen des Staates und der Sozialversicherung beschnitten. Dies führt zu Ausgabenkürzungen und damit einer Schwächung der Nachfrage. Hinzu kommt, dass gesteigerte Nettolöhne nie in vollem Umfang nachfragewirksam werden da ein Teil gespart wird, vor allem bei höheren Einkommen.

Diese Vorschläge taugen nichts. Binnennachfrage lässt sich vor allem steigern wenn die Löhne – präzise: die Bruttolöhne – deutlich steigen. Hierfür spricht sich am klarsten Heiner Flassbeck, Chefökonom der UNCTAD aus. Allerdings, so wird häufig eingewandt, habe der Staat hierauf wegen der Tarifautonomie keine direkte Einflussmöglichkeit. Aber eine indirekte! Wolfgang Münchau, Kolumnist der Financial Times ist aufgefallen, dass die „die Bereitschaft der Arbeitnehmer Nullrunden über mehrere Jahre kampflos zu akzeptieren,“ eine „zutiefst pathologischen Entwicklung“ ist. Kein Wunder in Anbetracht der Agenda 2010 und der Angst bei Verlust des Arbeitsplatzes in die repressive Armut von Hartz IV zu stürzen.

Agenda 2010 abwickeln

Will man Billiglöhne stoppen, dann muss man die Agenda 2010 abwickeln. Als Sofortmaßnahme muss der gesetzliche Mindestlohn mit zehn Euro eingeführt und das Arbeitslosengeld II auf 500 Euro erhöht werden. Alleine dies würde zu einer wachsenden Nachfrage von rund 40 Milliarden Euro führen.

Hinzu kommen muss eine deutliche Ausweitung der Staatsausgaben. Für eine bessere Bildung, zur Sanierung der Infrastruktur und für den ökologischen Umbau. Notwendig ist ein öffentliches Zukunftsprogramm in Höhe von 100 Milliarden Euro jährlich. Hätten wir heute noch die Steuergesetze wie zu Zeiten Helmut Kohls würde der Staat 100 Milliarden Euro mehr einnehmen. Weshalb dahin nicht wieder zurückkehren? Und weshalb nicht die Vermögensbesteuerung als Millionärsteuer einführen? Oberhalb einer Million Freibetrag würde dies bei einem fünfprozentigen Steuersatz 80 Milliarden Euro steuerliche Mehreinnahmen bringen.

Ohne Umverteilung von oben nach unten wird es keine höhere Binnennachfrage und kein höheres Wachstum geben.

Michael Schlecht, Jahrgang 1951, hat Volkswirtschaft studiert und die wirtschaftspolitische Abteilung beim Verdi-Vorstand geleitet. Heute sitzt er für die Linkspartei im Bundestag und ist Chefvolkswirt der Fraktion.

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