Die wahren Bürger in Uniform

Bundeswehr Wer als Soldat riskiert, Missstände anzuprangern oder die Sicherheitspolitik zu kritisieren, muss mit harten Sanktionen rechnen

Von wegen Staatsbürger in Uniform: Wer heute in der Bundeswehr sein Grundrecht auf freie Meinungsäußerung wahrnimmt, wird nicht selten als „Nestbeschmutzer“ stigmatisiert. Immer wieder werden aufrechte Soldaten zu individuellen Problemfällen erklärt. Wer riskiert, Missstände in der Bundeswehr anzuprangern oder die Sicherheitspolitik zu kritisieren, muss mit harten Sanktionen rechnen.

Ein typisches Beispiel ist der Fall Christiane Ernst-Zettl: Die Sanitäterin im Rang eines Hauptfeldwebels sollte am Eingang eines Feldlagers im afghanischen Kundus Frauen auf Sprengstoff untersuchen. Wäre sie fündig geworden, hätte sie zur Waffe greifen müssen. Die Arzthelferin, die sich freiwillig zur Bundeswehr gemeldet hatte, weigerte sich: Sanitätspersonal dürfe nach der Genfer Konvention nicht kämpfen und der Dienst am Eingang zum Feldlager gehöre für sie dazu.

Sture Militärbürokratie

Das Verteidigungsministerium konterte prompt: Die Bundeswehr stehe in Afghanistan nicht im Krieg – und so müsse auch nicht zwischen Nichtkombattanten und Kombattanten unterschieden werden. Das sah Hans-Joachim Gießmann, Professor am Hamburger Institut für Friedensforschung, völlig anders: „Die Genfer Konventionen und Bestimmungen für Sanitäter gelten sehr wohl für den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr.“ Schließlich seien dort deutsche Soldaten in Kampfhandlungen involviert. „Wenn ich Pech habe“, so Ernst-Zettl, „liegen Patienten auf meinem OP-Tisch, die ich oder meine Sanitätskameraden vorher selbst verwundet haben.“ Die Militärbürokratie blieb stur, reagierte mit einer Strafversetzung und verhängte eine Geldbuße von 800 Euro. Wegen unkameradschaftlichem Verhalten.

Ernst-Zettl steht nicht allein. 2003 lehnte es der Major Florian Pfaff ab, eine militärische Software zu entwickeln, die den Angriff der USA auf den Irak unterstützen sollte. Er folgte seinem Gewissen – und wurde diskreditiert, degradiert, kriminalisiert. Heute sagt der gläubige Christ: „Es ist nicht angenehm, in der Unterhose vor dem Nervenarzt zu stehen, bloß weil ich rechtstreu bleiben wollte. Abgesehen von diesen Unannehmlichkeiten, braucht man in einem Rechtsstaat mit relativ unabhängigen Gerichten nicht viel Mut.“

2005 wurde Pfaff von einem Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig rehabilitiert. Ein Umdenken im Verteidigungsministerium fand nicht statt. Ein Angriffskrieg, heißt es in einem Papier aus dem Hause von Franz Josef Jung, werde zwar vom Grundgesetz verboten. Allerdings könne sich der einfache Soldat nicht darauf berufen. Dem „Verbot unterfallen nur Soldaten und Soldatinnen, die als Sicherheits- und militärische Berater und Beraterinnen eine herausgehobene Funktion im Regierungsapparat ausüben.“ Mit anderen Worten: Dem General ist der Angriffskrieg verboten, der Gefreite jedoch darf sich nicht verweigern.

Kritik an Gräuelmärchen

Neben Ernst-Zettl und Pfaff sind weitere Namen zu nennen. Zum Beispiel Heinz Loquai, Brigadegeneral und OSZE-Beobachter für den Kosovo. Er entkräftete in einer Fernsehsendung jene Gräuelmärchen, mit der die Bundesregierung den Kosovo-Krieg legitimiert hatte. Indizien für einen Bürgerkrieg habe es zwar gegeben, so Loquai, nicht aber für einen Völkermord oder massenhafte Vertreibungen. Nach zwei Büchern, die sich kritisch mit dem Angriff auf das damalige Jugoslawien auseinandersetzten, reagierte das Verteidigungsministerium: Man verweigerte Loquai die notwendige Zustimmung zur Vertragsverlängerung als OSZE-Berater und verhinderte so, dass ein exzellenter Sachkenner weiterhin aktiv für den Frieden in Südosteuropa arbeiten konnte. „In die heutige Bundeswehr“, so Loquai, „würde ich nicht mehr eintreten.“

An der fachlichen Qualifikation der genannten Soldaten gab es bei Vorgesetzten und Kollegen ebenso wenig Zweifel wie an ihrem Charakter. Ihrer Berufsentscheidung lag das Motiv zu Grunde, die Bundesrepublik zu verteidigen. Wie die große Mehrheit der Bevölkerung beurteilen sie die Auslandseinsätze der Bundeswehr jedoch kritisch oder lehnen sie ab.

Es handelt sich hier nicht um Querulanten, wie die Bundeswehr und das zuständige Ministerium mitunter weismachen wollen. Sondern aufrechte Bürger, die sich an die Gesetze gehalten haben und dabei auf eine sanktionswütige Obrigkeit gestoßen sind. Sie haben sich einem neuen alten Kadavergehorsam widersetzt, der eine gefährliche Entwicklung der Bundeswehr markiert. Diese Soldaten haben unsere Solidarität verdient.

Hans Wallow, Jahrgang 1939, ehemaliger Ministerialrat und sozialdemokratischer Bundestagsabgeordneter 1981 bis 1983 sowie 1990 bis 1998. Wallow verließ 2001 nach über 30 Jahren Mitgliedschaft die SPD aus Protest gegen den Krieg in Jugoslawien

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