Freitag: Herr Spahn, Sie waren schon in der großen Koalition mit Gesundheitspolitik befasst. Aktuell müssen Sie vor allem die anstehende Reform öffentlich erklären. Wer ist einfacher zu verkaufen – Ulla Schmidt oder Philipp Rösler?
Jens Spahn:
Es ist immer eine schwierige Aufgabe, Gesundheitspolitik zu erklären, unabhängig davon, wer sie gerade verantwortet. Aber wenn Sie mich so fragen, fällt es mir leichter, das Programm von Gesundheitsminister Rösler zu vertreten.
Wie erklären Sie denn, dass Arbeitgeber künftig aus der Verantwortung für die Gesundheitskosten entlassen und die Kostensteigerungen alleine den Versicherten aufgebürdet werden?
Ganz so stimmt das nicht. Wir achten ja darauf, dass niemand überfordert wird
e Kostensteigerungen alleine den Versicherten aufgebürdet werden?Ganz so stimmt das nicht. Wir achten ja darauf, dass niemand überfordert wird. Dafür gibt es den Sozialausgleich, und dieser wird über Steuern finanziert und damit auf mehr Schultern verteilt als heute. Finden Sie es gerecht, dass eine allein erziehende Verkäuferin mit 1.200 Euro Lohn den Zusatzbeitrag voll zahlen muss, während ein Rentner, der ein Haus vermietet, unter Umständen einen Sozialausgleich erhält?Das ist grundsätzlich nicht gerecht. Deshalb hält der Gesetzentwurf auch fest, dass wir nicht nur den beitragspflichtigen Verdienst berücksichtigen wollen, sondern perspektivisch das gesamte Einkommen. Bislang ist das technisch schwer umzusetzen, weil die Krankenkassen keine Daten über alle Einkünfte haben. Wir werden diese Debatte aber im laufenden Verfahren noch einmal führen. Gleichzeitig erleichtern Sie Versicherten den schnelleren Wechsel in die Private Krankenversicherung, wie der Gesetzentwurf überhaupt die PKV – etwa mit günstigen Arzneimittelverträgen – bevorzugt. Sieht so die angestrebte Stabilisierung der gesetzlichen Kassen aus?Bis vor drei Jahren konnte ein Versicherter nach einem Jahr von der GKV zu den Privaten wechseln, insofern stellen wir nur wieder eine Regelung her, die über Jahrzehnte in Deutschland gegolten hat. Das ist ein Stück Freiheit. Außerdem gehören Privatversicherte nicht per se zu den Besserverdienenden. Es gibt darunter viele kleine Beamte und Pensionäre und für die wollen wir die Kosten stabil halten.Die Kassen werden unter Druck geraten, wenn sie die Besserverdiener verlieren. Die Zusatzbeiträge könnten so schneller steigen als der Minister erwartet. Der Gesundheitsökonom Jürgen Wasem rechnet für 2020 mit 75 Euro. Ist das realistisch?Zunächst einmal sind die Kassen für die nächsten zwei Jahre gut ausfinanziert, wie der Schätzerkreis gerade festgestellt hat. Was im Jahr 2020 sein wird, weiß auch Professor Wasem nicht. Entscheidend ist, dass wir ein System haben, bei dem niemand mehr als zwei Prozent seines Einkommens zusätzlich bezahlen muss. Der Sozialausgleich für Hartz IV-Empfänger soll aus der Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds finanziert werden, die dafür gar nicht vorgesehen ist. Was passiert, wenn diese Mittel aufgebraucht sind? Wird, wenn die Kassenlage es verlangt, die Grenze von zwei auf drei oder vier Prozent hoch geschraubt?Nein, die Belastungsgrenze ist bei zwei Prozent festgelegt, dabei bleibt es auch. Festgelegt ist im Gesetz, dass der Sozialausgleich aus Steuermitteln zu finanzieren ist. Reicht das Geld nicht, müssen die Steuerzuschüsse erhöht werden. Der Zusatzbeitrag soll den Wettbewerb der Kassen fördern, indem Patienten dahin wandern, wo es noch keinen oder einen geringeren Beitrag gibt. Könnte das nicht doch dazu führen, dass der Leistungskatalog beschnitten wird?Das kann ich mir nicht vorstellen. Ich denke, die Bereitschaft der Leute, für eine gute Gesundheitsversorgung auch einen höheren Beitrag zu zahlen, ist vorhanden. Dass Gesundheit in einer älter werdenden Gesellschaft teurer wird, liegt auf der Hand, aber alles in allem zeigen die letzten Jahre, dass die Kosten im Griff zu behalten sind. Da haben aber die Arbeitgeber auch noch mit dafür gesorgt, die Kosten zu dämpfen. Ab jetzt sind sie von Kostensteigerungen nicht mehr betroffen.Die Arbeitgeber zahlen nach wie vor 73 Milliarden Euro in die GKV. Darüber hinaus haben Arbeitgeber per se ein Interesse daran, dass ihre Mitarbeiter möglichst gesund sind und am Arbeitsplatz erscheinen. Dieser Tage wurde bekannt, dass der Minister die Möglichkeit erweitern will, dass Patienten beim Arzt in Vorkasse gehen. Sollen die zahlungswilligen Pflichtversicherten damit geködert werden, dass sie sich ein bisschen wie Privatpatienten fühlen können? Die direkte Abrechnung bringt für Kassen und Patienten doch nur Nachteile ... Zunächst einmal hat der Minister den Begriff Vorkasse, der durch die Presse geht, nie benutzt. Es geht um das Kostenerstattungsprinzip, das schon immer eine Option für gesetzlich Versicherte war, und wir wollen, dass es eine Wahloption bleibt. Es soll andererseits niemand gezwungen werden, direkt mit dem Arzt abzurechnen. Wer aber zusätzliche Leistungen einkaufen will, die im Rahmen der GKV nicht erstattungsfähig sind, soll dies künftig leichter tun können. Derzeit wird diese Möglichkeit fast mit Strafe belegt.Sie haben in der Sendung „Anne Will“ angedeutet, dass Sie sich vorstellen können, die Privatversicherung neu zu regeln. Heißt das, dass Sie bestimmte Personengruppen – zum Beispiel die Beamten – lieber gesetzlich versichern würden? Oder wollen Sie die Aufnahmeregeln der PKV ändern?Ich habe über langfristige Perspektiven gesprochen. Ich glaube tatsächlich, dass es das Nebeneinander von GKV und PKV dauerhaft nicht geben wird, sondern die Vorteile beider Systeme integriert werden müssen. Hieße das, die beiden Systeme grundsätzlich zu erhalten, oder sie tatsächlich zusammenzulegen?Es ginge um eine schrittweise Annäherung der beiden Systeme unter Beibehaltung ihrer jeweiligen Vorteile. Aber, wie gesagt, das ist nicht in kurzer Zeit machbar.