Die Macht der Tatsachen

Genopoly Michael Crichtons Gentech-Thriller "Next"ist ein Lob des Faktischen

Es ist wohl eher unwahrscheinlich, dass Michael Crichton an Gott glaubt. Das bissige Porträt des evangelikalen Gen-Predigers Rob Bellarmino, fiktiver Chef der obersten US-Gesundheitsbehörde, zeugt eher vom Gegenteil. Dennoch ist der Bestseller-Autor ein Gläubiger. Er glaubt an die Macht der Fakten und an die Beweiskraft von Dokumenten - obwohl er das, was sich dem Publikum gemeinhin als "wissenschaftliche Tatsache" präsentiert, eher fragwürdig findet. Das ist ein Paradox, das es noch aufzuklären gilt.

Was beim Durchblättern seines dickleibigen neuen Romans, der unter dem puristischen Motto Next segelt, als erstes ins Auge sticht, sind die Dokumente. Eingearbeitet in die 95 U-Bahn-tauglichen Kurzkapitel ist nämlich eine Art populärer, die Handlung kommentierender Fortschrittsbericht in Sachen Gentech. Über den Fußnotenstrich gerutscht, lassen die eingerückten Berichte aus Science, BBC, Wall Street Journal oder CBS keinen Zweifel an der Authentizität des Berichteten. Was hier erzählt wird, so die Botschaft, fließt nicht aus der Phantasie eines durchgeknallten Science-Fiction-Autors, sondern beruht auf verbürgten "Tatsachen", die in diesem Fall zurückgehen auf den berühmten "Fall Moore", der vor einem kalifornischen Gericht geklagt hatte, weil sein Gewebe ohne seine Zustimmung patentiert worden waren. Wer sich mit der Wissenschaft anlegt, weiß man, muss ihr auf gleicher Augenhöhe begegnen. Und Michael Crichton hat in den letzten Jahrzehnten mit seinen Bestsellern Coma, Beute (Prey) oder Timeline gezeigt, wie wissenschaftliche Tatsachen durchs Nadelöhr eines Thrillers zu führen sind.

Nach Organklau, Nanotechnologie und Klima stellt er dieses Mal die gentechnologischen Labore und ihre Produkte aufs spiegelglatte Actionparkett. Es geht um den Run auf Biopatente und Eigentumsrechte, um die Deutungskraft von Genen und die Folgen von Gentests, um transgene Tiere, um Industriespionage und nicht zuletzt um die Korrumpierbarkeit von Wissenschaftlern. Wen schon bei dieser - unvollständigen! - Aufzählung der verhandelten Themen Schwindel befällt, sollte sich auf ein forciertes Short-Cut-Verfahren einstellen, bei dem ein unüberschaubares Personal an zunächst unsichtbaren Fäden zu- und gegeneinander geführt wird.

Im Mittelpunkt steht die kommerziell arbeitende Firma BioGen, die von der University of California in Los Angeles einige teure Zelllinien erworben hat. Sie stammen aus Biopsien, die Frank Burnet im Rahmen einer erfolgreichen Krebstherapie entnommen wurden. Rick Diehl, Geschäftsführer von BioGen, wittert das große Geld, denn Burnets Zellen haben die seltene Fähigkeit, Krebs zu besiegen. Patentiert sind diese Körperstoffe ein Vermögen wert. Vertreten durch seine Tochter Alex klagt Burnet vor Gericht einen Anteil ein und argumentiert, zwar der Forschung an seinen Zellen, nicht jedoch ihrer Vermarktung zugestimmt zu haben.

In der Zwischenzeit arbeiten Diehls Mitarbeiter Josh Winkler und Tom Weller fieberhaft an der Entwicklung eines "Reifegens", das ebenfalls ungeahnte Vermarktungsmöglichkeiten verspricht. Doch aufgrund eines Versehens inhaliert Winklers drogensüchtiger Bruder die Substanz. Zur gleichen Zeit teilt Tom Wellers Krankenkasse mit, ihn künftig nicht weiter versichern zu wollen, weil sein gerade verstorbener Vater Träger eines seltenen Gens ist, das erst durch einen posthumen Vaterschaftstest durch Toms Schwester bekannt wurde ...

Während sich die Gefahrenzone für Diehls Firma intern verdichtet, wittert Hauptinvestor Jack Watson seine Chance und schmiedet ein Komplott. Burnets Zelllinien werden kontaminiert, und Diehl beauftragt einen Kopfgeldjäger, um neue identische Gewebeproben von Alex Burnet und deren Sohn Jamie zu beschaffen. Alex flüchtet zu ihrer Freundin Lynn Kendall, deren Mann Henry gerade erfahren hat, dass in Borneo ein sprechender Orang-Utan gesichtet wurde. Kendall experimentierte vor Jahren mit Schimpansen, denen er sein eigenes Erbgut übertragen hat. Alarmiert sucht er nach Dave, seinem Affensohn, der ebenso sprechen kann wie der Graupapagei Gerard, der auf abenteuerlichem Weg zu den Kendalls stößt ...

Man könnte die bis hierher galoppierende Verwirrung getrost um einige weitere parallel laufende Handlungsstränge vertiefen: Vom jugendlichen Eizellverkauf über den Knochendiebstahl bis hin zu gerichtsentscheidenden Gentests lässt Crichton so ziemlich alles aufmarschieren, was den Laboren in den letzten Jahren an Sensationellem entfleucht ist. Die entscheidende Frage dabei ist: Was gilt das Recht auf körperliche Unversehrtheit, wenn Körpersubstanzen privat angeeignet, patentiert und vermarktet werden können? Wem gehört der Gewinn? Wer schützt die mit dem Gewebe verbundenen Persönlichkeitsdaten? Und, last not least, wo müssen die Grenzen des gentechnologischen Versuchs-Hypes gezogen werden: Dürfen Fische als genetische Werbefläche patentiert werden? Dem Graupapagei menschliche Gene eingeschleust werden, um ein so wunderbares Exemplar wie Gerard zu gerieren? Wo liegt die sensible Schwelle für Trial-and-Error-Experimente, denen nicht nur massenhaft Tiere, sondern auch Menschen zum Opfer fallen?

Genopoly heißt das Spiel, das den Markt umtreibt. Die Firma Myriad etwa hält das Patent auf BRCA 1 und 2 (das berüchtigte Gen, das - wohlgemerkt nur in zwei Prozent aller Fälle - Brustkrebs auslöst) und bietet exklusiv und zu horrenden Preisen Diagnosetests an. Gutgläubige schwerkranke Patienten spenden Gewebe, in der Hoffnung, dass ihre Krankheit erforscht und ihnen kostenlos Tests und Therapien zur Verfügung gestellt werden. Die Realität sieht anders aus: Hält eine Firma erst einmal ein umfassendes Patent auf ein Gen, verhindert sie, dass andere an der Krankheit weiterforschen. Zu hohe Lizenzgebühren. Wenn eine Substanz einmal in eine Biodatenbank gewandert ist, hat der Spender derzeit kaum noch Kontrolle darüber, was damit passiert. "Bei jedem, der ins Krankenhaus kommt", heißt es im Roman, "entnehmen wir so viel Material wie gesetzlich erlaubt ist ... und wir bewahren inzwischen wirklich alles auf."

Zweifellos hat Crichton diese Zusammenhänge gut recherchiert. Er zeigt, wie die Deutungskraft des Gens in den Alltag eindringt und alle Bereiche besetzt; wie Wissenschaftler zu willigen Erfüllungsgehilfen der Industrie oder in Personalunion selbst zu Unternehmern werden; wie Medien die Gen-Konjunkturen beeinflussen und die Politik dieser dramatischen Entwicklung hoffnungslos hinterher hinkt. Dass Crichton das, was sich auf diesem Markt abspielt, komprimiert in einer Handlung, die hinsichtlich der Abläufe eher unwahrscheinlich erscheint und am Ende nur noch Komödie ist, in der die "Bösewichter" ihrer eigenen Strategie ins Netz gehen, kann deshalb nicht der Vorwurf sein. Da gehorcht der Autor nur den Gesetzen des Genres, das er allerdings bis an seine Grenzen strapaziert, weil die Vielzahl von Figuren keine Charaktere mehr zulässt und das Handlungsensemble statt gebündelt zu werden auseinanderstrebt und an Spannung verliert.

Crichtons Problem liegt vielmehr in seinem eingangs erwähnten Glauben an das Faktische und in der Kumulation von Tatsachen, von denen der frühe Filmkritiker Béla Balàzs einmal behauptete, dass deren "Wirklichkeit" die "Wahrheit" verdecke. Zwar entlarvt Crichton das "Draufgänger-", "Blondinen-" oder "Drogengen" sarkastisch als Übertreibung einer an den Markt angekoppelten Wissenschaft, die sich täglich im Gespräch halten muss. Doch er teilt den "genetischen Standpunkt" in der Weise, dass er die Machbarkeit jedweder genetischen Manipulation - bis hin zu den sprechenden Tieren - letztlich nicht in Frage stellt, sondern sie, wie aus seinem Nachwort zu schließen ist, höchstens konsequenter kontrolliert sehen will.

Am Ende stellt sich für ihn dann nur das Problem, wie wir mit dem, was die Forschung uns andient, umgehen, wie der neue amerikanische way of life aussehen wird: Nicht mehr Patchwork- oder Multikulti-Familie, sondern "transgene Familie", in der Dave, der Affenmensch und Gerard, der intelligente Papagei, ihren Platz finden. Ein bisschen wie Unser Charlie aus dem deutschen Vorabendprogramm. Crichton ist auch diesmal dort angekommen, worum es ihm - abseits aller Wissenschafts- und Technikkritik - immer geht: Bei der Familie als unhintergehbare Totalität.

Michael Crichton: Next. Aus dem Amerikanischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann. Blessing, München 2007, 544 S., 22,95 EUR


Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

Ulrike Baureithel

Die Vielfalt feiern – den Freitag schenken. Bewegte Zeiten fordern weise Geschenke. Mit dem Freitag schenken Sie Ihren Liebsten kluge Stimmen, neue Perspektiven und offene Debatten. Und sparen dabei 30%.

Print

Für 6 oder 12 Monate
inkl. hochwertiger Weihnachtsprämie

Jetzt sichern

Digital

Mit Gutscheinen für
1, 6 oder 12 Monate

Jetzt sichern

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden