In Dortmund relaxten Verkäuferinnen demonstrativ auf lila Klappstühlen. Auf dem Kölner Domplatz provozierten ein paar sich küssende Lesben-Pärchen. In Frankfurt am Main wurde unter dem Motto „Lieber Verantwortung tragen als den Einkaufskorb“ zum Kaufstreik aufgerufen. In Schwerin traten sogar Kita-Erzieherinnen in den Streik, während in Nürnberg die „Aktion Frauentaxi“ startete. Die Frauenwünsche waren so bunt und vielfältig, dass sie auf der aufgespannten weißen Wand im Bonner Regierungsviertel keinen Platz fanden. Ob am Kap Arkona auf Rügen oder auf der Zugspitze, von überall erscholl das Fanal: Deutschland von Norden bis Süden in Frauenhand! Tatsache? Oder Verheißung? Es gab Männer, die das gar als Drohung auffassten. In Frankfurt zog ein durchgeknallter Typ einen Revolver, und im Osten Berlins bekamen die Frauen Ärger mit der Polizei.
Frauenstreiktag 1994. Erzählt man Jüngeren davon, glauben sie es kaum. Nie davon gehört! Und auch viele Aktive, die das Ereignis mittrugen, haben mittlerweile vergessen, dass am 8. März vor 20 Jahren viele Männer zum Küchen- und Kinderdienst verdonnert wurden, und mancher Arbeitsplatz verwaist blieb. Fast eine Million Frauen nahmen den Internationalen Frauentag zum Anlass, Luft abzulassen. Denn dicke Luft hatte sich reichlich angestaut in der Nachwendezeit. Jahrelang hatten die Frauen für die Übernahme der in der DDR geltenden Fristenregelung gekämpft. Ihre Forderung, mehr Frauenrechte in der gesamtdeutschen Verfassung zu verankern, war abgeschmettert worden. Und im Osten wurden mit dem Ausverkauf der Unternehmen immer mehr Frauen erwerbslos. Als das Bundesverfassungsgericht im Frühjahr 1993 dann sein Urteil zum § 218 verkündete, wirkte das wie ein Signal: Jetzt ist Schluss! Uns reicht’s! Wir kündigen den patriarchalen Konsens auf und beginnen mit einem Warnstreik, resümierte der wortradikale Aufruf.
Internationale Vorbilder
Obwohl die Idee ursprünglich nur von kleineren Frauenkreisen in Bonn und Berlin ausging, sprang der Funke über: Schnell fanden sich prominente Erstunterzeichnerinnen, die den Aufruf unterstützten – auch wenn in Alice Schwarzers Emma gegen „weltferne Akademikerinnen“ und „stramme Sozialistinnen“ polemisiert wurde. Vorbild waren die Frauenstreiks in Island und in der Schweiz. Sage und schreibe 90 Prozent der Isländerinnen hatten sich 1975 an der Aktion beteiligt, von deren verheerenden Folgen die Frankfurter Rundschau damals zu berichten wusste: „Väter erschienen mit ihren Sprösslingen am Arbeitsplatz.“ Der Schweizer Frauenstreik 1991 ging als größter gewerkschaftlicher Arbeitsausstand in die Geschichte des Landes ein. Er hatte vor allem die ungleichen Löhne von Männern und Frauen im Visier.
Ungleiche Löhne monierten auch die über 100 Streikkomitees, die sich bald überall in der Republik gründeten und ihre Vertreterinnen mehrmals zu den Koordinationstreffen nach Kassel schickten. Aber es ging um viel mehr: Arbeitslosigkeit und schlechte Aufstiegschancen, ungleiche Arbeitsverteilung zwischen den Geschlechtern, Gewalterfahrungen, das diskriminierende Abtreibungsrecht und sexuelle Orientierung. Also so ziemlich alles, was ein Frauenleben bestimmt.
Am besten bunt
Das war die Krux – viele konnten sich unter diesem Dach zusammenfinden, aber es fehlte der politische Kristallisationspunkt. Und ist Frau-Sein ein Programm? Außerdem gab es von Anfang an auch Kontroversen um die Kampfform. Der Streik als altes Kampfmittel der Arbeiterbewegung war in der autonomen Frauenbewegung umstritten. Wen wollte man eigentlich bestreiken? Die Unternehmen? Wo in den Krisengebieten des Ostens teilweise gehungert wurde, um den Arbeitsplatz zu retten? Die Männer? Oder mit einem Haushaltsstreik gar die Kinder?
Richtig schwer taten sich die Gewerkschaften. Zwar unterstützten viele der damals noch existierenden Einzelgewerkschaften die Forderungen im Grundsatz. Nur: Was geplant war, roch nach politischem Streik. Da ging man doch lieber in Deckung – auch wenn bei anderen Gelegenheiten, bei denen es eher um Männerinteressen ging, die politische Streikdemonstration durchaus als ultima ratio galt. Doch in diesem Fall verschanzten sich die Gewerkschaften lieber hinter einem harmloseren „FrauenProtestTag“. Berührungsängste hatte auch die etablierte Frauenlobby, vom Deutschen Frauenrat über die Parteien bis zu den Kirchen. Am Ende stellte sich aber heraus, dass die Aktionen immer dort besonders erfolgreich waren, wo auf lokaler Ebene kunterbunte Bündnisse geschmiedet werden konnten. Den oft unsichtbaren kommunalen Frauenbeauftragten kam dabei eine wichtige Koordinationsfunktion zu.
Es bleibt bei Symbolpolitik
Am Ende war es dann doch „nur“ ein symbolischer Streik. Es gab republikweit zwar Frauenbetriebsversammlungen und einzelne Warnstreiks, aber vom großen Ausstand konnte keine Rede sein. Meine Fotos aus Berlin zeigen lachende Frauen auf der Freitreppe der symbolträchtigen „schwangeren Auster“, der Kongresshalle, die mit ihren Sandwiches gegen den § 218 protestieren; die Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen organisierte Infostände, und die Straße des 17. Juni hieß „Straße des 8. März“. Und natürlich nutzten auch Politikerinnen wie Renate Künast die Chance auf Publicity, als sie sich – von Fotografen umringt – auf dem Liegestuhl unterm Café Kranzler ablichten ließ. Wie gesagt: Symbolpolitik. Ein Transparent, unterm Steglitzer Bierpinsel aufgerollt, wies mit dem Slogan „Wer sich nicht wehrt, kommt an den Herd!“ aber auch in die Zukunft. Hätte man den kämpferischen Ostfrauen, die im Unabhängigen Frauenverband (UFV) organisiert waren (und nicht nur ihnen), damals ein Betreuungsgeld angedient – sie wären vor Hohn und Spott aus den Latschen gekippt.
Ostfrauen, Westfrauen. Zwischen ihnen verlief ein tiefer Riss, und der Frauenstreiktag war die Probe aufs Exempel. Vorangegangen waren Jahre des Unverständnisses und der Missverständnisse, der Überheblichkeit und des beleidigten Rückzugs. Der Internationale Frauentag hatte in der DDR Tradition; der Frauentag 1994, schrieb Christiane Schindler vom UFV im Rückblick, sei der Versuch gewesen, „den Ohnmachtsgefühlen und der zunehmenden Resignation“ etwas entgegenzusetzen und aus der Isolation herauszukommen. Ich erinnere mich, damals noch Frauenredakteurin, an eine Rückfahrt von einem Vorbereitungstreff in Kassel: Im Zugabteil herrschte fantastische Stimmung. Die alten Gräben zugeschüttet, am Horizont der Aufbruch.
Aber die „Organisationsfrage“, die neben vielen anderen zwischen Ost und West gestanden hatte, schlug den Frauen noch einmal ein Schnippchen. Nach dem medial recht lebhaft, manchmal auch hämisch wahrgenommenen Streiktag fielen die meisten lokalen Komitees zusammen. Die einen machten weiter in ihrem Frauenverband, bis er sich auflöste; andere gründeten eine wirkungslos gebliebene Frauenpartei. Und viele, sehr viele gingen weiter den Weg durch die Institutionen.
Forderungen sind nach wie vor aktuell
Das Frappierende ist, dass die damaligen Forderungen heute noch aktuell sind. Nach 20 Jahren noch immer keine wirkliche 50-Prozent-Quote bei den gut bezahlten Jobs, noch immer klafft die Einkommensschere zwischen Männern und Frauen, und gläserne Decken behindern deren Aufstieg. Auch wenn sich die Lage verbessert hat, fehlt es nach wie vor an Kitaplätzen. Anmache und Stalking haben zu einem republikweiten Aufschrei jüngerer Frauen geführt. Inzwischen ist nämlich eine neue Frauengeneration herangewachsen, die sich wehrt und es selbstverständlich findet, dass eine Frau Aufsichtsratsvorsitzende wird und Männer nicht nur an einem Streiktag den Haushalt versorgen.
Am 8. März 1994 amtierte eine Ministerin für Frauen und Jugend namens Angela Merkel, der ein halbes Jahr später Claudia Nolte folgte. Die eine ist heute – damals für niemanden vorstellbar – die mächtigste Frau Europas, die andere ins Vergessen gesunken. Auch das gehört zur Frauengeschichte der vergangenen zwei Jahrzehnte.
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