Wer ab einem bestimmten Alter nicht ein bißchen Lebensstandard vorweisen kann, gilt als eine Versagerin. Dann ist irgendetwas falsch mit einem. Die Leute gucken auf einen runter.« Isabel R. ist gerade 40 und hat sich nach einem Soziologiestudium immer mit Kurzzeitjobs durchschlagen müssen. Jetzt ist sie »langzeitarbeitslos« und empfindet sich in der auf die schicke »neue Mitte« konzentrierten bundesdeutschen Gesellschaft nicht nur als arm, sondern auch als ausgegrenzt. Isabel gehört zu den zehn Prozent aller Frauen in Deutschland, die mit weniger als 1.000 Mark im Monat auskommen müssen - und aus dem gesellschaftlichen Leben verschwinden.
Nicht nur Rentnerinnen, die aufgrund lückenhafter Erwerbsbiografien mit Minirenten auskommen müssen
üssen, auch Frauen wie Isabel - alleinstehend, erwerbslos - gehören zu jenen weit über zweieinhalb Millionen Menschen in Deutschland, die Sozialhilfe bekommen und in ihrer Mehrheit weiblich sind. Das Sozialhilferisiko ist für Frauen generell höher als für Männer. Arbeitslosigkeit, die häufigste Ursache für Sozialhilfe, macht Frauen ärmer als Männer, weil sie ein Drittel weniger verdienen.Wieviele Frauen wirklich Anspruch auf Sozialhilfe hätten, weiß niemand, denn immer noch ist die Scham oft größer als die Inanspruchnahme gesetzlicher Rechte. Das höchste Risiko, in Deutschland Sozialhilfe beziehen zu müssen, haben alleinerziehende Mütter. Jede dritte von ihnen ist auf Sozialhilfe angewiesen, unter allen Empfänger/innen von staatlicher Stütze bilden sie die Mehrheit, gefolgt von den Rentnerinnen. Fast die Hälfte aller Haushalte von alleinerziehenden Frauen mit zwei und mehr Kindern gilt als arm - sie verfügen über weniger als die Hälfte des durchschnittlichen Einkommens.Der Grund sind oft mangelnde oder unzureichende Kinderbetreuungseinrichtungen. Für die dreifache Mutter Hedel W., gelernte Bauingenieurin, ist der Anspruch auf einen Kindergartenplatz keine Lösung: »Ein Kindergartenplatz, der keine Über-Mittag-Betreuung anbietet, macht eine Halbtagsarbeit schwierig und Ganztagsarbeit unmöglich. Fast allen Kindern über sechs Jahren steht gar keine Betreuung zu und Ganztagsschulen haben sich auch nicht durchgesetzt.« Die Bauingenieurin suchte deshalb einen Halbtagsjob, vergeblich. Nach jahrelanger Arbeitslosigkeit studiert sie nun Sozialpädagogik.Sie hält, anders als Isabel R., mit ihrer schwierigen Situation nicht hinter dem Berg und engagiert sich im Kölner Arbeitslosen Zentrum e.V. (»KALZ«), das auch Beratung und Betreuung bei Armut anbietet. Hedel W. war eine der »Betroffenen«, die das »KALZ« gemeinsam mit dem evangelischen Kirchenkreis Köln-Mitte zu ihren Tagungen und Symposien »Frauenstimmen gegen Armut von Frauen in Köln«(*) einlud.»Unser Verständis von Armut«, sagt »KALZ«-Mitarbeiterin Wiltrud Derks, »bezieht die Situation der Unterversorgung in den verschiedenen Lebensbereichen ein, also Einkommen, Arbeit, Wohnen, Gesundheit, Bildung und Teilnahme am gesellschaftlichen Leben.« Armut macht einsam und bedeutet eben viel mehr als Geldmangel. Isabel R.: »Ich lebe in einem heruntergekommenen Haus, in das ich niemanden einladen möchte, ich kann nicht mit Männern ausgehen, weil ich nichts Gutes anzuziehen habe, ich kann auch keine kennenlernen, weil ich mir Kurse, Kino oder Urlaub nicht leisten kann.«Hedel W. empfindet es als »ungeheuer anstrengend, immer an Kleidung und Essen zu sparen, nach jedem Sonderangebot zu fahnden, ständig zu rechnen, ob es auch mal Fleisch geben darf. Wir gehen weder essen, noch ins Kino, wir verreisen nie und haben kein Auto.« Sie hat aber kein Problem, um Hilfe zu bitten: »Für die Kinder bekomme ich Kleider von wohlhabenden Bekannten, die sind froh, daß sie die Hosen und Jacken los sind.« Institutionalisierte Netzwerke von betroffenen Frauen gibt es in Köln nicht. Wiltrud Derks: »Nach unserer Erfahrung entstehen Selbsthilfeprojekte erst, wenn die Not nicht mehr ganz so groß ist. Die Frauen helfen sich schon untereinander, aber vor allem dort, wo die Umgebung gleichfalls arm ist. Es gibt Straßenzüge, in denen man in zweiter oder dritter Generation vom Sozialamt abhängig ist, da geht man offener damit um.«Die rot-grüne Bundesregierung, angetreten mit dem Versprechen, mehr soziale Gerechtigkeit herzustellen, hat bislang wenig zur Entspannung der Situation getan, die nach 16 Jahren Kohl-Regierung dramatisch ist. Soeben wurde ein weiterer Anstieg der Sozialhilfekosten um 2,9 Prozent auf über 39 Milliarden Mark gemeldet. Bundesfrauenministerin Christine Bergmann hat das Problem der Frauenarmut zweifellos erkannt und zu Beginn des Jahres die »Bekämpfung von Armut« zu »den Schwerpunkten« ihrer Politik ernannt. Ihr Gleichstellungsprogramm allerdings fällt hinter den Koalitionsauftrag zurück: Statt Frauenfördermaßnahmen zur Bedingung für die Vergabe öffentlicher Aufträge an die Privatwirtschaft zu machen, flüchtet Bergmann ins Beliebige: Die Bundesregierung solle die Möglichkeit prüfen. Auch bei der Herstellung der Lohngleichheit blieb es bei einem Prüfauftrag. Für Frauen ändert sich die Realität dadurch nicht. Beim Bündnis für Arbeit sitzt Bergmann nicht einmal mit in der Runde.Bislang sind Bergmanns Vorhaben - eigenständige Alterssicherung von Frauen, Verbesserung der Situation von Alleinerziehenden - keinen Schritt vorangekommen. »Es ist nicht länger hinnehmbar«, sagte die Ministerin im Januar, »daß Alleinerziehende ganz überproportional auf Sozialhilfe angewiesen sind.« Es wird aber weiterhin hingenommen, denn an dem Hauptproblem der Alleinerziehenden hat sich noch nichts geändert: Krippen- und Hortplätze fehlen ebenso wie familiengerechte Arbeitsplätze und -zeiten. Statt dessen ist die Bezugsdauer von Sozialhilfe gewachsen und fast eine Million Kinder unter 18 Jahren sind auf Sozialhilfe angewiesen.Bergmann beginnt keine strukturellen Reformen. Statt dessen - oder immerhin? - setzt sie eine noch von der schwarz-gelben Regierung initiierte Idee fort. Das Ministerium fördert bis zum Jahr 2000 in mehreren Städten ein Projekt zur beruflichen Förderung von alleinstehenden wohnungslosen Frauen.Bezogen auf die zunehmende Frauenarmut in Deutschland ist der Verweis auf solche Einzelprojekte eigentlich ein Armutszeugnis für die Bundesregierung.* Dokumentation und Infos bei: KALZ, Helmholtzstr. 76, 50825 Köln
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