Wieviel Einheit verträgt das Land? Die nationale Einheit hat viel Kraft gekostet, zugegeben, doch zurücknehmbar ist sie wohl kaum mehr; mit einer einheitlichen Rechtschreibung tun wir uns schon viel schwerer, aber am unübersichtlichsten wird es, wenn der Begriff "Einheit" im zunftmäßig organisierten Gesundheitswesen sein Wesen treibt: Von der einheitlichen Kopfpauschale über die einheitliche Staatsmedizin, den einheitlichen Zahnobolus bis hin zur Einheitskasse ist so ziemlich alles im Angebot.
Bei so viel Einheit bleibt vielfältige Beurteilung nicht aus. Am Wochenende zum Beispiel orakelte der Vorsitzende des Verbandes der privaten Krankenkassen, Reinhold Schulte, über die existenzbedrohende "Einheitskasse". Und in der Tat wäre der Status "Privatpatient" kein distinktes Merkmal mehr, wenn die privaten künftig wie die gesetzlichen Kassen (GKV) Kreti und Pleti aufnehmen und sich überhaupt einem ernsthaften Wettbeweb stellen müssten. So ähnlich will es die Arbeitsgruppe um die SPD-Abgeordnete Andrea Nahles: Weil man die Privatkassen nicht einfach abschaffen kann (Arbeitsplätze!), andererseits der Sonderstatus der Privaten mit der Einführung einer wie auch immer gearteten Bürgerversicherung obsolet würde, versucht man diese in das System der Gesetzlichen zu zwingen. Statt Abschöpfung der "guten Risiken", also der jungen, gesunden Gutverdiener, sollen sich die Privaten Krankenkassen allen Versicherten öffnen und nach den Maximen der gesetzlichen Kassen arbeiten. Reiner Sozialismus, wittern die Privaten.
Eigenartig nur, dass keiner "Sozialismus" schreit, wenn es um einheitliche Kopfpauschalen - oder als Versuchsmodell - eine einheitliche Zahnersatzversicherung geht. Gerade die gleichmacherischen Unternehmen unverdächtige FDP wirbt für die Kopfprämie und wird nicht müde, das wacklige Unionsfeld vor dem "Einknicken" zu warnen. Will sich die Partei der Besserverdiener wirklich gleichmachen mit dem Volksgebiss, das der Union eben nicht gleich sein darf?
Dass das Volk noch nicht ganz zahnlos gemacht ist, muss derzeit ja nicht nur die Regierung registrieren, auch die Union spürt den Biss. Da wollte Angela Merkel mit den Prothesen schon ein bisschen die Gesamtabwicklung der paritätisch finanzierten Gesundheitsversorgung testen und nun klappern alle mit den Zähnen: Die Krankenkassen klagen schon seit geraumer Zeit über hohe Verwaltungskosten, die das Eintreiben der Prämie verursache, die Renten- und Arbeitslosenversicherer verweigern das Inkasso bei Rentnern und Erwerbslosen, die CSU mit ihrem sozialromantischen Seehofer kratzte von Anfang an an der Zahnprämie, und nun kommt auch noch die niedersächsische Sozialministerin von der Leyen daher und fordert, "alles beim Alten zu lassen" - mit Szenenapplaus aus den eigenen Reihen.
Dumm für die Union, dass sie mit der Gesundheitsreform wie bei Hartz IV im gleichen Boot sitzt wie die Regierung und das Konstrukt Zahnersatzpauschale selbst verantwortet. Zwar will sie für "handwerkliche Fehler" nicht verantwortlich sein, aber wen interessiert schon die Verblendung, wenn das ganze Teil nicht passt? Nachdem Gesundheitsministerin Ulla Schmidt am Wochenende geschickt die Lage nutzte und "Verhandlungsbereitschaft" signalisierte, hat jetzt Angela Merkel den schwarzen Peter.
Bleibt sie fest, könnte die Zahnersatzversicherung der Anfang vom Ende der Kopfpauschale sein, denn es geht bei der Debatte ja nicht nur um Inkassoprobleme, sondern um die generelle Frage, warum der gut bestallte Angestellte für sein Gebiss ebenso viel oder wenig bezahlen soll wie die allein Erziehende ohne Erwerb. Kippt Merkel aber die Sonderversicherung zugunsten des von Ulla Schmidt vorgeschlagenen einkommensabhängigen Zusatzbeitrags in Höhe von 0,4 Prozentpunkten (bis zur Bemessungsgrenze/West von 3.487,50 Euro), desavouiert die Unionsführerin ihr eigenes Modell und bekommt Krach mit der FDP. Bleibt aber "alles beim Alten", bleibt also der Zahnersatz Teil des Leistungskatalogs, dann geht dies zu Lasten der Sanierungsbemühungen der GKV, die im Jahr circa 3,5 Milliarden Euro für Zahnersatz ausgibt.
Ob dann die für den Januar angekündigten Beitragssenkungen noch realisiert werden können, steht dahin. Für die Versicherten ist das letztlich egal: Denn was auf der einen Seite gewonnen wird, muss auf der anderen Seite wieder zugebuttert werden: ob nun als Pauschale oder als prozentualer Zusatzbeitrag für Zahnersatz. Nur wenn die Krankenkassen doppelt ihre Beiträge senken würden, nämlich aufgrund der Überschüsse und für die zukünftig wegfallenden Kosten für Zahnersatz, würden die Versicherten möglicherweise etwas entlastet werden.
Die Arbeitgeber werden sehr daran interessiert sein, dass nicht "alles beim Alten bleibt", denn sie profitieren von jedem Punkt Beitragssenkung unmittelbar. Nicht pro oder contra Pauschale ist deshalb die Gretchenfrage, sondern wie der Beitrag verteilt wird: paritätisch oder einseitig zu Lasten der Versicherten. Dass darüber überhaupt nicht mehr verhandelt wird, ist symptomatisch für die Richtung des ganzen "Reformwerks".
Indessen gibt es gute Gründe, den Zahnersatz im Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenkassen zu belassen und Pauschalversicherungen abzulehnen: Zum einen lassen sich über die entsprechenden Aufsichtsgremien die Kosten für Zahnersatz effektiver kontrollieren; Experten warnen schon seit längerem, dass es bei einer Pauschale von 8,50 Euro nicht lange bleiben wird. Zum anderen ist ein einkommensabhängiger Beitrag im Vergleich zur Pauschale zweifellos gerechter.
Eine effizientere und bessere medizinische Versorgung ist mit all diesen Rechenexempeln ohnehin nicht in Sicht, und dazu wird wohl auch die Bürgerversicherung, über deren Ausgestaltung SPD und Bündnisgrüne derzeit getrennt und unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandeln, nichts Wesentliches beitragen. Und das sollte doch einmal Ziel des Gesamtunternehmens sein.
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