Wenn einer Sache auf juristischem Parkett „keine ausschlaggebende Bedeutung“ beigemessen wird, heißt das noch lange nicht, dass es sich dabei um etwas ohne Belang in der Wirklichkeit handelt. Das Berliner Oberverwaltungsgerichtes hat in dieser Woche die Ausdehnung des Mindestlohnes der Deutschen Post auf die Wettbewerber der Branche für unzulässig erklärt. Zur Begründung verwiesen die Richter darauf, dass das Entsendegesetz die Ausweitung des Post-Mindestlohns nur auf so genannte Außenseiter zulasse – also auf Beschäftigte und Arbeitgeber, die nicht tariflich gebunden sind.
Die klagenden Konkurrenten des einstigen Staatskonzerns pochen auf den mit der Gewerkschaft GNBZ geschlossenen Vertrag. Nun ist allerdings jene „Gewerkschaft“ in diesem Herbst vom Arbeitsgericht Köln für nicht tariffähig erklärt worden. Begründung: Von einer für gewerkschaftliche Arbeit nötigen Unabhängigkeit könne bei der GNBZ keine Rede sein. Nicht nur, dass die „Gewerkschaft“ eine Art Startfinanzierung der PIN AG erhalten hatte, maßgebliche Funktionäre der Gründungszeit waren nach Medienrecherchen leitende Angestellte des Postkonkurrenten. Zwischen der Gründung der GNBZ und dem Abschluss eines so genannten Tarifvertrages lagen im Herbst 2007 gerade einmal vier Wochen.
All das halten die Berliner Verwaltungsrichter für „nicht entscheidungserheblich“. Der juristische Laie muss sich jedoch fragen, wozu dann das Gesetz festlegt, dass Tarifverträge von „Gewerkschaften, einzelne Arbeitgeber sowie Vereinigungen von Arbeitgebern“ getroffen werden. Wenn eine Gewerkschaft keine ist, dürfte sie demnach auch keinen Tarifvertrag abschließen. Und ein Tarifvertrag, den die Arbeitgeber mit sich selbst abschließen, ist keiner.
Noch ist das juristische Zerren um den Postmindestlohn nicht beendet. Und der politische Streit um Lohnuntergrenzen geht gerade erst richtig los. Im kommenden Wahljahr wird sich nicht nur die Linkspartei für einen gesetzlichen Mindestlohn stark machen, auch die Sozialdemokraten werden darin eine zugkräftige Wahlkampflosung sehen. Es wird sich zeigen, wie ernst es die SPD damit meint – in einer erneuten großen Koalition wird sie diesem Ziel jedenfalls nicht näher kommen. Von dem Berliner Post-Urteil sieht sich eine ganz große Koalition der Wirtschaftsliberalen von CDU über die Lobby der Neuen Brief- und Zustelldienste bis zum Arbeitgeberverband bestätigt: Mindestlöhne dürften bestehende Tarifverträge nicht verdrängen, auch wenn diese deutlich niedrigere Lohnuntergrenzen festlegen.
Die GNBZ hat mit den Post-Konkurrenten Mindestlöhne von 7,50 Euro im Westen und 6,50 Euro im Osten vereinbart, der Post-Mindestlohn legt die Grenze bei 8 bis 9,80 Euro fest. Auf die Frage, wie man davon leben soll, wich der Zustell-Lobbyist Florian Gerster wortreich aus und schob den Schwarzen Peter an die richtigen Gewerkschaften weiter. Auch diese hätten Tarifverträge ausgehandelt, nach denen Beschäftigte nicht viel mehr verdienten.
Hier hat Gerster sogar recht. Wie eine sächsische Friseurin über die Runden kommen soll, ist völlig rätselhaft. Ihr geht es noch schlechter, als den Briefzustellern der PIN AG. In riesigen Gebieten mit zurückgehender Tarifbindung und schwachen Gewerkschaften sind absolute Niedriglöhne die Regel. Aber das kann keine Orientierung sein. Wenn all die wohlfeilen Reden ernst gemeint wären, nach denen Menschen von ihrer Arbeit auch leben können sollen, müsste ein gesetzlicher Mindestlohn längst auf der Tagesordnung stehen. Nicht nur in der Postbranche.
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