Ungehörtes Signal

Arbeitsmarkt Unter dem Eindruck des Drei-Jahres-Hochs bei der Erwerbslosenstatistik streitet der Bundestag über das Konjunkturpaket. Den Menschen ohne Arbeit hilft das nicht

Falls tatsächlich noch irgendwo Zweifel bestanden haben sollten: Mit den jüngsten Erwerbslosenzahlen ist der Durchschlag der Wirtschaftskrise auf dem Arbeitsmarkt nun amtlich. Um fast 390.000 schnellte die offizielle Statistik nach oben, der stärkste Anstieg seit drei Jahren. Der Gewerkschaftsdachverband spricht von einem „deutlichen Alarmsignal“. Aber kommt es auch an?

Wer am Tag nach der Nürnberger Zahlen-Botschaft den Beginn der parlamentarischen Beratungen zum Konjunkturpakt im Bundestag beobachtet hat, wird zu einem solchen Schluss kaum kommen können. Das politische Berlin ist weitgehend mit sich selbst beschäftigt, von der zunehmenden Zahl der Krisenopfer war allenfalls am Rande die Rede. Die Koalition verteidigte ihr Reparaturstückwerk und die Opposition überhäufte erst die Regierung und dann einander mit Vorwürfen. Kanzlerin und Vizekanzler muteten an wie ein bockiges altes Ehepaar, dem die ungeliebte Verwandtschaft gerade mitteilt, dass der Sonntagsbraten nicht schmecken will. Je kürzer die Redezeit der Abgeordneten, desto schlagwortartiger die Äußerungen. Und wo für sachliche Argumente ohnehin keine Nachfrage zu bestehen scheint, braucht sich wenigstens um das Angebot von Schmähungen niemand zu sorgen.

Marschbefehl ins Ungewisse

Das Groteske an diesem Schlagabtausch ist, dass alle Beteiligten wissen, dass mit dem Konjunkturpaket II die Wucht der Wirtschaftskrise nicht aufzuhalten, ja nicht einmal spürbar abzubremsen ist. Der nach der Logik des Koalitionsproporz' aufgeteilte 50-Milliarden-Kuchen ist für diesen Zweck viel zu klein, kommt teils den Falschen zugute und wird sprichwörtlich verkrümeln. Um beim Beispiel Arbeitsmarkt zu bleiben: Langzeiterwerbslose haben kaum etwas von einem Programm, das angeblich auch die Binnennachfrage stützen soll, weil die deutsche Exportfixierung angesichts der globalen Krise als Handicap erweist. Zwei Milliarden Euro sollen in den kommenden zwei Jahren in die Aktivierung von Erwerbslosen fließen – aber auf die Frage, für welche bessere Zukunft denn überhaupt „Bewerbungstrainings“ angeboten werden sollen, hat niemand eine Antwort. 800 Millionen Euro sind für 5.000 zusätzliche Stellen der Arbeitslosenverwaltung vorgesehen, angeblich um die Vermittlung in Arbeit zu verbessern. In welche? Die Bundesagentur will für das laufende Jahr nicht einmal mehr Prognosen abgeben, so unübersehbar ist die Lage. „Alle Modelle der Vergangenheit sind nicht anwendbar“, sagt der Behördenchef Frank-Jürgen Weise. Und trotzdem fällt dem sozialdemokratischen Arbeitsminister nicht viel mehr ein als die Aufforderung, „mit Sozialpartnerschaft durch die Krise zu marschieren“.

Wie diese „Partnerschaft“ verstanden wird, ist offenkundig. Das Bankenrettungspaket ist vom Gesamtvolumen her fast zehn Mal so groß wie das zweite Konjunkturprogramm. Ist es zehnmal wichtiger, die Kreditbranche zu retten? Während bereits hinter den Kulissen über die Vergrößerung des Schirms für die Finanzkonzerne diskutiert wird, der Staat Milliarden in Banken pumpt, die an der Börse nur noch einen Bruchteil des Einsatzes wert sind und die Sozialisierung der Risiken aus faulen Papieren voranschreitet, will sich die Politik eine Schuldenbremse verpassen, die in Zukunft jede wirksame Krisenintervention erschwert, wenn nicht sogar unmöglich macht. Bund und Länder würden sich demnach nur noch um 0,5 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung verschulden dürfen – also um rund 12 Milliarden Euro im Jahr. Ausnahmen würden dann nur noch unter Einhaltung strengster Regeln erlaubt. Zum Vergleich: Der von der Koalition vorgelegte Nachtragshaushalt für 2009 hat ein Volumen von fast 37 Milliarden Euro.

Sowohl Union als auch SPD haben stets erklärt, Kernziel ihrer Politik sei die Schaffung und der Erhalt von Arbeitsplätzen. Am 5. Februar könnte eine Entscheidung über die Schuldenbremse fallen, der Zeitplan für das Konjunkturpaket II sieht die abschließende Behandlung in der Länderkammer für den 20. Februar vor. Kurz darauf wird wieder die monatliche Erwerbslosenstatistik veröffentlicht. Neue Höchststände sind zu erwarten.

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