GERICHTSREPORTAGE Der Prozess gegen Klaus Heugel vor dem Kölner Amtsgericht ist auch ein Lehrstück in Sachen Kommunalpolitik, Verfilzung und Selbstbedienung - eine Zwischenbilanz des Verfahrens
Der ehemalige Kölner Oberstadtdirektor und Ex-OB Kandidat der SPD, Klaus Heugel, Verursacher des Debakels der SPD am Rhein bei der letzten Kommunalwahl und Jahrzehnte einer der mächtigsten Männer Kölns, steht wegen verbotener Aktiengeschäfte vor Gericht: Karriere beendet, Ruf ruiniert, Parteibuch zurückgegeben.
Einst war er das, was man gemeinhin mächtig nennt. Der Mann, der sich da auf der Anklagebank hinter der voluminösen Gestalt seines Anwalts und senkrecht aufgestellten Aktenordnern verbirgt und sich bei der Befragung zur Person bescheiden als "Rentner" bezeichnet, war bis September '99 Oberstadtdirektor der viertgrößten Stadt Deutschlands, davor SPD-Ratsfraktionsvorsitzender, Direktkandidat der Sozialdemokraten zum Oberbürgermeist
rbürgermeister in einer Stadt, die seit 43 Jahren von der SPD regiert wurde. Er war außerdem Aufsichtsrat des Stadtwerkekonzerns, wie das eben so ist. Dies alles ist Dr. Klaus Heugel nicht mehr, nachdem eine kleine Kölner Zeitung im August '99 seine Aktiengeschäfte aufdeckte, erst das Bundesaufsichtsamt für das Wertpapierwesen und dann die Staatsanwaltschaft gegen ihn ermittelte, Heugel zurücktreten musste, die SPD ohne Kandidat dastand und Köln nun seit Herbst '99 von der CDU und einem CDU-Oberbürgermeister regiert wird.Es war ein Aktiengeschäft mit immensen politischen Folgen und nun auch mit gerichtlichen: Das Amtsgericht Köln wirft dem 63-jährigen Betriebswirt, der keine Angaben über sein Einkommen macht, vor, ein illegales Insidergeschäft getätigt zu haben, das heißt, als Mitglied des Aufsichtsrates einer Aktiengesellschaft sein dort gewonnenes Insiderwissen für den eigenen Vorteil genutzt zu haben. Das ist ein Verstoß gegen das Wertpapierhandelsgesetz. Dass Heugel Aktien gekauft und mit etwa 15.000 Mark Gewinn verkauft hat, wird nicht bestritten und ist belegt - entscheidend ist, ob er dies in Kenntnis einer zu erwartenden Kurssteigerung bei einer Übernahme der entsprechenden AG durch eine andere tat und ihm das zu beweisen ist.Mitangeklagt ist ein weiterer mächtiger Mann - Fritz Gautier, 50-jähriger Diplom-Chemiker, gleichfalls Sozialdemokrat, wird vorgeworfen, dass er zunächst durch eine Falschaussage über zeitliche Abläufe seinen Genossen Heugel schützen wollte, "versuchte Strafvereitelung" nennt man das. "Versuchte Vertuschung" heißt es in der Anklage, wegen der "engen persönlichen Beziehungen", auch von "Beziehungsgeflecht" ist dort die Rede.Klaus Heugel versteckt sich, wirkt merkwürdig verdruckst und verlegen, eigentlich auch ein wenig beleidigt. Er verweigert die Aussage. Gautier dagegen gibt sich fröhlich ("Morgen allerseits"), aufmerksam, mustert interessiert das große Presseaufgebot, aussagen will auch er nicht. Gautier ist jetzt Vorstand bei der Essener Ruhrgas AG und hat hauptsächlich das Problem, die Gerichtstermine in seinem umfangreichen Terminkalender unterzubringen, in den er das Gericht immer ausführlich Einblick nehmen lässt. Blättert und verkündet, "da bin ich in den USA", "da bin ich in Chemnitz". Irgendwie passen bei mächtigen Männern Gerichtsverhandlungen nicht in den Tagesablauf. Bis Richter Albrecht Oßwald, sonst sachlich, freundlich, umsichtig, ihn darauf aufmerksam macht, dass es nicht ganz so sein könne, dass das Gericht sich nur nach ihm richte. Zwei schweigende Angeklagte mit zusammen drei Anwälten, und alle sind promoviert und werden auch ständig mit ihren Titeln angesprochen. Es geht gesittet und juristisch außerordentlich spitzfindig zu in einem der höchst seltenen Prozesse gegen das Wertpapierhandelsgesetz.Die Chronologie der Ereignisse, die Machtpositionen der handelnden Doktoren im Jahre '98: Klaus Heugel ist als Oberstadtdirektor Aufsichtsrat der Gas-, Elektrizitäts- und Wasserwerke Köln AG (GEW), sein Parteifreund Fritz Gautier Vorstandssprecher dieser GEW. Die GEW hält 25,4 Prozent der Aktien an dem traditionsreichen Kölner Kabelwerk Felten Guilleaume (F) und hat damit die Sperrminorität, Gautier ist auch Aufsichtsrat von F Im April '98 erfährt der Kölner IG Metall-Bevollmächtigte Theo Röhrig, arbeitnehmerseitiger Aufsichtsrat von F, vom Übernahmeinteresse an F der dänischen Moeller-Holding. Interessante Einblicke gewährt der kürzlich pensionierte Röhrig im Gerichtssaal als Zeuge, wie die hohen Herren solche Geschäfte einfädeln: Sie wenden sich ganz informell in einer Kneipe an den Gewerkschaftsvertreter im Aufsichtsrat der Firma, für die sie sich interessieren, um mal vorzufühlen, was die gegebenenfalls dazu sagen würde. Röhrig allerdings glaubt, dass es vorher schon "irgendwas gegeben haben muss, wenn die auf mich zukamen". Aber über dieses "vorher" wird nichts zu ermitteln sein. Ob Röhrig mit Heugel gesprochen hat, wann und wie konkret über die Übernahmeangebote, das kann er nicht mehr sagen. Das waren keine "angesetzten" Gespräche, man trifft sich halt hier und da. Sozialdemokrat Röhrig jedenfalls informiert unmittelbar den Vorstandsvorsitzenden von F, Winfried Holetzek. Dieser, inzwischen auch ehemalig, erläutert dem Gericht die "strategischen Aspekte" einer Aktienübernahme durch Moeller, er erläutert die Bilanzen von F, erklärt Nettoverschuldung und Eigenkapitalquote - als müsse er heute noch rechtfertigen, dass er gegen die Übernahme war, sagt, dass er seinen Mehrheitsaktionär in Gestalt von Gautier informierte und dass es für ihn selbstverständlich gewesen sei, dass der Oberstadtdirektor Heugel zu befragen sei.Jetzt kommt der entscheidende Punkt: Im Sommer '98 begibt sich der Aufsichtsrat der GEW auf eine Reise nach Norwegen, zu der auch Holetzek gebeten wird. (Aufsichtsräte, erfährt man, begeben sich öfter auf Reisen, das Gericht prüft jetzt auch noch andere Übernahmeangebote von '97 und '98 - besprochen oder nicht besprochen mit Gautier und Heugel auf Reisen in die CÂSSR und Österreich). In Stavanger nun am 13. Juni '98 treffen sich Gautier, Heugel und Holetzek und sprechen über die Lage bei F Laut Anklage befürwortet Gautier dabei die Übernahme durch Moeller, Holetzek sagt, dass Moeller ernsthaft und dringend interessiert sei. Der ehemalige F Chef beeidet vor Gericht: "Dieses Gespräch in Stavanger war essenziell in Bezug auf die Aktienübernahme von Moeller." - "Dieses Wissen", sagt der Staatsanwalt, nutzte Heugel, um am 5., 7. und 18. August jeweils 100 F Aktien zu einem günstigen Kurs zu kaufen und sie, die durch den Verkauf des 100-Millionen-Mark-Aktienpakets an die Moeller-Holding am 26. August '98 kräftig im Kurs gestiegen waren, am 16. und 21. Oktober mit Gewinn von 15.000 Mark wieder zu verkaufen. Holetzek ist der entscheidende Belastungszeuge gegen Heugel, der, als alles aufflog, sagte, "nicht geschaltet und nicht erkannt" zu haben, dass die Käufe und Verkäufe möglicherweise als Insidergeschäft gelten könnten. Nach Holetzeks Einschätzung aber war Heugel derjenige, "der das durchsetzen konnte oder nicht, ob die GEW ihre Aktienmehrheit verkauft oder nicht". Dann hält er noch ein kleines Seminar darüber, wie solche Übernahmeangebote strategisch und taktisch vorbereitet werden, dass intern bei Moeller die entsprechenden Planungsskizzen mit dem Decknamen "Projektstudie Kino" benannt wurden, "weil da ja auch von Sekretärinnen geschrieben werden muss, die nicht wissen sollen, worum es geht". Es geht bei solchen üblichen Pseudonymen weniger um Sekretärinnen, sondern um die Vermeidung von illegalen Insidergeschäften, außerdem sollen Spekulanten davon abgehalten werden, Aktien am unteren Level zu kaufen und bei Kursanstieg nach Übernahme wieder zu verkaufen. Wichtig aber an diesem Pseudonym: Holetzek kannte die Studie seit Mai '98 und hat sie nach seiner Aussage in Stavanger auch erwähnt, das hätte der Hinweis für Heugel sein können, wie ernsthaft Moeller seine Pläne schon betrieb. Fritz Gautier hat in seiner Vernehmung am 27. August ausgesagt, dass er Heugel erst am 9. August informiert hat, ob Heugel vor dem 9. August Kenntnis von den Moeller-Plänen hatte, kann er nicht ausschließen, aber an Stavanger hat er keine "konkrete Erinnerung". Er glaube nicht, dass der Verkauf der GEW Aktienanteile an F konkret Gegenstand des Stavanger-Gesprächs gewesen sei. Theo Röhrig meint, die "gesicherte Vermutung" aussprechen zu können, dass Heugel "schon lange" vor dem 9. August informiert war. Die ersten Aktien kaufte Heugel wie erinnerlich am 5. August.Dr. Heugel und Dr. Gautier haben gute Anwälte, Anwälte, die sich hervorragend in prozessualen Finessen auskennen. Ein Befangenheitsantrag gleich zu Prozessbeginn gegen den Vorsitzenden Richter wird vom Gautier-Anwalt Tido Park zwar mit leichtem S-Fehler, aber in geschliffener Manier und mit einer Fülle von Verweisen begründet (er wird abgelehnt), andere zahlreiche Anträge, hauptsächlich Gautiers im Laufe der Ermittlungen geänderten Status vom Zeugen zum Beschuldigten und seine kurzzeitige Verhaftung betreffend, gehören wahrscheinlich in jedes juristische Hauptseminar. Die Verhaftung Gautiers nennt Park rechtswidrig, die dort gemachte Aussage dürfe nicht verwendet werden, da Ergebnis einer Beugehaft, die Durchsuchung des Hauses Gautier unverhältnismäßig. Die Verhaftung, sagt der Anwalt, sei bewusst zwei Tage vor der Kommunalwahl am 10. September '99 geschehen, angeblich hat der vernehmende Oberstaatsanwalt gesagt, "es geht gar nicht um sie, wir wollen ein Exempel statuieren. Wir glauben, dass die ganze Kölner Stadtverwaltung ein Sumpf ist." (Es sind seit Monaten Korruptionsfälle in der Kölner Stadtverwaltung anhängig). Es sollte "bewusst" größtmöglicher Druck auf Gautier ausgeübt werden, wie aus internen Diskussionen in der Staatsanwaltschaft bekannt sei, und es habe "erstaunliche Detailkenntnisse in der Presse" gegeben. "Großartige Verschwörungstheorien" erkennt darin der Staatsanwalt.Heugels Anwalt Christian Richter II gilt als einer der besten Anwälte in einschlägigen Verfahren, er vertritt übrigens auch Friedel Neuber, den sozialdemokratischen Chef der Westdeutschen Landesbank, inzwischen bundesweit im Rahmen der "Flugaffäre" der Düsseldorfer Landesregierung bekannt geworden. Richter ist witziger und verbindlicher als der Musterschüler Park, der leicht errötet, steht ihm freilich in der Brillanz seiner jeweiligen Anträge in nichts nach. Verfahrensfehler kann er nachweisen, Berufungsgründe sind gesammelt.Die Presse, in den ersten Prozesstagen sehr zahlreich vertreten, verliert alsbald das Interesse - der Skandal, wenn er denn juristisch verhandelt wird, birgt nur bei geduldigem Zuhören Aufregendes und Erhellendes über das Handeln von Politik und Wirtschaft. Was nicht zu verhandeln, aber zu fragen ist: Wie ist zu bewerten, dass ein kommunaler Verwaltungschef und Aufsichtsrat, der Verantwortung für viele wirtschaftpolitische Entscheidungen, für Arbeitsplätze trägt, für das Wohl "seiner Stadt", überhaupt mit Aktien eben jenes Unternehmens handelt, über deren Wohl und Wehe er mitentscheidet? Als Insider wäre dies strafrechtlich relevant, als Nicht-Insider Kennzeichen einer politischen Klasse, die nicht mehr weiß, was sie tut. Die Mitteldeutsche Zeitung kommentierte im September '99: "Der Fall Heugel hat in erschreckender Weise offen gelegt, wie selbstbezogen und abgehoben Politiker mitunter dort agieren, wo ihre Parteien seit Jahrzehnten über eindeutige Mehrheiten verfügen". Heugel hat 14.483,14 Mark an eine Arbeitsloseninitiative überwiesen. Der Metaller und Sozialdemokrat Theo Röhrig hatte übrigens nach Bekanntwerden des Aktiendeals öffentlich heftige Kritik an dem Verkauf der GEW-Sperrminorität durch seine Genossen bei der Stadt geübt und mit anderen gefürchtet, dass Moeller als Alleininhaber die versprochenen Arbeitsplätze im rechtsrheinischen Köln nicht einrichten wird.Der Prozess wird fortgesetzt, das Urteil in einigen Wochen erwartet.
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