Der Pferdefuß des Erfolgs: Dadurch, daß AIDS-Infizierte mit neuen Medikamenten inzwischen länger leben, hat die Neigung von Richtern, für HIV-positive Frauen eher Bewährungsstrafen zu verhängen, wieder stark abgenommen, so Ruth Steffens von der AIDS-Hilfe Nordrhein-Westfalen. Doch wie leben die Betroffenen im Gefängnis? Wie können ihre Sozialkontakte wiederhergestellt oder erhalten werden, um sie auf das Leben nach der Entlassung aus dem Strafvollzug vorzubereiten?
Sie bekommen mehr Milch und mehr Obst. Und spätestens daran werden sie dann erkannt«, faßt Ruth Steffens ihre Beobachtungen in Strafvollzugsanstalten von NRW zusammen. Inhaftierte Frauen, die mit dem HI-Virus infiziert seien, hätten Anspruch auf Zusatznahrung und seien so für ihre Mitgefangenen leicht zu identifizieren. Gemeinhin aber, so die Erfahrung der Betreuerinnen von der AIDS-Hilfe, werden sie dann nicht ausgegrenzt. »Nur wenn sie arbeiten wollen«, erzählt Helga Pieper, die seit zehn Jahren ehrenamtlich für die AIDS-Hilfe Duisburg aidskranke Frauen im Gefängnis betreut, »gibt es manchmal Probleme: Angst der anderen, sich bei Verletzungen anzustecken.«
Beate Schanzenbach, seit neun Jahren bei der AIDS-Hilfe Krefeld und zuständig für die Betreuung von Strafgefangenen: »Frauen gehen mit ihrer Infektion offener und gelassener um als Männer. Mir ist auch kein Fall von Zellenboykott bekannt. Oft sind die infizierten Frauen jung, sie aktivieren bei ihren Mitgefangenen so etwas wie Fürsorge und Mütterlichkeit.« Helga Pieper bestätigt das. Außerdem hätten die meisten HIV-positiven Gefangenen, die sie kenne, ihr Geld auch mit Prostititution verdient - das seien Frauen, die sich zur Wehr setzen könnten, auch gegen die eigene Krankheit.
Vor einigen Jahren reagierte man in Gefängnissen noch »sehr aufgeschreckt, fast hysterisch«, wenn bei einer inhaftierten Frau eine HIV-Infektion vermutet wurde. Heute dagegen hört man eher, »Positive haben wir nicht«. Das werde kleingeredet, meint Steffens. Inzwischen rufen Sozialarbeiterinnen, Ärzte, Seelsorgerinnen, manchmal auch Vollzugsbeamte bei den AIDS-Hilfen an und bitten um Besuche bei gefangenen Frauen. Mitarbeiter, denen bekannt ist, daß es eine AIDS-Hilfe gibt, melden sich dort, wenn sie das Gefühl haben, eine Gefangene sei krank. Die Aufregung ist nicht mehr so groß. - Manche Frauen kennt die AIDS-Hilfe bereits, wenn die wegen ihrer Drogenabhängigkeit auch draußen schon betreut wurden.
»Die Anstaltsleitungen sind inzwischen froh, daß es uns gibt«, meint Steffens. Trotzdem sei die individuelle Betreuung für die überwiegend ehrenamtlichen Helferinnen schwierig geblieben, berichtet die Sozialarbeiterin: »Justizvollzugsanstalten liegen zumeist außerhalb der Zentren am Stadtrand und sind nur sehr umständlich zu erreichen. Es ist auch nicht jedermanns Sache, sich den Sicherheitsprüfungen zu stellen und langes Warten in Kauf zu nehmen. Schließlich besteht die Gefahr, daß der Besuch der AIDS-Hilfe auf die Besuchszeiten angerechnet wird. Das ist nur dann nicht der Fall, wenn die Krankheit bekannt ist. Aber manche infizierte Frauen wollen genau das nicht, weil sie Kommentare von Mitgefangenen fürchten.«
Wieviel HIV-infizierte Frauen in deutschen Gefängnissen einsitzen, weiß niemand. Von rund 17.000 inhaftierten Frauen und Männern in NRW gebrauchen über 4.000 Drogen, was noch nichts über die Zahl der HIV-Infektionen sagt. Ein Drittel aller AIDS-Hilfen in NRW kümmert sich auch um Positive im Knast. Kürzlich - mehr als zehn Jahre nach der Entdeckung des Virus - konnte die AIDS-Hilfe zum ersten Mal eine Fachtagung an der Justizschule zum Thema »Aids im Vollzug« veranstalten, unter anderem mit einem Schwerpunkt »Frauen«.
»Einfach einmal zusammen Kaffee trinken, ein bißchen reden, Sozialkontakte wiederherstellen«, das ist wohl die wichtigste Hilfe, die Betreuerinnen bieten können. Helga Pieper energisch: »Ob sie ihre Mutter sehen wollen oder nicht, ich stelle den Kontakt her, und bis auf einen Fall hat das auch geklappt.« Meist ist die Verbindung der Frauen zu ihren Eltern, Partnern, Kindern oder Geschwistern schon vor der Infizierung abgebrochen. Es geht darum, für die Zeit nach der Haft wieder ein Netz aufzubauen. »Oft sind wir die einzige Anlaufstation«, sagt Steffens. »Manchmal erhalten wir Anrufe aus den Anstalten: Übermorgen werden die und der entlassen und brauchen ein Bett. Dann stehen wir da.«
Das eherne Prinzip, »im Knast wird nicht gestorben«, führt zu solchen überhasteten Entlassungen in den Schoß der AIDS-Hilfen. Manchmal jedoch gelingt eine Stabilisierung der Außenbeziehungen. Beate Schanzenbach: »Ich habe gerade eine Frau, Mitte 30, seit ihrem 13. Lebensjahr süchtig, jetzt mit Methadon substituiert. Die Frau hat eine Tochter und dadurch, daß sie positiv ist, sozusagen das Leben und ihre Tochter neu entdeckt. Mit der plötzlichen Bewußtheit der Endlichkeit des Lebens versucht sie jetzt, auf sich und das Kind zu achten.« Helga Pieper beobachtet, daß die Frauen durch die Krankheit ihren eigenen Körper neu entdecken, »sich wieder darum kümmern«.
Immer noch ist das Engagement der Betreuerinnen der AIDS-Hilfe unerläßlich: Sie sind es, die darauf drängen, daß in der Haft saubere Spritzbestecke zugänglich sind, daß die Medikamentenversorgung und -kontrolle klappt, daß aufgeklärt wird, welche Arzneien bei Frauen anders wirken als bei Männern. Diese medizinisch-therapeutische Perspektive ist schwer über die Haft hinaus aufrechtzuhalten. Steffens: »Die Medikamente müssen genau nach Uhrzeit und Plan eingenommen werden, das ist bei einem Leben, das durch den Beschaffungsdruck für Drogen geprägt ist, quasi unmöglich.« Die AIDS-Hilfe NRW fordert, daß nach der Haft so lange weiter mit Methadon substituiert wird, wie die Abhängigen das wollen. Steffens fordert, nach dem bundesweit einmaligen »Kondomerlaß« der NRW-Landesregierung für Männer im Knast auch kostenlose Kondome für Frauen. »Es gibt schließlich Freigängerinnen und Hafturlauberinnen. Grundsätzlich ist die Bereitschaft von Frauen, mit der Ansteckungsgefahr verantwortungsvoll umzugehen, größer als bei Männern.«
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Sonja Hegasy, Rabat
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