Deutschlandfunk ist auf facebook. Und fragt die Community: Eltern lassen "weniger leicht los" - Ist das die Erklärung für den Schülerschwund in den Internaten?
Verlinkt wird auf ein DLF-Interview von Sandra Pfister mit dem Vorsitzenden des Verbandes Katholischer Internate und Tagesinternate (V.K.I.T.), Dr. Christopher Haep, ausgestrahlt am 05.05.2015 in der Sendereihe "Campus und Karriere", das der Header folgendermaßen auf den Punkt bringt:
>> Vielen deutschen Internaten kommen die Schüler abhanden. Aber schon vor den Missbrauchsskandalen hätte bei den Internatsschulen ein "Umbruchprozess" begonnen, betonte der Vorsitzende des Verbandes katholischer Internate, Christopher Haep, im DLF. Der Schülerschwund habe sowohl mit dem Ausbau der Ganztagsbetreuung als auch mit einem veränderten Verhalten der Eltern zu tun: Sie ließen "weniger leicht los". <<
Welche Strategie die katholische Kirche in Sachen Missbrauchs- bewältigung hier verfolgt (Interessante Frage zum Zustandekommen des Interviews: Wer hat dieses eigentlich angeregt? Der Sender oder die Kirche?), wird aus Pfisters Beitrag schnell deutlich. Es ist die alte Abwiegelungs- und Vernebelungstaktik unterhalb der amtskirchlichen Bußfertigkeits-Rhetorik, die mittlerweile sattsam bekannt und Teil eines skandalösen Aufarbeitungsgeschehens ist, das diesen Namen kaum verdient:
- Andere haben doch auch...
- Die Ursachen sind vielschichtig...
- ...und vor allem ganz andere als die nahe liegenden.
So sucht man schnell weg zu kommen von dem unangenehmen Dauerthema, das beim publizistischen Kehraus so schnell wie möglich raus muss; erst aus den Schlagzeilen, dann aus den Köpfen. Doch der Weg ins letzthin Gute der Amnesie ist mit Fettnäpfen so dicht gepflastert wie der Weg einer Fronleichnamsprozession mit gottgefälligen Blumenteppichen.
Ach, wie ackert doch der Kehraus..., pardon: Missbrauchs-beauftragte der katholischen Kirche, der Trierer Bischof Dr. Stephan Ackermann, im Weinberg des Herrn, um den Missbrauchsskandal "zu bewältigen", wie das immer so schön heißt. Wobei es nie darum ging und gehen durfte, den tatsächlichen Umfang der Verfehlungen von Geistlichen zu dokumentieren. Dadurch würde man ja keine "Glaubwürdigkeit zurückgewinnen" (sprich: die Täterorganisation rehabilitieren), sondern allein schon durch die dokumentierte Zahl der Fälle die Glaubwürdigkeit der Opfer stärken, die in der Aufarbeitungsstatistik bislang verniedlichend als "noch nicht befriedigte oder zufriedenstellend geregelte Einzelfälle" geführt werden.
Hier von Einzelfällen zu sprechen, ist ein beliebter Trick, mit dem folgsame Bürokraten oder Wissenschaftler die in desorganisierten Institutionen oder aus dem Ruder laufenden gesellschaftlichen Prozessen angelegten Systemfehler verharmlosen; weil nicht sein kann, was nicht sein darf, weil Gegenmaßnahmen zu teuer wären, weil gesellschaftliche Institutionen oder Zustände erhalten werden sollen, die aus organisationstheoretischer Sicht schlichtweg Missgeburten sind und abgeschafft gehörten.
Und mag die Summe der vermeintlichen Einzelfälle das gesamte System noch so sehr entlarven und in Frage stellen, so ermöglicht das Beharren auf der Einzelfallbetrachtung doch immer die euphemistische Schlussfolgerung: "Es war/ist nicht alles schlecht." Über die Zeit des Nationalsozialismus urteilen so laut Umfrage des "Standard" noch heute 42 Prozent der Österreicher. Und viele ehemalige DDR-Bürger teilen diese relativierende Sichtweise auch im Hinblick auf die Verhältnisse im untergegangenen Arbeiter- und Bauernstaat.
Bei Bischof Ackermann lautet die verharmlosende Zauberformel: "Kirche ist mehr als Missbrauch" (Ackermann im Interview mit der FR). So kann man sich auch außerhalb der Eucharistiefeier die böse Welt schön trinken. "Nich' lang schnacken, Kopp in'n Nacken" (beliebtes Internatsspiel)! Das hat sich ja schon als Verdrängungsritual bei den Missbrauchsopfern bestens bewährt. Und in dieser Körperhaltung sieht man dann auch nicht so viele Einzelfälle, dass dieser Begriff sich von selbst verbieten würde, sondern richtet die Augen zum Himmel, auf das Höhere, in die Zukunft - wo schon das zurückgewonnene Vertrauen grüßt. Statt Erbsen (sprich: Übergriffe, Täter, Opfer, Einrichtungen) zu zählen, wird geschickt auf eine Agenda von Missbrauchsbe-wältigungsaufgaben abgelenkt (Quelle Interview FR ):
- "Wir müssen das, was wir zur verbesserten Prävention zu Papier gebracht haben, jetzt auch konsequent umsetzen."
- "Und wir werden die Ursachen sexuellen Missbrauchs von Kriminologen und forensischen Psychiatern wissenschaftlich erforschen lassen."
- Aber vor allem: "Das braucht eine gewisse Zeit.
Ja, Augen auf bei der Auswahl der richtigen Bewältigungs-strategie. Und da sehen wir sogleich, dass die listig durch ihre randlosen Brillen blinzelnden Kirchenmänner sich hier nicht etwa auf das Modell des "fleißigen Arbeiters im Weinberg des Herrn" geeinigt haben, wie dies der wohlwollende Beobachter voraussetzen würde, sondern auf das Vorbild einer noch bescheideneren Weinbergbewohnerein: Der Weinbergschnecke, einer gleich der ebenfalls äußerst geschmeidigen römischen Kirche perfekt angepassten "Überlebenskünstlerin" (Planet Wissen) aus der Gruppe der Weichtiere. Genial, diese Wahl! Denn über deren charakteristische Eigenschaften lesen wir:
"Zur Fortbewegung, die zumindest bei den Landschnecken sprichwörtlich langsam erfolgt, nutzen die Schnecken einen Fuß, mit dem sie an nahezu allen Untergründen Halt finden.
[...] Der Körper vieler Schnecken wird durch ein Gehäuse aus Kalkverbindungen geschützt. Dieses ist häufig zu einer Spirale verdreht. Es gibt aber auch viele Schnecken, die dieses Schneckenhaus bis auf einen minimalen Ansatz zurückentwickelt haben, die sogenannten Nacktschnecken. Bei ihnen findet man oft andere Schutzmechanismen. Sie können bitteren Schleim absondern oder schützen sich sogar mit Giften."
So gut Weinbergschnecken mit ihren vier Fühlern auch zu riechen und zu tasten vermögen und mit ihrer Raspelzunge auch festere Nahrung zerkleinern (hier sieht man sowohl lüsterne Beichtväter, Ordensmänner und -frauen im aufopferungsvollen pädagogischen Alltag als auch die kirchlichen Aufklärer im Aktenarchiv förmlich vor sich!), so wenig entwickelt ist ihr Auge. Dessen Linse lässt sich nämlich nicht scharf stellen, da sie keinen Linsenmuskel besitzt. Außerdem enthält die Netzhaut einer Weinbergschnecke nur zwei Typen von Sehsinneszellen. Das reicht nicht aus, um Farben darzustellen. Da die Linse nicht scharf gestellt werden kann, ist weiterhin davon auszugehen, dass das Bild, das die Weinbergschnecke sieht, eher unscharf ist. Wie einfache Versuche ergeben haben, können Schnecken Hindernisse aber gut vermeiden und kriechen darum herum. (Link zur Quelle).
Gibt es eine schönere Metapher für die kirchliche Missbrauchsbewältigung? Das volle Programm, Alter: Sich zeitlupenartig in der eigenen schleimigen Fußspur vorsichtig voran tasten, die Fühler blitzartig zurück ziehen, wenn man auf Hindernisse stößt, und dann drumherum kriechen. Hören kann und muss man nix. Und was ins Blickfeld gerät, bleibt unscharf und in schwarz-weiß. Was sind dagegen die berühmten "drei Affen der Weisheit"? Stößt man - rein zufällig - mit weinbergschneckenartiger Sinnesschärfe auf belastende Akten, dann heißt es: Kommando Pimperle! Oder besser Pimmele. Oder noch besser: "Kommando Raspelzunge"! Und weg sind die Akten mit den Nackten.
Stöbert man ein wenig in nichtkirchlichen Archiven, dann stößt man auf eine Missbrauchsdebatte, die bereits wesentlich älter ist als das Skandalkarussell seit März 2010. "Als der Papst die amerikanischen Bischöfe für eine Vielzahl sexueller Übergriffe rügte, begann eine weltweite Debatte", schreibt DER SPIEGEL im Juli 2002. "Nur die deutschen Bischöfe taten, als gehe sie die Problematik nichts an. Tatsächlich gibt es Parallelen zu den USA - auch die deutschen Opfer wollen nicht länger schweigen."
Ja, es "braucht alles eine gewisse Zeit". Und Zeit vergeht. Mach es wie die Sonnenuhr, zähl die schönen Stunden nur. Ist eben ein Unterschied, ob man am Kreuz hängt oder zu dessen Füßen gemütlich betet. Und nach der ersten Missbrauchsdiskussion kommt eben die zweite. Und nach der ersten Untersuchungskommission zum sexuellen Missbrauch, die auch nur auf politischen Druck hin eingesetzt wurde, kommt dann irgendwann mal die zweite. Und vor allem: Nur net hudele und nicht zu viele Details! Transparenz ist zwar machbar, Herr Nachbar - wie zum Beispiel in den benachbarten Niederlanden. Zehntausende Missbrauchsfälle seit 1945 hat da eine Untersuchungskommission zutage gefördert. Im Zwergstaat Holland, wohlgemerkt. Holla(nd) die Waldfee. Das rechne einer mal auf Großdeutschland hoch. Da wäre aber nicht nur Holland in Not.
Der mangelnde Aufklärungseifer der deutschen Bischöfe, nur das sollte mit unserem kleinen Abstecher in Fauna und Flora demonstriert werden, ist also beileibe kein Zufall. Und der treuherzig-gequälte Augenaufschlag eines Stephan Ackermann beim Thema Missbrauchsbewältigung, was mit Aufklärung ja nun wirklich rein gar nichts zu tun hat, erscheint infolgedessen nicht vertrauenswürdiger als der seines Namensvetters Josef von der Deutschen Bank. Geld verdirbt eben den Charakter - hier wie da. Daher sollte man doch bitte nicht glauben, dass die "Aufklärer" bei ihren Bewältigungsaktivitäten weniger planvoll vorgehen als die Täter.
Vielleicht sieht man ja bald auch den in der Kriechspur der Missbrauchsbewältigung bedächtig vor sich hin raspelnden Kirchenmann irgendwann mit dem Siegeszeichen seines Banknachbarn im Geiste, Josef. Zur Aufklärungsbewälti-gungsfeier im Jahr 2025 vielleicht, anlässlich des dann mindestens siebten "interdisziplinären Forschungsverbundprojekts" zum Thema sexueller Missbrauch in der katholischen Kirche, das dann aber wiederum die unter den katholischen Einrichtungen weit überweigende Zahl der Ordensschulen und -internate ausklammern müsste, wie Bischof Ackermann dies bereits im Zusammenhang mit der Kritik an der Zweitauflage der Expertenuntersuchung zu rechtfertigen versucht hat:
>> Es geht um eine Erhebung quantitativer Daten zur Auftretenshäufigkeit und zum Umgang mit Missbrauchshandlungen an Minderjährigen durch Geistliche im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz", erläuterte Ackermann. Er räumte ein, dass damit entgegen den Erwartungen von Betroffenen die Fälle an Ordensschulen oder -heimen ausgeklammert bleiben: "Das überschreitet unsere Kompetenz. Zudem ist die Aufarbeitung etwa zum Aloisiuskolleg schon geleistet worden." <<
"Doch auch unsterblich ist die Pfaffenlist", heißt es in Goethes Drama "Des Epimenides Erwachen". Und so schafft der fromme Ackermann es nicht nur mit Hilfe des vorgegebenen Forschungsdesigns, die quantitativen Daten zur Auftretenshäufigkeit von Missbrauchshandlungen möglichst herunter zu manipulieren. Er überfrachtet den Untersuchungsauftrag der neuen Kommission noch mit so vielen zusätzlichen Fleißaufgaben, dass die Ergebnisse wohl erst unseren Enkeln vorliegen werden:
>> Als zweiter Schritt solle im neuen Projekt eine qualitative Aufarbeitung institutioneller Einflüsse im Sinne einer "Täter-Opfer-Institutionen-Dynamik" folgen, so Ackermann. Man wolle Einblicke in das Vorgehen der Täter und über das Verhalten von Kirchenverantwortlichen erhalten. Im dritten Schritt solle eine Zusammenführung empirischer Studienergebnisse mit den im Projekt gewonnenen Erkenntnissen erfolgen. "Neu ist also der zusätzliche Vergleich mit außerkirchlichen Strafakten und die Einbeziehung vergleichbarer Studien", so Ackermann.<<
So, so, Herr Ackermann. Da wird uns jetzt auch klar, warum "nicht der Wille zum Projekt, sondern die Form der Umsetzung [...] überdacht werden" musste. ;) + ;) oder zwinker, zwinker! Dreister und unverblümter kann man seine unredlichen Absichten wohl kaum zum Ausdruck bringen. Hält dieser Kirchenfürst die Öffentlichkeit eigentlich für blöde?
Vielleicht will sich dieser Tebarz van Elst unter den Missbrauchsbewältigern zum St. Nimmerleinstag der Vorlage des Untersuchungsberichts ja auch noch zum "brutalsmöglichen Aufklärer" (Roland Koch) krönen lassen, ähnlich wie der ehemalige Leiter des Canisius-Kollegs in Berlin, der sich zwar rühmte, die Lawine 2010 ins Rollen gebracht zu haben, dies aber Jahre früher hätte tun können, als ihm die Missetaten seiner Amtsbrüder von Schülern anvertreut worden waren.
Aktenberg und Faktenberg / wo sind sie geblieben? Aktenberg und Faktenberg / zerrieben in Cloud sieben.
Und bis es so weit ist, unterhält uns ein Herr Haep im Deutschlandfunk mit seinen Verschwörungstheorien über die tatsächlichen Hintergründe rückläufiger Schülerzahlen in den katholischen Internaten. Die also hätten ihre Ursache weniger in den Missbrauchsskandalen als vielmehr im Ausbau der Ganztagsbetreuung und einer stärkeren Eltern Kind-Bindung. Dieser "Umbruchsprozess" habe bereits vor 2010 begonnen, dem "an(n)us horribilis" für die katholische Kirche und eine Reihe teurer reformpädagogischer Internatsschulen.
Da machen wir doch gleich mal den Faktencheck, zu dem uns der Deutschlandfunk auf Facebook auffordert. "Vielleicht gibt es auch nur einfach weniger Kinder", mutmaßt da ein Facebook-Nutzer. Klingt sehr simpel, macht aber Sinn. "Immer weniger Schüler in Deutschland", meldet beispielsweise die Augsburger Allgemeine unter Berufung auf das Statistische Bundesamt bereits im Schuljahr 2008/2009 angesichts eines Rückgangs von 1,3 %. Damit setze sich der seit 5 Jahren anhaltende Trend rückläufiger Schülerzahlen fort, berichtet das "Statistische Monatsheft Baden-Württemberg 2/2010, bezogen auf dasselbe Jahr. Bis 2030 wird eine kontinuierliche Abnahme der Gymnasialschüler um zuletzt 29% prognostiziert. Diese wenigen Daten erlauben den Schluss auf eine - wenn auch nicht dramatische - "Umbruchssituation" bei den Schülerzahlen bereits vor 2010 und natürlich erst recht für die nächsten eineinhalb Jahrzehnte. Denselben Prozentanteil von Internatsschülern an den entsprechenden Schülerjahrgängen vorausgesetzt, müsste allein der demografische Faktor zu einer bis 2010 allmählichen, inzwischen aber schon fühlbareren und in Zukunft dramatischen Verringerung der Internatsnachfrage geführt haben und noch führen. Doch dieser demografische Aspekt kommt in Haeps Szenario gar nicht vor. Dies gilt auch für einen weiteren Aspekt, nämlich den recht deutlichen Anstieg der Elternbeiträge für katholische Internate. Über 1000 Euro pro Monat sind keine Seltenheit. Gleichzeitig schrumpfen die Töpfe für Kostenermäßigungen und Stipendien, denn die Kirche ist klamm. Und dies nicht zuletzt wegen der massenhaften Kirchenaustritte infolge der Missbrauchsskandale. Dass letztere sich über diese Kausalkette zumindest mittelbar auf die Internatsbelegung auswirken, kann also gar nicht bestritten werden. So dass auch folgende Aussage einer Facebook-Nutzerin zur Erklärung der Internatsflaute beiträgt: "Das ist inzwischen auch eine Frage des Geldes."
Und im selben Atemzug wird noch ein weiterer möglicher Grund genannt: "Reiche schicken ihre Kinder gerne nach GB oder CH." In der Tat hat sich der private Bildungsmarkt globalisiert. So lange katholische Internate - neben den staatlichen - zu den absoluten Billigheimern gehörten, konnte ihnen die Konkurrenz in England und der Schweiz wohl kaum Kundschaft abjagen. Doch das hat sich offensichtlich geändert, denn immer häufiger steuern katholische Internatsschulen der Premium-Klasse mit "elitären" Angeboten wie einem "bilingualen Zweig" (Englisch als Unterrichtssprache), einem Hochbegabtenzweig oder anderen Features der Abwanderung potenzieller Kunden ins Ausland entgegen.
Gründe für den Schülerrückgang an katholischen Internaten, insbesondere in den unteren Klassen, gibt es offenbar so einige. Ob allerdings die vielerorts verbesserte Ganztagsbetreuung oder elterliche Anhänglichkeit hierfür verantwortlich zu machen sind, wie Christopher Haep meint, erscheint doch höchst zweifelhaft. Viel eher scheint sich ein generell verblassender Glanz der Privatschule auszuwirken, der zumindest teilweise mit dem Ansehensverlust der Kirche durch inflationären Missbrauch in kirchlichen Bildungseinrichtungen korreliert. Katholische Privatgymnasien erlebten bis 2010 einen beispiellosen Boom, wurden geradezu idealisiert. Doch gab es sie eben nicht überall. Und viele Bewerber, die nach der Grundschule bei den kirchlichen Tagesschulen oder Ganztagsschulen um Aufnahme anstanden, mussten abgewiesen werden. Da blieb oft nur der Umweg über den Internatsbesuch. Denn dort waren die Unterstufen-Abteilungen von je her schwach belegt. Wer sich bei einem katholischen Gymnasium mit angeschlossenem Internat als "Interner" bewarb, wurde vielfach bevorzugt aufgenommen. Mit dem Abkühlen der Privatschuleuphorie sinkt aber auch die Zahl derjenigen, die ihr Kind "um jeden Preis" an einer katholischen Privatschule unterbringen wollen.
Für den von Haep beschriebenen "Umbruchsprozess" finden sich - trotz mancher vom Missbrauchs-Stigma unabhängiger Faktoren - keine wirklich überzeugenden Belege. So bestätigt sich im Grunde die Eingangsthese von einem Ablenkungsmanöver. Das Missbrauchsthema soll durch die Gegenthese einer schon vor dem Skandal einsetzenden Umbruchphase von der Diskussion über die Nachfrageentwicklung in den "Tatorten" abgekoppelt werden. Dem steht allerdings die Tatsache entgegen, dass die Missbrauchsdiskussion und die Vorwürfe einer planmäßigen Vertuschung durch Rom und die Kurie schon vor 2010 in vollem Gange war.
Haeps Ablenkungsversuch fügt sich nahtlos ein in das bischöfliche Froschkonzert heuchlerischer Absichtserklärungen, den Missbrauchssumpf und seine Ursachen nun aber auch wirklich radikal austrocknen zu wollen. Doch ist dies nicht glaubwürdiger als das "Wir tun was!" der Greenwashing-PR notorischer Umweltsünder und nicht aussichtsreicher als die NS-Durchhaltepropaganda aus den Studios der guten alten Ufa. Soll so aus dem befleckten Schwarz das "neue Weiß" werden? Und aus dem Grau einer Trümmerwüste des Ansehensverlustes das Himmelblau wiedergewonnenen Vertrauens? Viel Spaß beim Wunschonzert!
Wie heißt es doch so schön in dem Duett der beiden kleinen Detektive aus dem UFA-Klassiker "Der Mann, der Sherlock Holmes war"?
Wer hinterm Ofen sitzt
und die Zeit wenig nützt
schont zwar seine Kraft
aber wird auch nichts erreichen.
Wer aber nicht viel fragt
und geht los, unverzagt
für den gibt's kein Fragezeichen
und dergleichen, bis er's schafft.
Jawohl, meine Herren, so haben wir es gern
und von heut an gehört uns die Welt.
Jawohl, meine Herren, die Sorgen sind fern
wir tun, was uns gefällt.
Und wer uns stört, ist eh' er's noch begreift
längst von uns schon eingeseift.
Jawohl, meine Herren, darauf könn' sie schwör'n
Jawohl, Jawohl, Jawohl.
Jawohl, meine Herrn, so hättet ihr's wohl gern.
Kommentare 17
Es kann gar nicht oft genug auf die missbräuchlichen Übergriffe katholischer Geistlicher und überhaupt von Autoritätspersonen (inklusive Lehrern) ihren Schützlingen gegenüber erinnert werden.
Für mich wäre wichtiger zu erfahren, dass und ob die Zahlen von solchen missbräuchlichen Übergriffen gegenüber Kindern und Jugendlichen zurückgegangen sind.
Könnte ja sein, dass die Eltern ihre Kinder erst wieder guten Gewissens in Internate geben, wenn sie sicher sein können, dass ihre Kinder dort vor Übergriffen sicher sind.
Bei vielen Tätern und ihren Vorgesetzten fehlt bis heute jedes Unrechtsbewusstsein (unreife Persönlichkeiten?). Das führt bei mir gelegentlich zu dem Drang solchen „Vorbildern der Jugend“ ihre inakzeptablen Rechtfertigungsversuche links und rechts (verbal) um die Ohren zu hauen.
Bei manch anderem inspiriert das dreiste Verharmlosen dann zu bösen Parodien, die sich auf reale Personen beziehen, wie etwa der nachstehende Oliver Kalkofe Clip zeigt (da kann einem schon mal das Lachen im Halse stecken bleiben)
Vielen Dank für dieses Glanzstück Kalkofe'scher Realsatire. Auch wenn einem dabei das Lachen im Halse stecken bleiben könnte, wie Sie schreiben, wäre die auch heute noch heuchlerische und selbstgerechte Haltung der katholischen Kirche gegenüber dem Missbrauchsthema ohne diese Steigerung ins Groteske vollends unerträglich.
Das Thema meines Beitrags waren eigentlich die Tricks einer heuchlerischen Pfaffenlogik, mit der ungeachtet aller Beteuerungen, dies auf keinen Fall tun zu wollen, das Missbrauchsgeschehen in der katholischen Kirche systematisch relativiert und verharmlost wird und durch ein perfides "Design" von Untersuchungsaufträgen planmäßig darauf hingewirkt wird, dass das wahre Ausmaß pädokrimineller Verfehlungen niemals ans Licht kommt und die ganze Missbrauchsdiskussion irgendwann im Sande verläuft, weil die Menschen des Themas auch irgendwann überdrüssig sind.
Zugleich soll dargestellt werden, dass Machtsysteme bis hin zum organisierten Verbrechen grundsätzlich ohne Empathie für die Leiden der einzelnen Opfer sind und auch den gesamtgesellschaftlichen Schaden, den ihre Taten anrichten, leugnen. Anstelle von Empathie entwickelt man ein ausgeprägtes Selbstmitleid ("Schaden für die Kirche durch Missbrauch des Missbrauchs"), das absolut typisch ist sowohl für den kriminellen Gewalttäter als auch für den Interessenvertreter verbrecherrischer Gewaltsysteme vom Mafia-Strafverteidiger bis zum Kirchenfürsten.
Ihre Frage, ob die Zahlen missbräuchlicher Übergriffe gegenüber Kindern und Jugendlichen in Internaten zurückgegangen seien, ist sehr schwer zu beantworten, weil man die genaue Zahl der Übergriffe, die man zur heutigen Situation in Beziehung setzen könnte, dank der systematischen Vernebelungstaktik der katholischen Kirche ja nicht kennt und wohl auch nie erfahren wird.
Was man aufgrund der DJI-Studie "Sexuelle Gewalt gegen Mädchen und Jungen in Institutionen" auf der Basis von Befragungen in den Jahren 2010 und 2011 wohl sagen kann, ist folgendes:
Die Zahl der Verdachtsfälle, bei denen Erzieher, Lehrer oder andere erwachsene Mitarbeiter von Internaten als mögliche Täter genannt wurden, liegt bei etwa drei Prozent. Dem stehen aber 28% der Fälle gegenüber, die Missbrauchshandlungen zwischen Kindern und Jugendlichen betreffen.
Da sich die Präventionsmaßnahmen überwiegend auf die Verhinderung von Missbrauch durch Erwachsene richten, kann man leider nicht davon ausgehen, dass Kinder im Internat vor Übergriffen sicher seien, Wobei man über die Veränderung der Häufigkeit von Übergriffen in absoluten Zahlen wie gesagt nichts aussagen kann, weil die Bezugsgröße zu der Zeit vor 2010 nicht vorhanden ist.
Christopher Haep war selbst Schüler am Bonner Aloisiuskolleg. Dort wo Pater Ludger Stüper SJ seine Funktion als Schulleiter missbrauchte, um Schüler sexuell auszubeuten. Jahrzehntelang, unter aller Augen.
http://www.tagesspiegel.de/weltspiegel/missbrauch-am-bonner-aloisiuskolleg-system-des-mitwissens/8609106.html
Haep ist heute dort Leiter des Internats.
Angelika Oetken, Berlin-Köpenick, eine von 9 Millionen Erwachsenen in Deutschland, die in ihrer Kindheit und/oder Jugend Opfer schweren sexuellen Missbrauchs wurden
Danke für die fachliche und informative Antwort.
Die Zahlen über Missbrauchsfälle (nicht nur von Lehrern, Erziehern oder anderen Autoritätspersonen in Internaten plus die Missbrauchsfälle von Jungendlichen gegenüber Kindern sind alarmierend.
Trotz aller Verschleierungsversuche oder Vertuschungstaktiken der Katholischen Kirche haben sich die aufgedeckten und angeklagten Missbrauchsfälle in das Bewusstsein der Öffentlichkeit eingeprägt und ich hoffe, dass Eltern und Berufskollegen ein wachsames Auge auf alle außerhäuslichen "BetreuerInnen" ihrer Kinder haben.
Dass die institutionelle Missbrauchskriminalität in bestimmten Einrichtungen unter kirchlicher Trägerschaft genauso wie in weltlichen Institutionen über derart lange Zeiträume gleichsam systematisch betrieben wie vertuscht wurde, kommt nicht von ungefähr. In Heimen ließ sich so das System der Zwangsarbeit und "Kinderprostitution" leichter aufrecht erhalten. Ungesetzlichen, aber geduldeten Einnahmen, die nicht unerheblich dazu beitrugen, dass viele kirchliche Träger immer noch zu den großen Anbietern auf dem Sozialmarkt gehören. Dann noch das Nichterfüllen von Vorgaben, was den Betreuungsschlüssel und die Versorgung angeht: da blieb ein Sümmchen übrig. Guckte ja keiner hin.
Aber auch dort wo Kinder aus bürgerlichem Mileu interniert waren, am Aloisiuskolleg, in Ettal, an der Odenwaldschule, profitierten ganze Systeme vom Missbrauch. Genauer: davon den TäterInnen ideale Tatorte zu bieten. Es gibt nämlich keinen loyaleren Mitarbeiter bzw. Untergebenen, als jemanden, dessen Straftaten Sie decken. Und wie treu wird er erst sein, wenn Sie ihm diese Verbrechen sogar ermöglichen?
Die Kirchen haben daran gut verdient - die Diözese Regensburg z.B., die den Missbrauch an Domspatzeneinrichtungen zu verantworten hat, ist nicht umsonst die reichste der Welt. Und auch an der Odenwaldschule wirkte der heilige St. Stiftung. Dank Pietas Korrupta, seiner lieben Schwester nahm er sein Geld fast von selbst ein. Er ist zwar ein bisschen untreu, aber das ist alles längst verjährt. Wie der Missbrauch auch. Einfach praktisch. Ein Grund mehr für die Verantwortlichen, daran nicht zu rütteln. Übrigens haben einige Stiftungsfunktionäre ziemlich schnell reagiert, als die Öffentlichkeit vor fünf Jahren endlich wahr nahm, um was für einen Schlag Menschen es sich bei Gerold Becker und seinen KumpanInnen eigentlich handelt(e). Ob sie wohl nicht vorher schon lange Bescheid gewusst haben?
Wie heißt es so schön: "nur schwache Kinder werden missbraucht". Solche Mythen entlasten die Verantwortlichen sehr. Vor Allem vor der Erkenntnis, wie schwächlich sie selbst sind.
Was Sie schildern, also dass ein ganzes Netzwerk von Tätern und die Täter "deckenden" Mittätern sogar finanziell von Missbrauch in Heimen und Internaten profitiert haben und es sogar eine "Einnahmequelle" war, ist übelkeitserregend.
Als pädagogische Mitarbeiterin in einem Heim für Kinder und Jugendliche habe ich zwar personelle Knappheit erlebt und Überforderung der Betreuer/innen, jedoch keine Übergriffe seitens der Erziehungspersonen.
Leider kommen die Kinder und Jugendlichen oft aus Familien, wo für ihr körperliches und seelisches Wohl nicht ausreichend gesorgt war, sprich Alkohol- und Drogensucht der Eltern, Verwahrlosung, Vernachlässigung und körperliche Gewalt. Leider auch Missbrauchsfälle durch Bekante der Familie, woraufhin das Jugendamt die Betroffenen aus der Familie herausnahm. Das ist die Gegenwart, wie ich sie erlebe.
Die jahrzehntelangen Missbrauchsfälle in Internaten, Heimen und/oder kirchlichen Einrichtungen sind Verbrechen, das muss ganz klar und deutlich so benannt werden.
Täter müssen als solche angeklagt und bestraft werden, Mittäterschaft und "Wegschauen" muss öffentlich gemacht werden. Auch viele Jahre nach der Tat noch.
Ansonsten wird den Missbrauchsopfern durch das "Dulden" der Verbrechen an ihnen weiterer Schaden und weiteres Unrecht angetan!
Und selbst wenn etwas schon 50 Jahre her ist, der Täter womöglich längst tot ist, kann ein Missbrauchsopfer durch so eine Benennung des Täters als Verbrecher von offizieller Seite, d. h. ein öffentliches Schuldeingeständnis, eine Entlastung und Würdigung seines Leids erfahren.
Kommentar oben ging an @ergo oetken
"Und selbst wenn etwas schon 50 Jahre her ist, der Täter womöglich längst tot ist, kann ein Missbrauchsopfer durch so eine Benennung des Täters als Verbrecher von offizieller Seite, d. h. ein öffentliches Schuldeingeständnis, eine Entlastung und Würdigung seines Leids erfahren."
Als um so schlimmer empfinde ich es, wenn - wie bei den kirchlichen und auch bei einigen teuren weltlichen Internaten - die Missbrauchsdebatte doppelzüngig und heuchlerisch geführt wird. Hier sieht man deutlich: Es geht nicht darum, das Leid der Opfer anzuerkennen, sondern man will den Bestand oder "guten Ruf" einer bestimmten "Eliteschule" retten, die Reputation und damit die Macht des Kirchlichen Trägers bewahren usw. Es ist erstaunlich, wie schnell die Repräsentatnten einzelner Einrichtungen oder ganzer Trägerinstitutionen, die selbst keine Täter sind, die Denkweise und die Rechtfertigungsstrategien, ja oft sogar das typische Selbstmitleid des antisozialen Psychopathen übernehmen. Obwohl man es nur selten offen ausspricht, werden die Opfer hier wiederum in eine Täterrolle hineinmanipuliert: Sie sollen sich mit Angriffen möglichst zurückhalten, "ihrer Schule" oder der allgemein doch so segensreich wirkenden Kirche nicht schaden, vor allem es dann auch mal "gut sein" lassen, damit sich die öffentliche Aufregung legt und alles wieder "in ein ruhigeres Fahrwasser" gelenkt werden kann. Die halbherzige Aufarbeitung der systematischen Pädokriminalität durch die Odenwaldschule, die offensichtlichen Vertuschungsversuche am Aloisiuskolleg Bad Godesberg, die durchsichtigen Bemühungen der Schule Schloss Salem, sich durch ostentative Distanzierung von der Vereinigung Deutscher Landerziehungsheime zum "Sieger der Missbrauchsdebatte" zu machen, insbesondere aber die systematische Vertuschung des Missbrauchs in der Kirche durch die Kirche bereits vor dem "annus horribilis 2010" und erst recht die in dem obigen Beitrag beschriebenen Versuche, den Missbrauchsskandal mit jesuitischer Spitzfindigkeit und Pfaffenlist auf möglichst wenige "Einzelfälle" zu reduzieren - das alles lässt die Opfer nicht zur Ruhe kommen und macht sie am Ende noch zu Sündenböcken für den Niedergang von Kirche und Internaten.
"Es geht nicht darum, das Leid der Opfer anzuerkennen, sondern man will den Bestand oder "guten Ruf" einer bestimmten "Eliteschule" retten, die Reputation und damit die Macht des Kirchlichen Trägers bewahren usw. "
Das sehe ich in vielen Fällen, die öffentlich durch die Medien gehen, leider ähnlich.
Um den eigenen Ruf zu retten, werden alle möglichen "Manöver" versucht. Das ist jedoch psychologisch unklug, denn die Öffentlichkeit lässt sich dadurch mehrheitlich nicht wirklich überzeugen. Es riecht faulig und schmutzig.
Die Täter oder offiziellen Repräsentanten wären besser beraten, die Missbrauchsfälle einzugestehen und sich dafür zu entschuldigen.
Das wäre zwar zunächst ein "Ende mit Schrecken" für sie, aber so wie das Thema seit einiger Zeit gehandhabt wird, ist es ein "Schrecken ohne Ende" und die Verbrechen haften ihnen weiterhin an, da sie sich damit auseinandersetzen wollen.
Ich fürchte nur, dass die katholische Kirche mit Ihrer Empfehlung vollständig überfordert wäre. Sie sieht sich ja als irdische Repräsentanz einer mit "Allmacht" ausgestatteten "höheren Macht" und beansprucht auch gegenüber dem demokratischen Rechtsstaat im Grunde diplomatische Immunität. Ihr Rechtsverständnis (siehe Kirchenrecht) konstruiert eine göttliche Rechtsordnung, die über der weltlichen steht (siehe Beichtgeheimnis).
Mit dem "Sünder" - auch dem aus den eigenen Reihen - hat die katholische Kirche grundsätzlich kein Problem. Denn nach ihrer Vorstellung sind wir alle allzumal Sünder. Der Unterschied zwischen dem kleinen Mädchen, das mal ein wenig geschwindelt hat, und dem Beichtvater, der mal einen kleinen Jungen ein wenig "aufgeklärt" hat, ist da nur ein gradueller. Wichtig ist der Kirche, dass der einzelne immer in dem Bewusstsein lebt, ein "Sünder" zu sein. So kann man von ihm dreierlei fordern: Demut, Reue und die Bereitschaft zur Vergebung. Nur so erlangt der Sünder Lossprechung: Vergebe uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern. Allerdings soll dieser Deal nicht ohne den Zwischenhandel der Kirche ablaufen, d.h. sie ist die Instanz, die Demut und Reue einfordert, in der Beichte die Sünden zu Protokoll nimmt und gegen Buß-Auflagen dann von der Sünde in eigener Machtvollkommenheit frei spricht, egal welche Straftatbestände ihr da unter dem Beichtgeheimnis zu Ohren gekommen sind.
Wie kann eine "moralische Instanz", die sich dieses anmaßt, überhaupt ein Verhältnis zu strafrechtlichen Normen gewinnen? Wer ist da noch Opfer, wenn doch alle Sünder sind? Wer will da anklagen und den ersten Stein werfen, wenn er selbst doch im Prinzip nicht besser ist als der Täter? Und dem die eigene Schuld nur vergeben wird, wenn auch er dem "Schuldiger" = Täter dessen Schuld vergibt? Und zwar im Namen Christi, der vorgemacht hat, dass es das höchste ist, wenn man sich für die Sünden anderer selber opfert und den qualvollen Tod am Kreuz willig auf sich nimmt? Herr, dein Wille geschehe.
Wo der Opfertod des Unschuldigen um der Sünden der Welt willen die Grundlage der innersten Weltanschauung ist und wo der Märthyrertod in Nachfolge Christi zu den höchsten Weihen (Seligsprechung, Heiligsprechung) führt, denkt man nicht in den Kategorien von Opfer-Status, Opfer-Ansprüchen und Opfer-Entschädigung. Man ist nicht Opfer, sondern man hat Opfer zu bringen. Man wirft nicht den ersten Stein, man vergibt um der eigenen Vergebung willen. Und was soll die weltliche Gerichtsbarkeit noch ahnden, wenn die Kirche Schuld und Sühne intern doch unter Ausschluss der Öffentlichkeit und im Auftrag einer höheren Macht so wunderbar ausgleichen kann? Natürlich erst recht im Fall kirchlicher Verfehlungen. Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott. Vergib dir selbst, dann entlastest du die Gerichte und das eigene Konto (siehe Opferentschädigungen).
Kleine Ergänzung:
Wussten Sie, dass der Vatikanstaat die schlechteste Kinderschutz-Regelung aller Staaten in Europa und der westlichen Welt hat? Siehe
http://www.welt.de/politik/deutschland/article7319676/Vatikan-hat-niedrigstes-Schutzalter-fuer-Kinder-in-Europa.html
"Wie kann eine "moralische Instanz", die sich dieses anmaßt, überhaupt ein Verhältnis zu strafrechtlichen Normen gewinnen? Wer ist da noch Opfer, wenn doch alle Sünder sind? Wer will da anklagen und den ersten Stein werfen, wenn er selbst doch im Prinzip nicht besser ist als der Täter?"
Das ist ein zentraler Aspekt, den ich vorher etwas außer Acht gelassen habe.
Dennoch bin ich der Meinung, und ich habe den Eindruck, die breite Öffentlichkeit sieht das ähnlich, dass die Kirche nebst ihren Vertretern sich genau den selben Gesetzen und dem Kinderschutz verpflichten müssen wie pädagogische Mitarbeiter in Internaten und Heimen.
Alles andere wäre Willkür und mittelalterliches "Schalten und Walten" nach Gutdünken mit angeblicher Berechtigung als legitimer Nachfolge Gottes. Diesen Bären möchte sich ein aufgeklärter Mensch heute nicht (mehr) aufbinden lassen. Das hat schon viel zu lange geklappt. Damit muss Schluss sein.
Und die vielen Dokuementationen, Bücher und andere Veröffentlichungen zu diesem Thema sprechen dafür, dass da eine "Mauer des Schweigens" bald in Trümmern liegen wird.
Nein, das mit der Vatikan-Kinderschutzregelung wusste ich nicht, werde es nachlesen. Vielen Dank.
Bei der Berichterstattung in Bezug auf die klerikale Missbrauchskriminalität wird meistens von Vorannahmen ausgegangen, deren Fehlerhaftigkeit sich in Rückschau leicht erschließt.
1). Kirche steht für das Gute und Moral
Wer kommt denn auf sowas? Kirche verkauft Rituale, die ein gutes Gefühl erzeugen. Die Institutionen sind mächtige und wohlhabende semipolitische Organisationen. Sonst nichts. Und so agieren sie auch
2). Kirchenfunktionäre sind glaubwürdiger als ihre KollegInnen aus anderen Organisationen
Kirchenfunktionäre sind besonders kaltschnäuzig, wenn es darum geht andere zu übervorteilen. Deshalb sind sie auch immer noch so einflussreich. Obwohl immer weniger Menschen in diesen Vereinen drin sein wollen
3). die Kirchenverantwortlichen wollen etwas aufklären
die Kirchenverantwortlichen wollen die Öffentlichkeit täuschen. Über die Hintergründe ihrer institutionellen Missbrauchskriminalität wissen sie dagegen bestens Bescheid. Wer, wenn nicht sie!
4). die Kirchenfunktionäre sehen ein, dass den Opfern Unrecht geschehen ist
Irrtum. Die Kirchenfunktionäre verachten Opfer. Wie sowieso alle Menschen, denen sie nach ihren Wertmaßstäben das Etikett "schwach" aufkleben dürfen. Dass sie selbst dabei eine besonders schäbige Figur machen, ist ihnen noch nicht aufgegangen. Sie hören sich zwar gern selbst reden. Aber anderen nicht zu!
Aufklärung, Aufarbeitung, Hilfe für die Opfer: bei der Katholischen Kirche geht das vor Allem von den Kirchenangehörigen aus, die auf mittlerer und unterer Ebene agieren. Und von denen viele aus gutem Grund Whistleblower sind. Sie verfügen im Gegensatz zu ihren Vorgesetzten nämlich über ein Gewissen.
Ich stimme Ihnen absolut zu, möchte aber noch folgendes zur Einordnung beitragen:
Dass unsere Gesellschaft im Hinblick auf den Opferschutz und die Opferentschädigung so katastrophal versagt, kann seine Ursachen nur im Rasssismus und Rechtsextremismus der zurückliegenden Epochen haben, insbesondere natürlich in der Zeit des Dritten Reichs, als der Staat in die Hand verbrecherischer Hasardeure fiel, die vielen Millionen von Mittätern und Mitläufern ihre empathischen Reaktionen systematisch abtrainierten. Schon der Erste Weltkrieg hatte zu einer allgemeinen Verrohung der Männer geführt. Das Massenelend der Weltwirtschaftskrise tat im Hinblick auf die Gesamtbevölkerung ein Übriges, verbunden mit einem allgemeinen Absinken der Moral. Auf diesem Sumpf konnte dann das verbrecherische System des Nationalsozialismus aufbauen, das Abermillionen bedenkenlos in den Tod trieb und auch die eigene Bevölkerung nicht schonte, der der Opfertod für Volk und Vaterland als Heldentum und höchster Wert schlechthin suggeriert wurde. Der Anblick von aufs Übelste verstümmelten und/oder verbrannten Leichen und grotesk entstellten Kriegsversehrten wurde in den zerbombten Großstädten zum gewohnten Anblick schon für Schulkinder. Es folgten die Grausamkeiten auf den Flüchtlingstrecks, bei Übergriffen der Sieger auf die Zivilbevölkerung einschließlich der Massenvergewaltigungen nicht nur von russischer Seite und darauf wieder Hunger, Wohnungsnot und Flüchtlingselend. Diese massenhafte Traumatisierung eines ganzen Volkes, die nie thematisiert oder gar "therapeutisch aufgearbeitet" wurde, von den massenhaften Naziverbrechen gar nicht zu reden, kann nicht ohne Auswirkungen auf die kollektive Mentalität geblieben sein, die dann auch in der Rechtsprechung einen entsprechenden Niederschlag fand. In einer moralisch durch und durch korrumpierten, gegenüber fremdem Leid abgestumpften und bestenfalls noch zum Selbstmitleid fähigen Gesellschaft, in der aber selbst dieses noch unterdrückt werden musste, um den Weg zurück in ein normales bürgerliches Leben überhaupt finden zu können, war Selbstschutz (häufig gleichbedeutend mit Täterschutz) das oberste Gebot. Die Abwehr von Opferansprüchen wurde zum wirtschaftlichen Überlebensprinzip des gesamten Staatswesens. So galt es nicht nur, Reparationsforderungen der auf Hitlers Kriegs- und Beutezügen verwüsteten Nachbarländer sowie die Ansprüche der Millionen KZ-Opfer nach Möglichkeit abzuwehren oder in kleiner Münze abzugelten. Auch die Rentenansprüche eines Millionenheers von Kriegsversehrten, Kriegswitwen und -waisen galt es im Rahmen des "Bezahlbaren" zu halten. Und diese Drecksarbeit musste ja irgendwer machen, nämlich die ehemaligen Nazirichter, Millitär- und Lagerärzte, die Organisatoren der Juden-Enteignung, der Deportationen usw. in der Verwaltung.
Schmutziges Wasser darf man nicht wegschütten, so lange man noch kein sauberes hat - diese Adenauersche Formel sorgte dafür, dass der Kampf gegen die Opfer und deren Ansprüche zur Staatsraison wurde.
Und zu allem Überfluss war nach dem moralischen Zusammenbruch eines verbrecherischen Staates nur noch eine "moralische Instanz" übrig geblieben, an die man anknüpfen und mit deren Hilfe man staatliche Autorität wieder gesellschaftsfähig machen konnte: Die Großkirchen. Nur waren diese allzu "staatsähnlich" und deshalb moralisch genau so korrumpiert, d.h. sie hatten mit dem braunen Terrorregime paktiert und kolaboriert, um an Machtansprüchen und Vermögen zu retten, was zu retten war. Die Zivilcourage wurde einzelnen "Märthyrern" überlassen, die man anschließend als Aushängeschilder benutzte wie auch die Attentäter des 20. Juli zur Rehabilitation der Täter missbraucht wurden. Vor allem aber lag dem Narrativ der christlichen Heilsbotschaft im Prinzip dasselbe perverse Helden-Modell zugrunde wie dem Nationalsozialismus: Selbstaufopferung und die Opferung Unschuldiger zum Nachweis des Gehorsams bzw. im Interesse einer höheren Macht und großen Idee. Das fängt bei Abraham und Isaak an und hört bei Christus und den christlichen Märthyrern noch nicht auf. Wo aber das Leiden als Weg zu höchster Glückseligkeit verherrlicht wird, kann man kein Verhältnis zum Opfer erwarten, das sich an den Grundrechten des Menschen orientiert, die Grundrechtsverletzung ächtet und dem Opfer ein Recht auf Entschädigung zubilligt.
Ihr Hinweis auf die beiden Themen "Drittes Reich" und "Opferkultur" ist wichtig.
Sexuelle Ausbeutung halte ich zwar für einen ebenso tief verwurzelten wie traditionellen Bestandteil unserer Sexualkultur. Aber im Zuge der Entwicklung des deutschen Faschismus gewann eine besonders abscheuliche Form davon, nämlich die organisierte sadistische Folterung von Kindern eine besondere Bedeutung. Die meisten dieser Täterinnen und Täter kamen davon. Einige gelangten über die so genannten "Rattenlinien" in andere Länder, wo sie entweder für den Aufbau von Folterzentren eingesetzt wurden oder ein ganz bürgerliches Leben weiterführten. Die meisten aber blieben in Deutschland. Und zwar im Osten und im Westen. Sie sind für den Aufbau von Gruppen verantwortlich, die bis heute den Markt der Kinder"prostitution" und der Kinder"pornografie" fest in der Hand haben. Und dazu neigen ihre vollkommen kriminelle und besonders widerliche Sexualität mit einem satanisch-spirituellen Bohei zu umgeben.
So treiben sie in allen Gesellschaftsschichten ihr Unwesen. Angefangen vom linken, über das grüne und das christlich-reaktionäre Milieu. Und eben im neofaschistischen.
Eine besonders entsetztliche Form dessen, was Sie Herr Lange oben an Verrohung beschreiben.
Auch das Opfern hat beim sexuellen Missbrauch eine wichtige Bedeutung. Ganz banal, wenn eine Mutter ihrem neuen "Bekannten" ihr Kind zur sexuellen Ausbeutung zur Verfügung stellt, weil der sie finanziell unterstützt. Oder wenn eine Religionsgemeinschaft vorgibt, moralisch besonders vorbildlich zu sein. Dabei aber lediglich vorhat, die öffentliche Hand um Geld zu prellen. Und ihren darin involvierten Priester zum "Dank" erlaubt, Kinder sexuell auszubeuten.
Auch gesamtgesellschaftlich erfüllt das Opfern der Missbrauchsbetroffenen einen Zweck. Wer die Allgegenwärtigkeit von Missbrauch negiert, kann sich leichter der Illusion hingeben, bei Sex handele es sich um eine grundsätzlich angenehme und harmlose Angelegenheit. Oder man lebe in einer sicheren und schönen Welt.
Um so größer dann natürlich der Schreck, wenn man mit der Realität konfrontiert wird.