Wegen besonders schwerer Brandstiftung und Körperverletzung steht ein junger Mann vor dem Kölner Landgericht: Als seine zweite Frau ihn endgültig verlassen wollte, zündete er ihre Wohnung an. Die Katzen der Frau verbrannten, das Haus mit acht Parteien wurde restlos zerstört, einige Mieter erlitten erhebliche Rauchvergiftungen. Hartmut R. ist Alkoholiker und ehemaliger Hooligan.
Wenn Menschen wegen schwerer Straftaten vor Gericht stehen, haben sie vor der Verhandlung in Untersuchungshaft gesessen. Dort sind sie von Gutachtern untersucht, von Verteidigern und Ermittlern befragt, gelegentlich von Sozialarbeitern betreut, von Psychologen behandelt worden. Von diesen Fachleuten, die eine berufseigene Sprache sprechen, lernen die Angeklagten, wie sie sich über sich s
über sich selber und die ihnen zur Last gelegten Taten vor Gericht äußern. Sie formulieren Sätze, die sie in ihrem früheren Leben nicht gesagt hätten, sie benutzen Worte, von deren Existenz sie vorher nichts wussten. Bei kleineren Delikten, die ohne Gutachter, ohne Untersuchungshaft verhandelt werden, redet der Räuber, der kleine Dealer so, wie er mit seinen Kumpels spricht. Der wegen schwerer Brandstiftung und Körperverletzung angeklagte Kraftfahrer aber sagt beispielsweise: "Die Beziehung zu dieser Partnerin war nicht speziell auf das Sexuelle bezogen." Er hat gelernt zu abstrahieren, Worte zu sagen, die Gutachter, Sozialarbeiter oder Verteidiger benutzen. Man kann sich nicht mehr vorstellen, wie dieser Mann eigentlich mit seiner Frau, seinen Freunden geredet hat und erst recht nicht, wie er gesprochen hat, wenn er betrunken war. Und das war er fast immer. Nach sieben Monaten in Untersuchungshaft spricht Hartmut R. also seltsam gestelzt und weit von sich selber entfernt von "Partnerin" und "Beziehung", "Kindesentzug" und "schmerzlichen Ereignissen", will "meinen Willen kundtun". Er ist seit einigen Wochen trocken. Das wird ihm vor Gericht von einer "Kreuzbund"-Gruppe, an der er im Gefängnis teilnimmt, bestätigt. Nun muss er wohl seine eigene und eine nüchterne Sprache erst wieder finden.Hartmut R. soll erzählen, wie es ihm ergangen ist im Leben. "Alles hat ja Wurzeln", sagt der Richter. Der Angeklagte orientiert sich an vorbereiteten Notizen. Er ist ein dünner und sehr blasser, ordentlich gekleideter und frisierter junger Mann, der mehr Schultern zeigt, als er hat. Der 29-jährige wuchs mit seiner Schwester hauptsächlich bei seiner Großmutter auf, da seine Eltern geschieden waren. Das Sorgerecht hatte der Vater, auch er war Alkoholiker. "Die Mutter wurde mir vorenthalten." Mit 14 Jahren erste Alkohol exzesse, erste Freundinnen, dann "mein mangelhaftes Interesse an der Berufsschule". Er tummelt sich bis 1993 in der Hooligan-Szene, hat fünf Eintragungen wegen Schlägereien. "Das war eine große Dummheit und mein Drang, dazu zugehören." Eine Freundin wird schwanger, es folgen zwei Fehlgeburten und die Heirat. "Wir haben versucht, eine Familie zu sein." Er lernt 1993 Silke kennen, die ist gerade 15, es gibt ein kompliziertes Hin und Her zwischen den Frauen, die Ehefrau wird wieder schwanger, er zieht zu Silke. "Ich war fasziniert von ihrer Klugheit", kehrt zurück, als sein Kind geboren wird, "das schönste Ereignis meines Lebens", schließlich die endgültige Trennung, "Kindesentzug", "Saufexzesse", die Scheidung. Er gibt schließlich das Kind dem neuen Mann seiner Frau zur Adoption frei. "Das waren schmerzliche Ereignisse." Arbeit hatte er immer, als Lagerarbeiter, Kraftfahrer, "ich kann arbeiten wie ein Pferd".Mehr als eine Stunde berichtet Hartmut R., wie er Silke heiratet, trinkt, schon mal eine Freundin hat, "aber ich habe nie ein Hehl über meine Gedanken gemacht". Er unterstützt Silke bei ihrer Lehre, aber "man lebte sich auseinander". "Ich war besessen davon, eine Familie zu haben und habe mich in so eine Art von Hörigkeit begeben, ich habe versucht, ihr alles recht zu machen, es kam aber immer wieder zu beiderseitigen Beleidigungen." Das mit der Hörigkeit bezweifelt der Richter. "Da, wo ich mich drin befunden habe", sagt Hartmut, "war nicht das Sexuelle. Ich war besessen davon, eine intakte Beziehung aufzubauen. Ich hab' im Knast einiges nachgedacht über die schlechten Sachen, die ich meiner Partnerin angetan habe, und das war eine gewisse Hörigkeit."Silke kennt sich im Internet aus, tauscht e-mails mit fremden Männern, er muss feststellen, dass sie "Bestätigung suchte für nicht so positive Dinge, die ich machte". Immer öfter gibt es Krach, handgreiflich sei er aber nie geworden, "nichts, was ungehörig wäre". Bis auf die Sache mit dem Aschenbecher, den sie geworfen hat, woraufhin er "sich hinreißen ließ, da habe ich sie unglücklich getroffen, es gab ein leichtes blaues Auge, und ich habe Rotz und Wasser geheult, mir tut das heute noch leid." Er trinkt, zieht aus und wieder ein und trinkt und zieht wieder aus und wieder ein. "Meine Abhängigkeit wurde schlimmer." Seine Frau will sich endgültig trennen, lässt die Schlösser austauschen, er macht heimlich Nachschlüssel, kommt immer wieder. Silke ist erst 21, sie versucht, alleine zu leben, gibt immer wieder nach. Sie ist eine große, sehr kräftige Frau, sie hat ihren neuen Freund mit zum Gericht gebracht, der anderhalb mal so groß und doppelt so schwer ist wie der Angeklagte, er trägt Ohrring und kaum Haare. Sie erzählt, dass Hartmut sie trotz der Trennung ständig verfolgt hat, dass er immer wiederkam, obwohl Schluss war, die ständigen Versöhnungen waren aus ihrer Sicht gar keine. Sie hatte Angst vor ihm. Sie hat ihn nun zusätzlich angezeigt wegen eines Würgeangriffs bis zur Bewusstlosigkeit bei einem solchen Besuch, einen Monat vor der Brandstiftung. Er bestreitet das. "Sie wollte mir eine wohlverdiente Ohrfeige geben, es gab eine Rangelei, halten oder würgen, was weiß ich. Es gab Streit unterhalb der Gürtellinie, ich habe meine Frau gereizt mit niveaulosen Ausdrücken." Silke hat "aus Scham" niemandem von dem Angriff erzählt, er drohte, sie und sich zu erschießen, "ich hatte Angst, dass er mich fertigmacht." Sie hat ihn aber immer wieder "auf Probe" dort wohnen lassen, er hat eingekauft, sie habe sich nicht getraut, ihn endgültig rauszuschmeißen. Silke reicht dann doch die Scheidung ein. "Ich hatte keine Lust, ihn immer durch die Kneipen zu kutschieren." Er "nächtigt" bei seiner Mutter, die eine Kneipe hat, er will das Trinken lassen, zur Suchtberatung gehen.Schließlich der Tatabend. Man sieht sich beim Fußball, Silke ist mit einer Clique von Hooligans zusammen, man trifft sich in einer Kneipe wieder, es gibt Streit, Silke will in Ruhe gelassen werden, ihre Freunde beschimpfen Hartmut. "Einige Gewaltbereite nahmen das ins Auge", sagt Hartmut in seiner angelernten Sprache. "Die wollten meine Frau vor mir beschützen, da ist für mich eine Welt zusammengebrochen." Er ist "ziemlich voll", geht in Silkes Wohnung, will im Internet gucken, was dort über ihn steht in den e-mails, die Silke tauscht mit fremden Männern. Jetzt wird es kompliziert: Angeblich will er den Spiritus, der noch von einem Fondueabend dort war, mitnehmen, angeblich hat eine Flasche getropft - oder, wie die Staatsanwaltschaft behauptet, wird der Spiritus von Hartmut R. in der Wohnung als Brandbeschleuniger systematisch verschüttet. Silke kommt in Begleitung ihrer Freunde, man beschimpft sich durch das Fenster, Hartmut oben, die anderen unten, er raus, man schlägt nach ihm angeblich mit einem Baseballschläger ("mit einem Schirm", sagt Silke, "Hooligans mit Schirmen?" fragt der Richter und schüttelt den Kopf), er wehrt sich mit Reizgas, "meine Frau genoss das, dass die mich veprügeln wollten", sie gibt zu, ihn beschimpft zu haben, "wir hatten ein Streitgespräch", er rast zurück in die Wohnung, ruft:"Komm rein, sonst zünde ich deine Katzen an." Angeblich wirft einer einen Backstein nach ihm, er knallt sich das Fenster an den Kopf, dann weiß er nichts mehr, schließlich brennt es, er bekommt die Balkontür auf und flieht. "Ich weiß nicht, wie ich das angezündet habe." "Wollten Sie ihr eins auswischen?" fragt der Richter. "So unterkühlt und gestelzt wie Sie das hier erzählen, kann das nicht gewesen sein, sie waren doch traurig und zornig." Darauf antwortet Hartmut R. nicht, sondern sagt: "Ich habe heute noch Alpträume vom Ersticken, und ich habe auch einen Hass gegen Alkohol wegen der Tat." Aber mit Absicht, nein, das hat er nicht mit Absicht gemacht. "Es tut mir leid", sagt der Angeklagte zu Silke, "ich hatte viel Zeit, mir über das Leben Gedanken zu machen und darüber, warum die Dinge bei uns weniger gut gelaufen sind. Umbringen wollte ich dich nie." Silke nickt, ohne ihn anzusehen. Sie hat eine Schadensersatzforderung über 100.000 Mark. Das Urteil lautet auf vier Jahre Gefängnis.
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