Das Fremde im Eigenen

Ebola Das Virus wird zu einer globalen Bedrohung. Aber noch schlimmer ist die Angst vor der Epidemie, denn sie hat gesellschaftspolitische Folgen
Ausgabe 42/2014
Ebola-Training für Flughafen-Angestellte in New York
Ebola-Training für Flughafen-Angestellte in New York

Foto: Spencer Platt / Getty Images

„Der Dämon aus dem Busch“, so nannte der Spiegel im Sommer 1995 seine Titelgeschichte über den plötzlichen Ausbruch des „Killer-Virus“ Ebola in Zaire. Wie beim derzeitigen Seuchenzug reagierte die westliche Welt auch damals auf das sich weit außerhalb ihrer Aufmerksamkeitszone abspielende Drama erst alarmiert, nachdem die ersten Weißen der Infektionskrankheit erlagen. Damals malte das Magazin eine „Virus-Verschwörung“ an die Wand: Durch Mutation bestünde die Gefahr, dass das Ebola-Virus sich mit verwandten Grippeviren verbünden und in eine Killermaschine verwandeln könnte, die sich über die Luft verbreitet. Genau dieselbe These kursiert gerüchtehalber nun seit Anfang Oktober wieder, nur diesmal im spanischen Militär.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) bemüht sich dagegen darum, den Panikpegel zu senken: Nur der direkte Kontakt mit Körpersäften von erkrankten Menschen sei ansteckend. Doch das Ebola-Virus, das schon die Artengrenze zwischen Tier und Mensch übersprungen hat, ist Stoff für Angstfantasien. Es dringt in die Blutbahnen, frisst sich ins Gewebe und sorgt am Ende seines verflüssigenden Zerstörungswerkes schließlich für den Zusammenbruch der Organe.

Bereits im Dezember 2013 wurde der erste Fall des innere Blutungen auslösenden Fiebers in Guinea nachgewiesen, seither sind vor allem in den westafrikanischen Ländern Guinea, Sierra Leone und Liberia 8.400 Menschen erkrankt, über 4.000 gestorben. Es dauerte vier Monate, bis die WHO auf das Geschehen aufmerksam wurde und noch einmal einige Monate, bis der Westen erkannte, dass es sich bei diesem Ausbruch nicht um ein lokales und in absehbarer Zeit einzudämmendes Phänomen handelt, sondern um die „humanitäre Katastrophe“, wie sie Ärzte ohne Grenzen schon seit längerem prophezeien.

Die schnelle Ausbreitung ist auf das nach 15 Jahren Bürgerkrieg marode Gesundheitssystem in diesen Ländern zurückzuführen und auf die hohe und grenzüberschreitende Mobilität der Bevölkerung. Ebola wütet inzwischen nicht mehr in kleinen, abgeschotteten Urwalddörfern, sondern ist erstmals in afrikanische Metropolen eingedrungen. Nach der überwundenen Arten- und menschlichen Körpergrenze sind nun die geografischen Grenzen bedroht. Mit den ersten Todesopfern schwappt der „blutige Tod“ über die US-amerikanische und europäische Schwelle.

Nun reagiert der Westen aufgescheucht. Fieberkontrollen an den Flughäfen (aufgrund der langen Inkubationszeit wenig sinnvoll), die Aufrüstung von Isolierstationen und Spezialfahrzeugen, Katastrophenübungen und ganz allmählich auch die Aufstellung einer europäischen Task Force für die betroffenen afrikanischen Länder sind Zeichen der Furcht, das Virus könnte über Flugrouten und Verkehrsdrehscheiben in unsere Hemisphäre eindringen. Schon rechnet die Weltbank den wirtschaftlichen Schaden vor, den allein die Angst vor der Epidemie verursachen kann.

Mitte Oktober, neun Monate nach Ausbruch der Seuche, räumt auch Außenminister Frank-Walter Steinmeier ein, man habe „die katastrophalen Folgen von Ebola unterschätzt“ und müsse nun „mit der Aufholjagd“ beginnen. Für die Angehörigen der Opfer ein schwacher Trost. 117 medizinische Helfer haben sich bislang gefunden, um das in Westafrika tätige und völlig erschöpfte Personal zu unterstützen, darunter 43 der über 357.000 hier tätigen Ärzte.

Aber nicht die Mediziner tragen die Verantwortung für die Katastrophe. Einmal abgesehen vom Versagen der politischen Eliten in den betroffenen Ländern, die wie in Liberia die Seuche zum Vorwand nehmen, demokratische Rechte zu beschneiden, muss sich der Westen fragen lassen, warum bis heute keine effektiven Impfstoffe und Medikamente gegen das Virus entwickelt wurden. Die Antwort ist einfach: Die Armen Afrikas sind keine zahlungskräftigen Abnehmer, und so werden Krankheiten wie Malaria oder Ebola nicht beforscht. Nun, da die wenigen mit staatlichen Geldern – teilweise sogar im Rahmen der Militärforschung – entwickelten Mittel auf neue Goldadern hoffen lassen, steht die Pharmaindustrie allerdings schon bereit für den anstehenden Wettlauf um Patente.

Gar nicht abzusehen ist derzeit, welche Folgen Ebola für die ohnehin aufgeheizte Flüchtlingsdebatte haben wird. Die deutschen Behörden versuchen zu beruhigen, indem sie darauf verweisen, dass das Virus den langen Land- und Seeweg der Flüchtlinge gar nicht übersteht. Was aber, wenn irgendwann doch unbemerkt ein Immigrant das Virus einschleppt und die „Angst vorm schwarzen Mann“ forciert? Dabei hätte im Vergleich zu Europa Indien weit mehr Grund zur Panik, von den 45.000 in Westafrika lebenden Indern geht eine reale Gefahr für den armen Subkontinent aus.

Doch was kümmert Europa schon Afrika oder Indien? Die Grenze, die die Römer mit dem „Terminus“, dem Grenzstein, gekennzeichnet und mit dem Limes befestigt haben, muss verteidigt werden. In ihr leben nicht nur Rechtsverhältnisse weiter, sie strukturiert auch unsere Körper- und Raumwahrnehmung und konstruiert Identitäten. Das aus dem schwarzen Kontinent kommende Ebola-Virus ist mehr als eine lebensbedrohliche Krankheit, es ist das Fremde im Eigenen, das die westlichen Angstvisionen nährt.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin (FM)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

Ulrike Baureithel

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