Hans-Joachim Gelberg begegnete Janosch das erste Mal, als dieser noch Horst Eckert hieß. Mehr als 30 Jahre war er dann sein Lektor und Verleger. Zu Janoschs 90. Geburtag drucken wir ein bislang unveröffentlichtes Interview, in dem Gelberg 2016 von seinen ersten gemeinsamen Büchern mit Janosch erzählte. Und von seiner langen Zusammenarbeit mit diesem Autor, dessen Sprachbild erst mal so gar nicht „pädagogisch angenehm“ war, wie Gelberg es nennt, und das später oft – aber selten überzeugend – von anderen Autoren kopiert wurde.
Das Gespräch mit Hans-Joachim Gelberg führte Ulrich Kypke, der Janosch Anfang der 1990er Jahre kennenlernte, was eine Geschichte für sich ist: Kypke war zu jener Zeit Manager einer Umwelthilfe und benötigte Figuren für eine Kampagne, mit der Kindern Dinge wie die damals noch recht neue Mülltrennung nahegebracht werden sollten. Er wandte sich an Janosch, und so entstanden Emil Grünbär und seine Bande. Kypke ist heute Vorsitzender der Janosch Gesellschaft e.V. Janosch selbst lebt seit vielen Jahren schon auf Teneriffa. Bis Ende 2019 zeichnete er noch wöchentlich eine Kolumne für das Zeit Magazin.
Ulrich Kypke: Herr Gelberg, Sie haben Janosch in den 1960er Jahren in München kennengelernt.
Hans-Joachim Gelberg: Ich war Ende der 50er, Anfang der 60er Jahre Buchhändler. Da fiel er mir zuerst auf. Ich liebte schon damals seine ersten Bilderbücher, Geschichten wie die von Valek dem Pferd oder Der Josa mit der Zauberfiedel. Aber sie verkauften sich schlecht. Damit hatte ich Schwierigkeiten. Also habe ich angefangen, mich mit Janosch intensiver zu befassen. Ich habe ihn des Öfteren besucht in einem kleinen Häuschen an einem See in Bayern. Als ich dann Lektor bei dem kleinen Paulus Verlag wurde, haben wir angefangen, selbst miteinander Bücher zu machen. Das erste war nach meiner Erinnerung Leo Zauberfloh im Jahr 1966. Den Namen Paulus Verlag haben wir allerdings bald gewechselt, denn damit konnte man ja nur katholische Kinderbücher verkaufen.
Janosch, damals noch Horst Eckert, war geprägt von seinen eigenen schlimmen Kindheitserfahrungen. Das waren die Armut und das Leben in Argwohn und Angst in dieser zerrissenen Grenzregion Oberschlesien. Janosch hat das später so beschrieben: „Mein ganzes Leben dort war so eine Scheiße, dass ich es jetzt auch noch nicht ertragen kann, aber ich habe trotzdem Heimweh. Der Gestank von dem vergifteten Rauch aus den Schornsteinen und der Dreck und mein besoffener Vater, die Nazis, die Schule! …“
Ja, diese Erlebnisse in der Kindheit waren für Janosch der Anstoß für sein Buch Cholonek oder der Liebe Gott aus Lehm. Er kam mit der Idee, dass er über seine Kindheit schreiben wollte, und ich habe ihn sehr darin bestärkt. Ich bekam dann die ersten 80 Seiten von ihm, eine erste Fassung. Da war seine Kindheit drin. Darüber haben wir viel gesprochen. Ich habe ihm gesagt, dass das ja vielleicht doch nur der Anfang ist. Ich habe ihn bestärkt, weiterzuschreiben. Ich habe ihm im Nacken gesessen, und in der Schlussphase habe ich in München im Hotel gesessen und Blatt für Blatt entgegengenommen. Mittlerweile war das Cholonek-Thema so an die 200 Seiten angewachsen, und es gab drei Fassungen.
Wieso haben Sie sich das angetan für diesen damals noch recht unbekannten Autor?
Ich habe erkannt, welche innere Kraft in diesem jungen Autor steckte. Das zeigte Janosch ja schon in seinen ersten Kinderbüchern. Ich wollte dieses Werk zu Ende bringen. Ich habe praktisch mit der Schere aus allen Fassungen etwas zusammengetragen und neu zueinandergebracht, dass aus den drei Fassungen zuerst zwei wurden. Die holte der Autor sich bei mir ab und nachts schrieb er dann, korrigierte und erstellte eine vierte Fassung. Das war das Endprodukt von .
Dieses erste große Werk hatte Kindheit, Vater, Mutter und Kirche zum Thema. Die Perspektive war ein Blick zurück voll Traurigkeit, Schrecken und Sehnsucht. Und es ging um die nachbarschaftlichen Beziehungen in diesen sehr komplizierten Kriegs- und Nachkriegszeiten. Das alles hat ihn ja offensichtlich sehr bewegt. Ist alles, was Janosch Ihnen erzählt hat, in „Cholonek“ eingeflossen?
Was ich von ihm wusste, ist in Cholonek drin. Natürlich ist einiges verändert und manches vielleicht auch verharmlost. Das Buch Cholonek hat seinen Reiz im Anklang auf Jaroslav Hašeks Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk. Spürbar ist das besonders bei allem, was die Frau Schwintek sagt. Da ist das Naive: die Welt schön finden und darüber lachen können, aber im Grunde ist alles furchtbar traurig.
Zur Person
Hans-Joachim Gelberg (1930 bis 2020) war Autor und Verleger, 1971 gründete er das Kinder- und Jugendbuchprogramm Beltz und Gelberg mit den markanten orangefarbenen Bänden. Zu seinen bekanntesten Autoren zählten neben Janosch Peter Härtling und Christine Nöstlinger
Hat Janosch mit Ihnen über die politischen Verwerfungen in seiner Familie und in der weiteren Nachbarschaft gesprochen? Offensichtlich war er schon früh anders als sein Vater orientiert, der als Vertreter für Nähgarn und Knöpfe von der Enteignung jüdischer Läden mit Sicherheit profitierte. Janosch hatte schon als Kind und Jugendlicher nichts mit den Nazis am Hut. Das war für ihn etwas Unangenehmes oder etwas, wovor man sich fürchten musste.
Janosch hat das eigentlich nicht thematisiert, jedenfalls nicht bei mir. Er hat die Gabe, etwas beiseiteschieben zu können. Vieles hat er in seine Bilder getan, und wenn man seine späteren Grafiken sieht, die sich mit der Kirche auseinandersetzen, dann weiß man, was er da ausgetragen hat. Ich glaube, dass Janosch seine Empfindungen über die Themen und Farben seiner Bilder transportiert. Über politische Dinge haben wir nie direkt miteinander gesprochen, zum Beispiel darüber, dass sein Vater für ihn ein Nazi war.
Mich interessiert, wie Sie die Nachwirkungen, die Traumata, die Janosch wohl durch sein Leben mitgeschleppt haben mag, einschätzen. Haben Sie da als Lektor, als Verleger mal nachgehakt? Ich glaube, Janosch hätte uns in dieser Hinsicht aus seiner Jugend noch eine Menge mehr erzählen können.
Ich weiß nicht, ob er dazu wirklich bereit war. Ich glaube eher nicht, und das muss man auch so akzeptieren. Janosch war und ist als Autor immer sehr eigenständig gewesen. Einen großen Einfluss auf sein Leben und seine Arbeit hatte die Zeit, als der Erfolg wie eine Flutwelle über ihn kam. Das begann 1978, als Die Maus hat rote Strümpfe an erschien – auch eine Idee eigentlich von mir –, und dann zur gleichen Zeit im selben Jahr als großer Durchbruch Oh, wie schön ist Panama. In dieser Zeit und in den folgenden Jahren überspülte Janosch der Erfolg dermaßen, dass er sich auch gar nicht mehr anders orientieren konnte für eine lange Zeit. Er hat dann später mal gesagt, dass er aus diesem Panama-Tümpel gar nicht mehr rausgekommen sei. Janosch hat auch in dieser Zeit wunderschön weitergeschrieben und gemalt dazu. Und dazu kam dieser Riesenerfolg mit weiteren Produkten. Überall waren der kleine Bär und der kleine Tiger und so weiter. Man darf nicht unterschätzen, was das mit einem Autor macht, wie es ihn gefangen nimmt. Der Erfolg ist etwas Wunderbares, aber er kettet einen Autor auch an eine Sache und lässt ihn dann nur schwer los. Es entwickelt sich eine eigene Logik des Tuns. Die Folge davon war, dass Janosch in diesen Jahren nur schwer erreichbar war für eine andere Thematik.
Janosch hat ja eine sehr eigene Sprache, nach meinem Verständnis lakonisch, traurig, verletzlich. Gleichzeitig voller Lebenslust und Lebenswut, und so äußert er sich auch in seinen Büchern, Artikeln und Briefen. Was macht seine Sprache mit den Lesern, ob erwachsen oder jung; können Sie das auf den Punkt bringen?
Janosch hat mit seiner Sprache eine neue Poetik geschaffen, die es in dieser Form meines Erachtens nicht gab. Ich habe als Lektor bei seinen ersten Texten zunächst gezweifelt, ob man das so machen kann. Vieles war ja grammatikalisch nicht ganz in Ordnung. Nun haben Kinderbücher die verteufelte Aufgabe, es immer wieder den Pädagogen recht machen zu müssen. Und da hat Janosch ein Sprachbild geschaffen, das nicht pädagogisch angenehm war. Seine Poetik ist widerborstig, sie verkürzt und sie nimmt ein Fantasiegebilde auch bis in die Sprache mit. Das ist etwas, was heute entzückt und was die Leute begeistert, aber damals am Anfang habe ich zunächst sehr gestutzt. Ähnlich ist es mir mit Christine Nöstlinger gegangen, mit ihrem wienerischen Dialekt. Mein Versuch, daran etwas glätten oder verändern zu wollen, ist total gescheitert.
Wenn man Janosch fragt, dann sagt er stets, vielleicht um Nachfragen sarkastisch abzuschneiden, das Bücherschreiben habe er nur nebenbei betrieben, weil er Geld brauchte. Sein eigentliches Ich sei, Bilder zu malen. Blickt man auf sein gewaltiges bisheriges Lebenswerk, sagt dies etwas anderes.
Ich habe mich oft gewundert. Janosch ist eigentlich ein Maler, ein Zeichner. Dass er zur Sprache gefunden hat, war ein langer Weg. Entscheidend für seine Entwicklung hin zum Schreiben war aus meiner Sicht der Cholonek. Ich selbst bin Besitzer eines seiner wenigen Ölgemälde, das Hochzeitspaar. Das habe ich ihm damals abgekauft für wenig Geld. Unter Kennerkreisen werden Janosch-Grafiken gesammelt und verkauft. Aber ich habe den Eindruck, die Kunstwelt hat keinen wirklichen Bezug zu seinem zeichnerischen Werk.
Was wird bleiben von ihm?
Es geht mit Janoschs Kunst wie mit aller Kunst. Sie bleibt eine gewisse Zeit und dann wird sie Bodensatz. Natürlich bleibt viel von Janosch, lange, lange Zeit. Aber es entsteht in jeder Zeit, in jeder Generation neue Kunst und andere Kunst.
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