GENDER, KRIEG UND GEWALT Berichte über Kriege und ethnische Auseinandersetzungen drängen Frauen in die Opferrolle - feministische Forschung beginnt, sie aus dem Klischee zu befreien
Frauen als namenlose Opfer, als flüchtende oder vertriebene Mütter oder Trauernde über Gräbern: So manifestiert sich über die Medien das Weibliche im Krieg. Selbstverständlich sind Frauen und Kinder Opfer von Kriegen, aber Frauen sind auch Handelnde, sind auch Täterinnen, vielleicht Widerständige, selten Entscheidende, auf jeden Fall Angehörige identifizierbarer Gruppen, ethnischer oder religiöser Mehr- oder Minderheiten, auf der Seite der "Guten" oder der "Bösen". In den einzelnen Phasen bewaffneter Konflikte wie Kriegsvorbereitung, Widerstand, sexualisierte Gewalt, Vertreibung und Kriegsberichterstattung ist immer auch das Geschlecht als Kategorie der Analyse evident - aber weitgehend außerhalb des generellen analytischen Blickw
ckwinkels. Die Differenzierung von Geschlechterrollen in gewalttätigen Auseinandersetzungen, in Kriegen ist kein Gegenstand, der in den entsprechenden Wissenschaften große Aufmerksamkeit der Forschenden genießt.Ruanda, Sri Lanka, Palästina, Jugoslawien, Iran - Länder, in denen Kriege und Konflikte stattfinden, von denen Frauen sehr viel anders betroffen sind als Männer. Die Forschung zur Geschlechterperspektive auf Krieg und Nationalismus ist jedoch höchst lückenhaft und uneinheitlich. Malathi de Alwis, die am Internationalen Zentrum für ethnische Studien in Colombo, Sri Lanka, arbeitet und neben ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit in den USA in der Frauenfriedensbewegung ihres Heimatlandes aktiv ist, stellt das Phänomen der "demonstrierenden Mütter" heraus, eine Bewegung, die man auch aus Argentinien, Russland oder Nordirland kennt. Frauen, so die Erfahrung, erlangen in ihrer Reduktion auf die Mutterrolle eine hohe Glaubwürdigkeit als Widerständlerinnen, weil sie für "ihre Kinder" gegen Gewalt protestieren - ihre "Macht" ist die der liebenden Sorge, nicht die der politischen Gegenstrategie - eine solche wird ihnen weder zugetraut noch angetragen. Dennoch: de Alwis betont die Wandlung, die diese Mütter durch ihren Protest selber erfahren, weil sie damit "aus dem Haus Gehende" werden, ihren privaten, hergebrachten Bezugsrahmen Verlassende.Das universelle Symbol der Mütterlichkeit, als Bewahrendes und Behütendes gegen das Vernichtende des Krieges kann sogar die ethnische oder religiöse Zugehörigkeit der Frauen in den Hintergrund drängen. Politische Machtstrukturen ändern kann es jedoch nicht. Ihre individuelle Sprachlosigkeit haben solche "Mütterbewegungen" überwunden, ihre Sprache finden Frauen in Ruanda gerade wieder. Jose Kagabo, in Paris lehrender Soziologe, sieht in den Massenvergewaltigungen in seiner Heimat während des Bürgerkrieges den Rahmen, in dem erstmals in der Geschichte des Landes überhaupt das Thema Vergewaltigung zu einem erzählbaren Verbrechen wurde. Zur Zeit der Kolonialherrschaft und auch danach war es das nicht, damit scheinbar weder privat noch als kriegsimmenantes Verbrechen existent. Aber noch ist Vergewaltigung im Krieg ein Tabu in vielen kriegführenden Ländern.Gibt es Unterschiede zwischen Gewalt in Kriegszeiten, die sich sexuelle Praktiken zunutze macht, und dem gleichen Vorgang in Friedenszeiten? Sind Soldaten so brutalisiert, dass ihre Vergewaltigungen - aus der Täter-, nicht aus der Opfersicht - in einem anderen Begründungszusammenhang gesehen werden müssen, als die Verbrechen "ziviler" Vergewaltiger? Diskussionen, keine Antworten, keine brauchbaren Forschungen. Wohl aber die Erkenntnis, dass die erzwungene "rassische Mischung" durch Vergewaltigung, die archaische Deutung des erzwungenen Kindes als der männlichen "Rasse" angehörend und sie vermehrend, ungemein aktuell ist: "Feindfrau gebiert ein Freundkind", nennt dies Mirjana Morokvasic-Müller, die über Mischehen in Jugoslawien und die jugoslawischen Kriege geforscht hat."Es ist schwierig, sich aus der Ethnisierung der Konflikte herauszuhalten", sagt Morokavsic-Müller. Ihre Frage: "Wie können wir als Akademikerinnen und Feministinnen gegen Nationalismus, Ethnisierung, Fundamentalismus die universelle Geltung von Frauenrechten einfordern? Dies ist um so schwieriger, als wir sehen müssen, dass es das perfekte Opfer genausowenig gibt wie den perfekten Aggressor, das erstere weiblich, der letzterere männlich." Frauen als Akteurinnen in bewaffneten Konflikten werden übersehen und müssen als Gegenstand der Forschung entdeckt werden. Auch dies ist ein Weg, Frauen politisch sichtbar zu machen, ihre Möglichkeiten zur Sprachfähigkeit zu erweitern. Oder, wie es die Bochumer Sozialwissenschaftlerin Paula-Irene Villa formuliert, wie kann eine feministische, nicht-eurozentristische Perspektive gegen den Mainstream der Militarisierung von Gesellschaften organisiert werden?"Geschlecht, Krieg und Gewalt" hieß ein Workshop, gestaltet von der Marie-Jahoda-Gastprofessur für internationale Frauenforschung (Ruhr-Universität Bochum) und den Lehrstühlen für Journalismus und Film-und Fernsehwissenschaft des Netzwerks Frauenforschung NRW. Die Marie-Jahoda-Gastprofessur, die erste internationale Gastprofessur an einer deutschen Universität, ist seit 1995 Bestandteil des nordrhein-westfälischen Netzwerks Frauenforschung und dient dem Ziel, ausländische Wisenschaftlerinnen einzuladen, die für die Weiterentwicklung der Frauenforschung wichtig sind. Derzeit ist sie mit der in Paris lehrenden Migrationsforscherin Mirjana Morokvasic-Müller besetzt.Infos:
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