Die Gulabi Gang

Indien „Pink Sari Revolution“ schildert den Kampf der Frauen aus Uttar Pradesh mit der mutigen Sampat Pal Devi als ihrer Anführerin
Ausgabe 11/2014

Nach den Massenvergewaltigungen sind die Frauen Indiens ins mediale Weltinteresse gerückt. Was Empörungswellen gegen die traditionelle Witwenverbrennung nicht vermochten, der Genozid an weiblichen Föten und das zähe Ringen indischer Frauen um Kleinstkredite zur Existenzsicherung ihrer Familie, hat der Aufschrei gegen die alltägliche Gewalt zuwege gebracht: Wir sind da. Wir wehren uns. Mit allen Mitteln.

Meist handelt es sich dabei um Frauen in den Städten. Von der Provinz, zumal von den ärmsten Gebieten wie Uttar Pradesh, dem „Nordstaat“, ahnen wir wenig. Uttar Pradesch ist der größte indische Teilstaat, in dem über 200 Millionen Menschen leben, zwei Drittel der Bevölkerung der USA. Er wird auch „Indiens wilder Westen“ genannt, weil die Hoffnung auf Recht und Gerechtigkeit längst erloschen ist und das politische Banditenwesen die Macht übernommen hat. Doch in einer seiner Provinzen, Bundelkhand, wurde plötzlich eine Straße repariert. Und die Polizeistation von Atarra in Schockstarre versetzt. Der Grund: Frauen. Genauer gesagt: eine Frau und ihre Gang. Ihnen hat die aus Pakistan stammende, in Österreich aufgewachsene und in Brüssel lebende Autorin Amana Fontanella-Khan nun ein Buch gewidmet, Pink Sari Revolution.

Die Frau, um die es geht, heißt Sampat Pal Devi, und der Name der von ihr gegründeten Gulabi Gang geht auf ein Erkennungszeichen zurück: Wer ihr angehört, trägt einen pinkfarbenen Sari – und einen Stock, den Lathi, mit dem sie sich verteidigen. 2006 tauchte Sampat Pal Devi mit einer Gruppe von Frauen auf der Polizeistation von Atarra auf, weil ein Mann grundlos inhaftiert worden war und seine Ehefrau bei ihr Hilfe gesucht hatte. Es kam zum Handgemenge, der Revierleiter wurde gefesselt, die Frauen erzwangen schließlich die Freilassung des Mannes. Und bei Sampat Pal Devi verdichtete sich die Erfahrung, dass nur zahlenmäßige Übermacht und Einigkeit etwas bewirken können. Sie überzeugte zunächst ein paar Dutzend Frauen, sich zu organisieren, und der Schneeballeffekt sorgte dafür, dass sich bald über 20.000 Frauen aus den ärmsten Schichten, häufig Witwen, der Gruppe anschlossen und sich in den pinkfarbenen Sari hüllten. Die Gulabi Gang wurde zu einem Machtfaktor. Ihr Ziel: Gleichheit und Gerechtigkeit für die Frauen armer Kasten. Ihr mächtigster Gegner: die korrupte indische Polizei.

Korruption und Aberglaube

Im Mittelpunkt des Buches steht ein Ereignis, das Sampat Pal Devi und die Gulabi Gang auch über die regionalen Grenzen hinweg berühmt gemacht hat. Im Dezember 2010 wird eine junge Frau, Sheelu, verhaftet. Sie lebte, nachdem sie ihrem Vater davongelaufen war, in einem etwas unklaren Status bei einem Abgeordneten. Dwivedi, so der Name des Politikers, wirft Sheelu nun vor, ihm 4.000 Dollar gestohlen zu haben. Sampat Pal Devi beginnt zu recherchieren. Sie ist überzeugt, dass hier ein schwerer Fall von Korruption vorliegt, in den die schlimmsten Politiker, die mit Gewalt und Schrecken in Uttar Pradesh herrschen, verwickelt sind. Sheelu, die nach dem Tod ihrer Mutter keine Schule mehr besuchen durfte, sondern den Haushalt führen musste, ist, so stellt sich heraus, ein Vergewaltigungsopfer. Sampat Pal Devi deckt die Zusammenhänge auf und organisiert mit ihrer Gang den Kampf für ihre Freilassung – und gerät dabei zwischen die Fronten. Am Ende wird Sheelu zwar aus der Haft entlassen und Dwivedi angeklagt, doch das Mädchen lebt fortan in ständiger Angst vor der Rache seiner Kombattanten.

In die Geschichte von Sheelu, für indische Verhältnisse eher der Normalfall als die Ausnahme, webt Fontanella-Khan zahlreiche andere Schicksale ein. Vorab natürlich das Sampat Pal Devis, die, wie viele Frauen ihrer Kaste, mit zwölf Jahren heiratet und mit Anfang 20 bereits fünf Kinder hat, sich aber allmählich aus den Abhängigkeiten befreit – nicht zuletzt, weil sie Nähen gelernt hat: Sie war „eine schwer fassbare Frau mit Fernweh und großen Träumen, in denen kein Platz für den Ehemann war“. Dass sie ihre eigenen Töchter ebenfalls viel zu früh verheiratete und sich räumlich der Familie entzog, ist für die Frauenrechtlerin kein Widerspruch: „Ich bin jedermanns Mutter“, wehrt sie die Ansprüche der Familie ab.

Neben Sampat Pal Devi werden noch viele andere Akteure porträtiert, was mitunter Verwirrung stiftet und auch anstrengend ist, gleichzeitig aber die Vielfalt der indischen Gesellschaft einfängt. Die größte Stärke Fontanella-Khans jedoch liegt in ihren detaillierten und farbigen Beschreibungen des Lebens in der indischen Provinz, wo nicht nur Armut, sondern auch Aberglaube herrscht und es Frauen sehr viel Kraft kostet, aus den traditionellen Gemeinschaften auszubrechen. Die zweijährigen Recherchen und die ungezählten Gespräche, über die im Nachwort ausführlich berichtet wird, gehen weit über das Porträt der Gulabi Gang hinaus. Deren Schwäche leugnet Sampat Pal Devi nicht: „Das Gesetz steht nicht auf unserer Seite.“ Deshalb hatte sie sich 2011 entschlossen, noch einmal für die Kongresspartei zu kandidieren. Nicht alle Mitstreiter begrüßten das, denn viele haben Angst, auch sie könne der allgegenwärtigen Korruption in Indien zum Opfer fallen.

Doch Sampat Pal Devi ist sich ihrer Rolle als Ausnahmefrau bewusst: „Ich bekomme viele Angebote, Unrecht zu tun. Aber ich bin nicht unrecht – deswegen kann nicht jeder eine Sampat Pal Devi werden“. Wäre es so, bräuchte es auch keine Gulabi Gang.

Ihre Erkennungszeichen sind ein pinkfarbener Sari und ein Bambusstock, der Lathi

Pink Sari Revolution. Die Geschichte von Sampat Pal, der Gulabi Gang und ihrem Kampf für die Frauen Indiens Amana Fontanella-Khan Barbara Schaden (Übers. aus dem Englischen) Hanser 2014, 271 S., 19,90 €

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

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