Parlamentarierinnen der »Stunde Null«

ENTDECKUNGEN Kaum bekannt sind heute die Frauen der ersten Legislaturperioden des Deutschen Bundestages

Louise Schroeder als Regierende Bürgermeisterin im Nachkriegs-Berlin, Elisabeth Schwarzhaupt als erste Ministerin der Bundesrepublik, Käthe Strobel als erstes weibliches SPD-Kabinettsmitglied: Drei wichtige Politikerinnen aus den fünfziger und sechziger Jahren, die noch einigermaßen bekannt sind. Ganz anders sieht es mit Frauen wie Maria Ansorge, Helene Weber, Margot Kalinke und Marta Schanzenbach aus.

Die Frauenforscherin und Sozialwissenschaftlerin Regine Marquard hat, angesichts einer offensichtlich höchst mageren Quellenlage und erschreckend unvollständigen Archiv situation, über diese für die Nachkriegspolitik bedeutenden Frauen ein verdienstvolles Buch geschrieben. Verdienstvoll, weil die wenigsten dieser Parlamentarierinnen in, so muss man es wohl nennen, »weiblicher Bescheidenheit«, mit Selbstzeugnissen ihren Werdegang, ihre politischen Prägungen oder ihre unbestreitbaren Leistungen im Bundestag festgehalten haben - und weil sich bislang die HistorikerInnen ihrer kaum angenommen haben. Einzig die ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete Renate Lepsius hat einige persönliche Interviews mit ihren Vorgängerinnen geführt, auf die sich Marquard in Teilen stützen konnte. Mit Käthe Strobel und Marta Schanzenbach konnte sie noch selbst sprechen.

Den Frauen, deren Lebensläufe die Autorin vor allem zur Analyse ihres politischen Wirkens nutzt, ist gemeinsam, dass sie nicht erst nach Kriegsende plötzlich zur Politik kamen. Louise Schroeder, international angesehen, hoch geschätzt von ihren WeggefährtInnen, war schon 1919, zum für Frauen frühestmöglichen Zeitpunkt, Mitglied der Nationalversammlung. Dennoch wird sie in der Forschung kaum angemessen berücksichtigt. Über die ungewöhnlich beliebte SPD-Ministerin Käthe Strobel, schon 1925 mit 18 Jahren Sozialdemokratin, aktiv in der proletarischen Jugend- und Kinderbewegung, Widerstandskämpferin gegen die Nationalsozialisten an der Seite ihres Mannes, gibt es bis heute keine Biographie. Über Margot Kalinke, als erste Frau in der Nachkriegszeit stellvertretende Fraktionsvorsitzende und alles andere als eine im Verborgenen wirkende Person, vielmehr eine angriffslustige und sachkundige Rednerin, gibt es nur biografische Skizzen zweier CDU-Kollegen. Martha Schanzenbach war die erste Frau im SPD-Präsidium, ein »Arbeiterkind«. Sie wurde 1919, erst zwölfjährig, »Schülerrätin«: Eine Frau der Tat - sie hat nichts über ihr Leben geschrieben. Auch Helene Weber war schon 1919 in der Nationalversammlung, später im Reichstag, dann Mitglied im Parlamentarischen Rat. Wie Weber war Maria Ansorge eine der sechs ehemaligen weiblichen Reichstags-Abgeordneten, die auch in den ersten Bundestag einzogen. Sie war die einzige Arbeiterin, der das gelang - eine bildungshungrige Autodidaktin, deren Werdegang nur bruchstückhaft zu rekonstruieren ist.

Eine Ausnahme ist Elisabeth Schwarzhaupt, die nicht nur die erste Bundesministerin war, sondern auch das neugeschaffene Bundesministerium für Gesundheit aufbaute: Sie schrieb eine Autobiographie, und von ihr liegen einige lebensgeschichtliche Interviews vor.

Marquards biographische Skizzen dieser so unterschiedlichen Persönlichkeiten räumen mit dem Vorurteil auf, es habe in den muffigen Fünfzigern keine bedeutenden Frauenpolitikerinnen gegeben. Trotz eingelöstem wissenschaftlichen Anspruch schreibt die Autorin verständlich, lebendig und mit spürbarem Engagement. Einleitend werden die Leistungen der Parlamentarierinnen klug in den zeitgeschichtlichen Zusammenhang eingeordnet: Die angebliche »Stunde Null« war diesen Frauen auch eine »Stunde der Frauen«.

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