Die Überflüssigen, unerwünscht

Rotstift Kalte Aussperrung: Die Sparbeschlüsse zeigen den Willen zu einer qualitativ orientierten Bevölkerungspolitik

Landauf, landab: Es gibt viel Kritik an den Sparbeschlüssen der Bundesregierung. Die Opposition, die Sozialverbände, die Gewerkschaften, selbst die Journaille ist irritiert bis aufgebracht über die Absichten, die „Pfründe“ der Familien und Harz IV-Empfänger auszutrocknen. Die „Ausgewogenheit“ besteht darin, dass es so ziemlich alle Armen trifft.

Bei aller ehrlichen und scheinheiligen Empörung fällt allerdings ein Aspekt aus den Augen, nämlich die qualitativ ausgerichtete demographische Weiche, die durch diese Beschlüsse gestellt wird, beziehungsweise die Frage, wer in diesem Land noch zur „Kernbevölkerung“ (analog den „Kernbelegschaften“ in den Betrieben) zählt.

Schaut man sich die Beschlüsse zum Elterngeld an, fällt auf, dass besser verdienenden Paaren der Anreiz zum Kinderkriegen nicht genommen werden soll, indem die Obergrenze von 1.800 Euro nicht angetastet wird. Wer also ein mittleres Einkommen von brutto 3.000 verdient, ist aufgefordert, weiter „abzukindern“, auch wenn das Elterngeld nun nicht, wie noch im Koalitionsvertrag beschlossen, um zwei Monate ausgeweitet wird. Für Väter bleibt es also in der Regel bei den zwei Schmusemonaten, die der Karriere keinen Abbruch tun.

Nicht erwünscht, so muss man die Sparbeschlüsse deuten, sind allerdings Kinder aus sozial schwachen Schichten, insbesondere wenn die Eltern Hartz IV-Empfänger sind. Sie müssen künftig ganz auf das ohnehin geringe Elterngeld von 300 Euro, das bislang nicht auf das ALG II angerechnet wurde, verzichten. Rationalisiert wird die Kürzung mit dem berühmten „Lohnabstandsgebot“. Alles, was Hartz-IV-Empfänger erhielten, müsse sich am Bedürftigkeitskriterium orientieren, ließ Innenminister Thomas de Maizière wissen. „Deswegen sind die 300 Euro Sockelbetrag beim Elterngeld systemfremd.“

Beliebte Rechnung

Und de Maizière macht die beliebte Rechnung auf, dass eine Hartz IV-Familie mit zwei Kindern auf einen Sockelbetrag von 1.800 Euro käme, die von einem Alleinverdiener nur schwer erreichbar seien. Unterschlagen wird, dass Hartz IV-Empfänger, die Elterngeld bekommen, mehrheitlich allein erziehend sind und kaum Chancen haben, diesen Sockelbetrag zu erreichen. Und ebenfalls nicht thematisiert wird der Skandal, dass sich Familienernährer(innen) in Deutschland zu Löhnen verdingen müssen, von denen sie ihre Kinder nicht über Wasser halten können.

Worum es allerdings in erster Linie geht, wird in den Talkrunden und Politstammtischen der Republik laut. Dass die Erhöhung des Hartz IV-Regelsatzes für Kinder nur die Tabak- und Spirituosenindustrie anschiebe, war bereits vom hoffnungsvollen Unionsnachwuchs Missfelder zu hören. Dass die FDP schon seit längerem die Streichung des Elterngeldes für Hartz-IV-Empfänger betreibt ist bekannt. Der Berliner Bundestagsabgeordnete Martin Lindner begründete sie damit, dass das System bestimmten Schichten keine Anreize geben solle, übers Kinderkriegen Geld zu verdienen. Dass aus dem Nachwuchs der Hartz IV-Familien nur Ausbildungsunfähige oder Kriminelle hervorgehen, die lebenslang teuer alimentiert werden müssen, hat der rechte Vordenker Gunnar Heinsohn genüsslich vorgerechnet.

Gewollte und ungewollte Kinder

Man konnte solche Äußerungen bislang gutwillig als „populistisch“ oder „politisch entgleist“ erledigen. Nicht ganz so gutwillig, wird man die Vorstellungen – weniger pointiert und demagogisch – allerdings auch in der liberalen Mittelschicht finden, die gerne ihr bildungsbürgerliches Erbteil fortgepflanzt sähe. Die Zeit-Redakteurin Susanne Gaschke, rechter Ideologie unverdächtig, hat einmal die „Opportunitätskosten“ gut ausgebildeter Frauen, die sich für Kinder entscheiden, gegen die Kosten aufgerechnet, die der Gesellschaft entstehen, wenn sie Kinder aus bildungsfernen Schichten angemessen ausbilden will. Auch ihr wird mulmig, wenn sie mit den überforderten „welfare queens“, den jungen überforderten Frauen, konfrontiert wird, die nichts von gesunder Ernährung und richtiger Kindererziehung verstehen, aber mangels anderer Alternativen ein Kind nach dem anderen in die Welt setzen.

Die Streichung des Elterngeldes für Hartz IV-Empfänger bekräftigt, dass in Deutschland Kinder aus bestimmten Schichten gewollt werden, aus anderen jedoch nicht. Zwar haben Erziehungs- und Elterngeld bislang nie die erwünschte Bestandsgarantie erbracht, doch Sozialpolitik, da sollte man sich nichts vormachen, ist immer auch Bevölkerungspolitik, die, wie wir nun sehen, nicht nur quantitative, sondern auch qualitative Ziele verfolgt. Die Werthaltigkeit steckt in jeder Maßnahme: Man benötigt ja auch die ausgesteuerten älteren Erwerbslosen nicht mehr und streicht deshalb den Zuschuss für ihre spätere Rente. Kalte Aussperrung aus dem Leben, könnte man das nennen: präventiv-pränatal im einen, prospektiv-sozialverträglich im anderen Fall.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin (FM)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

Ulrike Baureithel

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