Manche Leute sagen, ach, die Âarme HeideÂ, wenn sie meinen Wohnwagen sehen. Dabei tue ich genau das, was ich immer wollte.« Heide Hamann lacht vergnügt, und man glaubt ihr sofort, dass sie sich gewiss nicht arm fühlt in ihrem unkonventionellen Zuhause auf einem Campingplatz bei Lindlar. Schließlich sieht sie morgens, wenn sie in ihrem »richtigen Bett im Vorzelt wie auf einer Terrasse« erwacht, »den Nebel über den Tälern aufsteigen« und ist »ganz nah an der Natur«. Seit anderthalb Jahren hat sie sich diesen Traum erfüllt, nur wenn es schneit oder sehr spät wird, schläft sie auch schon mal auf der Couch in ihrem Theater.
Die 60-jährige Heide Hamann ist ein ungewöhnlicher Mensch in dieser
in dieser Zeit, der sagt: »Ich bin nicht asketisch. Aber ich brauche diese ganzen Sachen nicht, die man sich angeblich anschaffen muss, ich vermisse gar nichts. Ich kann mein Geld für vernünftigere Sachen ausgeben, für andere Menschen.« Sie wirkt, mit ihren hellwachen, freundlichen Augen im schmalen Gesicht, zufrieden und mit sich im reinen. Sie lebt und arbeitet ihren Traum: Als Puppenspielerin im eigenen Puppentheater, wohnhaft in einem Wohnwagen.Es war einmal vor vielen, vielen Jahren, da lebte die gelernte Krankenschwester mit vier kleinen Kindern auf Sylt, dort trat ein Puppentheater auf mit Leonce und Lena von Büchner. »Ich war völlig verzaubert, völlig hin und weg. Das war mein größtes Theater erlebnis überhaupt.« Aber wie im Märchen ging es erst einmal nicht weiter. Nach der Scheidung stand sie mit ihren Kindern im Alter zwischen einem und sieben Jahren alleine, verdiente sich in einer Schule für geistig Behinderte den Lebensunterhalt. Aber immerhin war das in Frankfurt, und nebenan in Darmstadt gibt es das »darmstädter puppentheater. Dort machte sie eine Ausbildung als Puppenspielerin, lernte spielen, inszenieren, Stücke schreiben, Stoffe entdecken, fürs Puppenspielen einrichten und studierte schließlich Sozialpädagogik. Sie arbeitete gemeinsam mit dem »darmstädter puppenspiel« jahrelang für das Fernsehen, mehr als 40 Filme entstanden für das Kinderprogramm, das Drehbuchschreiben lernte sie so auch noch »nebenbei«. 1978 schließlich gründete sie ihr eigenes Puppentheater als Reisetheater mit dem Namen »Lapislazuli«. Ihren Zuschauern erklärt sie den Namen so: »Das ist ein tiefblauer Stein, dem die alten Ägypter Heilkräfte zu geschrieben haben. Lapislazuli wurde zu blauer Farbe zerrieben, mit der die Menschen Bilder malten. Die Welt ein wenig heiler und bunter zu gestalten, sehen wir als eine Hauptaufgabe des Puppentheaters an.« Ihre eigenen Kinder durften ihre Stücke als erste sehen und kritisieren. Mit ihrem Theater verdiente Heide Hamann zunächst »knapp an der Sozialhilfegrenze. Ich lebte immer mit Sperrmüll. Als das Geld irgendwann mehr wurde, habe ich zum ersten und einzigen Mal im meinem Leben gedacht, jetzt kaufst du dir mal richtige Möbel. Aber dann kamen die Roma, und die brauchten es dringender als ich, das war einfach notwendig.« Dann »kamen die Roma«, ein typischer Satz für Heide Hamann. Die kamen natürlich nicht, sondern sie entdeckte sie in einer elenden Behausung, hungernd und frierend, an einem Autobahnzubringer in der Nähe von Mainz. »In einem winzigen Häuschen, eigentlich einer Hundehütte, ohne Strom. Ich kam von einem Erntedankfest und dachte an den Satz Âbrich' mit den Hungrigen dein BrotÂ.« Bei diesem Zitat lacht sie wieder, es soll nicht zu gefühlvoll klingen, aber sie meint das so. Sie hat dann die Romafamilie quasi adoptiert, ihr Lebensmittelgutscheine besorgt, für sie Sonderangebote eingekauft, sie finanziell unterstützt, ins Ausland begleitet. Die Roma sind auch daran »schuld«, dass sie vor zwölf Jahren in Bergisch Gladbach bei Köln gelandet ist. Zu der Zeit kam »ihre Familie« aus Italien zurück und wurde in Köln angesiedelt. »Da musste ich doch hin und mich um sie kümmern.« Sie hat dann das Kölner Modell mit aufgebaut, Patenschaften für Roma, die Kölner und Kirchenkreise übernommen hatten, verpflichtend für jeweils fünf Jahre. »28 Roma waren ÂmeineÂ, und deshalb musste ich hier bleiben. Das bedeutete auch finanzielle Verpflichtungen, viel Zeit, viel Geld, das war auch Stress, weil die Lebensumstände so empörend waren. Aber die Freude, etwas erreichen zu können, hob alles andere auf.« Innerhalb eines Jahres gastierte Heide Hamann mit ihrem »Lapislazuli« in 150 Kölner Grundschulen, wurde in der Region sehr bekannt und gefragt.Schließlich klopften Vertreter der Stadt Bergisch-Gladbach an: Dort gab es im Ortsteil Bensberg auf dem Schulhof der Johannes-Gutenberg-Realschule einen Pavillon und in diesem ein Puppentheater mit 80 Plätzen. Die Leitung war vakant. Das Gebäude samt Nebenkosten umsonst, keine öffentliche Förderung, die Einnahmen für die Leiterin. Ein Angebot, über das Heide Hamann lange nachdachte: »Die Frage war für mich, ob ich meine Freiheit verkaufe.« Schließlich vereinbarte man ein Jahr Probezeit. Inzwischen sind daraus zwölf Jahre geworden im »Puppenpavillon Bensberg«. Eine Institution, was besonders vor zwei Jahren deutlich wurde: Fünf Minuten vor der Vorstellung zum 10-Jahres-Jubiläum brannte das Gebäude ab. Die Puppen, die Bühnenbilder, die Stücke, die Stühle: Alles weg. Das traurige Bild der Zerstörung in der Lokalpresse hatte eine Spendenwelle zur Folge, Kinder schrieben rührende Briefe: »Hoffentlich spielst du bald wieder«, und spendeten ihr Taschengeld. Der Förderverein, der Spenden für das Theater einsammelte, half auch, und nur zwei Monate nach dem Brand konnte wieder gespielt werden. Und dann gab es das Jubiläumsstück gleich 18 mal hintereinander für die Spender.Heide Hamann spielt nicht mehr alleine: Sohn Kolja Wlazik wurde ebenso von ihr ausgebildet wie die Erzieherin Gundula Mehlfeld. Die Puppenspielerin gibt ihre Kunst nämlich in Kursen an Lehrer und Erzieher weiter. Sie geht mit ihrem »Lapislazuli« weiterhin auf Tournee durch Kindergärten und Schulen, Gundula Mehlfeld auch, sonst wäre es bei aller Bedürfnislosigkeit doch knapp, auch wenn der Pavillon in der Regel ausverkauft ist. Jede Inszenierung für Kinder kostet um die 10.000 Mark, für Erwachsenenstücke zwischen 15.000 und 20.000 Mark, ohne Proben. Immer gibt es einen Regisseur, im Repertoire sind 14 Stücke und vier Bühnen. Puppen werden je nach den Bedürfnissen des Stückes auch von Heide Hamann selber gemacht. »Es kommt darauf an, was für ein Stil das Stück hat, wie es sich anfühlt oder wie es sich anfühlen soll. Davon ist der Stil der Puppe abhängig. Und wir müssen überlegen, was die Puppe können muss, brauchen wir für ein Stück zwei oder vier Puppen beispielsweise.« Überwiegend richtet sie die Stücke selber ein oder schreibt sie sogar. Die Kommunikation während der Aufführung mit dem kindlichen oder erwachsenen Publikum ist normal und wichtig. »Natürlich gehen wir darauf ein, es gibt sogar richtige Mitmachstücke.« Gespielt wird manchmal vier mal am Tag, für Kinder ab drei oder vier Jahren (»früher hat es keinen Sinn«) nachmittags und abends für Erwachsene. Märchen für Kinder sind nach wie vor ein Renner, Heide Hamann und Gundula Mehlfeld sind überzeugt davon, dass auch heutige Kinder Märchen lieben. Bei Frau Holle hat Gundula Mehlfeld das Ende ein bisschen geändert, die Pechmarie soll nicht völlig perspektivlos sein und kann sich, wenn sie nach und nach freundlicher wird, auch nach und nach wieder aufhellen. Oder es wird ausgeschmückt, wenn Stroh zu Gold wird - was kann das bedeuten ... Aber man bleibt so nah wie möglich am Original. Nur Angstmachen ist tabu. Für Jugendliche und Erwachsene gibt es beispielsweise Der kleine Prinz oder Das Hemd eines Glücklichen nach einem alten russischen Märchen.Auch andere Puppentheater gastieren im Pavillon, etwa ein Drittel der jährlich 150 Vorstellungen wird von Gästen bestritten. »Das ist auch für uns immer wieder ein Qualitätsvergleich, das Sehen und Erleben anderer Stile.« Auf Qualität wird ohnehin streng geachtet, jedes Gasttheater wird vorher begutachtet, und es gibt auch mal ein »Nein«. Gerd J. Pohl von den »Piccolo Puppenspielen« aus Bonn schrieb der Prinzipalin zum 10-jährigen Jubiläum: »Heides Offenheit und Flexibilität wirken sich aber auch äußerst positiv auf die Puppenspieler aus, die im Puppenpavillon als Gastbühne auftreten. Heide hat einen besonderen Sinn für ruhige, bisweilen andächtig wirkende Inszenierungen; aber ihre Aufgeschlossenheit gegenüber anderen Formen und Stilrichtungen in der Welt des Puppenspiels gewährt auch völlig anders auftretenden Künstlern die Möglichkeit des Gastspiels in ihrem Theater.« Und nach jeder Abendvorstellung gibt es etwas zu essen und zu trinken, Gespräche zwischen Puppenspielern und Publikum. »Das ist uns wichtig«, findet Heide Hamann, »unser Publikum als unsere persönlichen Gäste zu bewirten.«Das Theater soll mehr sein als bloße Spielstätte, auch Begegnungsort, kultureller Treffpunkt. Und inzwischen ist es auch eine der Anlaufstellen für »Brücken bauen«, ein Hilfsprojekt, das Heide Hamann mit Freun dinnen und Freunden, mit denen sie während des Kosovokrieges gegen die Bombardierungen protestierte, ins Leben gerufen hat. In Becej, einem vergessenen Nest nördlich von Novi Sad mit 44.000 Einwohnern, darunter 2.400 Flüchtlingen aus drei Kriegen, werden die Flüchtlinge mit Hilfe von Spenden betreut. Patenschaften für 160 serbische Flüchtlinge aus Kroatien, die in einer Turnhalle hausen, sind organisiert worden, eine Sozialstation wurde eingerichtet, eine medizinische Ambulanz für Kinder und Erwachsene, ein gerontologisches Zentrum, ein Friedensprojekt mit Jugendlichen unterstützt. Heide Hamann hat sich vor Ort von der Not der Flüchtlinge überzeugt und sofort gehandelt. 100.000 Mark haben sie und ihre Freunde gesammelt, zusätzlich zu den Medikamenten, Kleidern und dem Spielzeug, das erbeten und gespendet wurde. Im Moment wird schon Kleidung für den Winter und Geld für Brennholz und Öfen gesammelt. »Es sind die kleinen Schritte«, sagt die Puppenspielerin, »die große Veränderungen bewirken können.«Infos unter: Puppenpavillon
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