Ach, die Mädchen

Porträt Maren Kroymann zog es als Professorentochter aus Tübingen ins linke Milieu Berlins und auf die Bühne. Dort feiert sie jetzt „50 Jahre Pubertät“
Ausgabe 24/2015
Kroymann war die Tochter aus gutem Hause und wurde dann als Komikerin bekannt
Kroymann war die Tochter aus gutem Hause und wurde dann als Komikerin bekannt

Foto: Franziska Rieder für der Freitag; Make-Up: Svenja Willmes

Sie ist nicht mehr ganz jung, die Frau dort oben auf der Bühne, aber sexy.I close my eyes and count to ten, and when I open them, you’re still here“, singt Maren Kroymann, und das Publikum hört ihr gebannt zu. So wie sie das unverwüstliche Lied von Dusty Springfield interpretiert, an diesem Abend in Berlin, kommt es daher wie eine Nachwehe jenes Frühlings in den 60er Jahren, als die Jugend niemals zu enden schien. Doch anders als die oxidblond auftoupierte Dusty mit ihren weißen Rüschenblusen und langen Abendröcken zeigt Maren Kroymann auf der Bühne in rot-gleißender Robe Dekolleté und Beine. Mit ihrem Programm In my Sixties tourt die Sängerin und Kabarettistin durch die Republik und feiert „50 Jahre Pubertät“. Die Show ist voller böser und freundlicher Erinnerungen an ihre Heimat Tübingen.

Als ich Maren Kroymann ein paar Wochen später in einem Charlottenburger Café treffe, wirkt sie eher schulmädchenhaft, sie ist ein bisschen erkältet, ungeschminkt und trägt verwuscheltes Blondhaar. Sie bestellt „den Zimt-Tee von neulich“. Man kennt sie hier offenbar. Eigentlich hätten wir uns schon vor einer Weile begegnen sollen, haben uns aber verpasst. Den Freitag lese sie schon ewig. Wäre doch schön, schickte sie mir nach einer Veranstaltung in einer Mail hinterher, wenn wir uns mal persönlich kennenlernen könnten.

Cindy, oh Cindy

Nun sitzt sie also hier, in einem weiten schwarzen Rock mit tiefen Taschen, viel braver als auf der Bühne. Ich kenne noch ihre Stöckelschuhrevue aus den frühen 80ern, inzwischen ist sie eine der wenigen Komikerinnen der Republik (Nachtschwester Kroymann), noch dazu eine irgendwie linke. Sie tritt gelegentlich in Fernsehspielen von Doris Dörrie (das sind die besseren) auf oder auch im ZDF-Herzkino. Wie passt das zusammen? Die politisch engagierte Künstlerin, die seit ihrem Coming-out Anfang der 90er Jahre in Talkshows als Vorzeigelesbe präsentiert wird, und die Sängerin und Schauspielerin, die sich auch im populären Genre tummelt, eine Neigung zum Schlager hat und gelegentlich auch zum Kitsch? „Ich bin in zwei Parallelwelten unterwegs“, hat Kroymann einmal erklärt und meint damit: Bühne und Fernsehen. Kürzlich war sie in der vierteiligen Serie Eichwald, MdB zu sehen, einer Politikcomedy, „keine Enthüllungsgeschichte“, wie Kroymann sagt. „Man sieht lediglich, wie sich Menschen im politischen Geschäft verändern.“

Viel hat bei Maren Kroymann mit dem Schwäbischen zu tun. Der Vater Professor in Tübingen, die Mutter Berlinerin, „so eine echte Großstädterin, die Marlene Dietrich verehrte“ und sich wohl eher schwertat mit der Provinz. „Als ich in die Grundschule kam“, erinnert sich Kroymann, „konnte ich kein Schwäbisch, da hat mich mal eine Mitschülerin verpfiffen, weil ich einen schweinischen Zettel geschrieben habe. ‚So ae verdorbes Mädle hanni no nie ghet‘, schimpfte mich die Lehrerin aus.“ Das Mädle konnte sich nicht wehren, also lernte es schnell Schwäbisch. Das brachte ihr Glück. Maren Kroymann wurde die durchsetzungsfähige Pfarrersfrau an der Seite von Robert Atzorn in der Familienserie Oh Gott, Herr Pfarrer und damit populär. Diesem Engagement war ein Sketch von Kroymann vorausgegangen, in dem sie als Pfarrersfrau gegen „Negermusik“ wettert: „Der Presley, des isch net mei Musik ...“

Die „Negermusik“ bekam die 1949 geborene Kroymann über ihre vier älteren Brüder und den Ami-Sender AFN mit. Sie dagegen sang mit dem Dienstmädchen Hedwig Schlager – „Cindy, oh Cindy, dein Herz muss traurig sein, der Mann, der dich geliebt, ließ dich allein“ – und grenzte sich auf diese Weise vom bildungsbürgerlichen Musikgeschmack, vom Schul- und Kirchenchor, der Klavierstunde und klassischen Konzerten ab. „Das war etwas Freches. Und ich habe gemerkt, dass meine Eltern das nicht wollten, das war verpönt. Es war ein Feld, das ich besetzen konnte.“

Gleichzeitig fuhr sie noch regelmäßig mit ihrer Mutter in die Stadt, um „Stoffröcke“ zu kaufen. Denn Hosen für Mädchen waren zu dieser Zeit noch undenkbar. „Wir waren ‚die letzten Braven‘, hat uns ein Lehrer später gesagt.“ Dass es „die Maren“ dann doch eher in die „halbseidene“ Welt ziehen könnte, zeichnete sich schon in Tübingen ab. Als Kind ging sie in die Ballettschule und übte neben den Sprösslingen von Müttern, die ihre Kinder zu Eislaufprinzessinnen machen wollten,an der Stange, obwohl rasch klar war, dass sie niemals Tänzerin werden würde. Als Studentin spielte Kroymann am Tübinger Zimmertheater „die kleine Sexbombe, die ich nicht war. Ich tanzte und sang ein bisschen und war irgendwie schon angefixt vom Showbusiness“.

Frau vom Fach

In Deutschland ist sie eine Ausnahmeerscheinung. Maren Kroymann bewies mit der zwischen 1993 und 1997 ausgestrahlten Comedyserie Nachtschwester Kroymann, dass Frauen auch komisch sein können – was noch immer nicht selbstverständlich sei: „,Kabarett, Satire, selber denken und witzig sein – das ist nicht euer Fach‘, wird den Mädels gesagt“, erklärte sie anlässlich der Verleihung des Ehrenpreises des baden-württembergischen Kleinkunstpreises im April.
Abgesehen von Anke Engelke, Barbara Schöneberger, Monika Gruber und Carolin Kebekus, „die optisch ins Bild passen“, sehe es armselig aus. „Wo sind die anderen schlauen, witzigen Frauen, die nicht blond sind, nicht dünn, die kurze Beine haben, graue Haare oder eine Brille tragen?“

In den vergangenen beiden Jahrzehnten wurde Kroymann immer populärer, mit Fernsehserien wie Vera Wesskamp oder Klimawechsel von Doris Dörrie und der Politserie Eichwald, MdB, mit Krimis (Tatort, Bella Block) und Fernsehspielen (Schande, 1999, Die Friseuse, 2010, Zu mir oder zu dir? 2014). Der Fernsehfilm Verfolgt, in dem sie eine Hauptrolle spielt, wurde 2006 beim Filmfest von Locarno mit dem Goldenen Leoparden ausgezeichnet. In ihrem aktuellen Bühnenprogramm In my Sixties widmet sich Kroymann mit der Jo Roloff Band der Musik und dem Lebensgefühl der 60er Jahre. Als bekennende Lesbe setzt sich Maren Kroymann für die Interessen von Lesben und Schwulen ein. Für ihr politisches Engagement wurde sie 2010 von der Landesarbeitsgemeinschaft Lesben in NRW geehrt.

Anfang der 70er Jahre zog es sie nach Paris. „Dort las ich mit den deutschen Studenten die Texte von Marx, wir vergruben uns in der Brecht-Lukács-Debatte. Ich merkte, dass ich keine Ahnung hatte, was in der Welt vor sich ging. Danach war klar, dass ich nur noch in Berlin leben konnte. Dort spielte, wenn auch zunächst noch diffus, die Frauenbewegung eine Rolle für mich.“ Ein Groupie der linken Männer wurde die Studentin der Anglistik und Romanistik an der Freien Universität allerdings nicht: „Dazu war ich viel zu brav, ich war ja die Einzige, die noch nicht entjungfert war.“

Sie engagierte sich bei den „Atzen“, der Aktionsgemeinschaft von Demokraten und Sozialisten, und im Sozialistischen Frauenbund. Bei dem linken Philosophen Wolfgang Fritz Haug wühlte sie sich, wie damals üblich, durch drei Bände Kapital und sang im Hanns-Eisler-Chor Arbeiterlieder. Kroymann fühlte sich dort geborgen, „obwohl mir schon bewusst war, dass es auch in linken Kreisen Anpassung gab. Von Schwulen oder Lesben zum Beispiel wollten die überhaupt nichts wissen“. Widerstandskräfte hat sie erst später entwickelt, als sie erlebte, wie Studenten aus den damaligen K-Gruppen ausgegrenzt wurden. „Da hatte ich das Gefühl, dass ich mich dagegenstellen muss.“ Kroymann schmiss die Promotion hin – und lernte ihre Lebenslektion, „dass man nicht immer alles zu Ende bringen muss“. Im Eisler-Chor konnte sie hingegen auch politisch wirken. „Dort hatte sich auch auf meine Initiative hin zum 8. März eine Frauengruppe gebildet, die sich mit dem üblichen Programm nicht abfinden wollte. Wir stellten ein eigenes auf die Beine. Ich habe meine Schlager eingebracht, eine Baby-Schnulze von Marika Rökk etwa, die ich mit dem §218-Thema kontrastierte. Ich merkte, dass man Dinge gegeneinanderstellen, sie ironisieren kann, damit sie zu sprechen beginnen und politisch nutzbar werden.“

Endlich Röcke

Aus diesen Erfahrungen entstand dann das „Stöckelschuh“-Programm, mit einem Klavierspieler von außen. „Ich hatte zum ersten Mal das Gefühl, etwas gefunden zu haben, bei dem ich alles einbringen kann, meine analytischen Fähigkeiten in Bezug auf Literatur, die ich auf Schlager übertragen habe, das Singen und das Schauspielern.“

Aber warum Stöckelschuhe? Wegen ihrer Mutter mit Hang zum Mondänen? Nein, sagt Maren Kroymann, die trug nur ganz selten Stöckel, sie war ja eine arbeitende Hausfrau. Aber es kamen Gäste aus dem Ausland nach Hause, schicke Frauen. „Der Stöckelschuh, das war ein Abgrenzungssymbol meinen älteren Brüdern gegenüber. So wie das Halstüchlein und die roten Fingernägel, die unser Gast Mademoiselle Chatelet trug.“ Und er war eine Sozialisationsinstanz: In der Stöckelschuh-Revue werden die weiblichen Rollenbilder der 50er Jahre kritisch eingefangen. Die Volkshochschule Stuttgart, erzähle ich, habe Kurse angeboten, in denen Mädchen lernen, auf Stöckelschuhen zu gehen. Und aus Tübingen käme eine Finalistin des diesjährigen Germany’s Next Topmodel. „Ach, Tübingen holt auf!“, amüsiert sich Kroymann. Und Stöckelschuhe seien doch „sauunbequem“, da sei ein bisschen Hilfe schon nötig. In 15 Jahren würden sich die Mädels angesichts ihres Überbeins dann sagen: Das war’s nicht.

Kroymann lässt sich nicht dazu verführen, über „die jungen Frauen“ zu lästern. Sie nestelt in ihren Rocktaschen herum, 30 Jahre lang hat sie nur Hosen getragen: „Ich fühle mich viel befreiter in diesem Rock, der doch wirklich figurbetont ist“, sagt sie und zwinkert mir zu. „Ich habe das Gefühl, postklimakteriell jetzt gut Röcke anziehen zu können. Die Zuschreibung von Weiblichkeit ist vorbei. Ich kann auf der Bühne sexy Abendkleider anziehen, Bein zeigen, ohne dass ich ein Geschlecht desavouiere oder die Frauenbewegung. Ich bin einfach zu alt, um die Tussi zu sein.“

Maren Kroymann wirkt entspannt, wenn sie über das Alter spricht. Sie beobachtet in ihrem beruflichen Umfeld aber auch den (Selbst-)Zwang zu Jugendlichkeit und Schlankheit. „Ich bin jetzt in einem Alter, wo manche Freundinnen das Rauchen aufgehört haben. Einige tun es nicht, aus Angst, zuzunehmen. Dann sagen die, die ohnehin schon dünn sind, du darfst jetzt aber nicht mehr abnehmen. Es beruhigt sie, dass jemand Normalgewicht hat, weil sie sich von denen abheben.“ Hat sie es als Lesbe schlicht leichter, weil sie sich nicht automatisch am männlichen Blick orientiert? Vielleicht.

Vor einer Weile war sie sonntagabends in der Rolle einer älteren Frau zu sehen, die sich in einen jungen Mann verliebt und dabei jeden denkbaren Fehler macht. Sie wurde ständig rot, kriegte Schwitzhände, „total peinlich“. Aber ist diese Rollenumkehr nicht selbst schon wieder ein Klischee? „Natürlich. Aber es kommt darauf an, was wir damit machen, ob wir es zertrümmern und neu zusammensetzen. Und manche müssen anfangen, damit andere sehen, dass es so etwas gibt.“ Eine radikale Kämpferin ist aus der „braven“ Tübinger Schülerin allerdings nie geworden. „Ich war schon immer eher diejenige, die Harmonie stiftete, nicht Streit. Typisch weiblich. Vielleicht switchte ich auf der Bühne deshalb ins Frivole, da hatte ich das Gefühl, mit meinen gescheiten Brüdern mithalten zu können.“ Mut bewies sie dann 1993 mit ihrem öffentlichen Coming-out im Stern: „Als ich mich als Lesbe outete, wusste ich, dass es schwierig wird. Ich dachte, ich kann das machen, weil ich keine Kinder habe und seit langem auch keinen Mann mehr, den das treffen könnte.“

Plötzlich landen wir beim Social Freezing. Was hält sie davon, Eizellen einzufrieren, bis man sie benötigt, um Kinder zu bekommen? „Das wäre super für mich gewesen. Ich hätte mir mit Anfang 40 schon vorstellen können, ein Kind allein großzuziehen“, sagt Kroymann. Sie habe sich mit ihrer Freundin sogar überlegt, eine Samenspende in Anspruch zu nehmen. Ist dann aber nichts daraus geworden. „Mein Bedürfnis nach Kind war wohl nicht groß genug.“

Jetzt bin ich etwas konsterniert. Die Feministin, die eine in meinen Augen zweifelhafte Technologie in Anspruch nehmen würde, um zu einem Kind zu kommen? Sie beruhigt mich: Dass Unternehmen wie Apple das Social Freezing bezahlen, um ihre Mitarbeiterinnen möglichst lange für die Firma produktiv zu machen, missfalle ihr auch. „Aber ich finde es gut, dass die jungen Frauen einen Beruf haben und Karriere machen wollen. Und dann sitzen sie da und müssen auch noch perfekte Mütter sein, sich selbst optimieren und schön sein. Das ist Schönheitsdarwinismus.“

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin (FM)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

Ulrike Baureithel

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