Der Begriff Fonds hat in diesen Tagen der Bankenkrise keinen guten Leumund. Verspekuliert haben sich nicht nur amerikanische Immobilienfonds, die ganze Branche steht am Pranger: Globale Schuldgeschäfte sind zu einem unkalkulierbaren Risiko geworden, die Vertrauenskrise ist umfassend. Auf der Suche nach seriösen Gläubigern dreht das Finanzkapital völlig durch und flüchtet sich in den Schoß der bürgenden Nationalstaaten.
Auch der Gesundheitsfonds hat seinen Kredit verspielt, bevor er überhaupt gestartet ist. Wenn seiner Natur nach auch mehr ein politisches Kompromiss- als ein liberales Spekulationsprodukt, erregt schon der Begriff Misstrauen. Wer in einen Fonds einzahlt, hofft auf Rendite. In diesem Falle die Erwartung, einmal krank geworden, optimal und, wie Bundesgesundheisministerin Ulla Schmidt (SPD) gerne sagt, "nach dem neuesten Stand der Wissenschaft" versorgt zu werden. Im Unterschied zu einem normalen Fonds, der Gewinn abwirft, sind die meisten froh, den Gesundheitsfonds gar nicht in Anspruch nehmen zu müssen. Dann sind wir ein so genanntes "gutes Risiko", jung - und manchmal auch älter -, aber weitgehend frei von Zipperlein. Dafür, so will es die Logik eines Fonds, müssten wir auch belohnt werden. Zum Beispiel mit einer Beitragsrückerstattung. Solche Gratifikationen oder, umgekehrt, ein möglicher Zusatzbeitrag sind die Instrumente, den gewollten Wettbewerb im Gesundheitssystem in Gang zu bringen.
Wochenlang war der Schätzerkreis aus dem Gesundheitsministerium, den Krankenkassen und dem Bundesversicherungsamt damit befasst, auszurechnen, wie viel Prozent ihres Einkommens die 44,3 Millionen Menschen, die in die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) einbezahlen, demnächst einzahlen müssen, um im Fall der Fälle nicht nur auf gute Versorgung spekulieren zu dürfen, sondern sie garantiert zu erhalten. Das einzige, was gegen alle vergangenen Versprechungen der Ministerin sicher scheint, ist, dass es für die allermeisten teurer werden wird als bisher. Seither wird gefeilscht: Die Kassen forderten 15,8 Prozent, um das gerade aufgelegte Drei-Milliarden-Paket für die Krankenhäuser und die steigenden Ärztehonorare zu finanzieren, während Ulla Schmidt politische Rücksichten nehmen muss.
Mit Rückendeckung der Koalition wurde der Beitragssatz bei 15,5 Prozent festgesetzt, nicht zuletzt, weil im Unterschied zur Zusatzprämie, die die Versicherten alleine schultern müssen, hier die Arbeitgeber mit von der Partie sind. Dieser Beitragssatz gilt dann für ein Jahr und wird nur verändert, wenn die voraussichtliche Kostendeckung des Fonds unter 95 Prozent fällt. Damit sollen die Kassen animiert werden, mehr als bisher zu sparen. Durchaus erwünscht ist dabei das bereits einsetzende Fusionsfieber: Kürzlich hat sich bereits die Technikerkasse die kleine IKK, ein Filetstückchen im Kassensystem, gesichert. Erwartet wird, dass von den heute rund 240 Anbietern höchstens 50 übrig bleiben.
Das muss nicht von Nachteil für die Versicherten sein, denn große Kassen sind eher in der Lage, günstige Rabattverträge, zukunftsweisendes Patientenmanagement und ein differenziertes Leistungsangebot zu aller Vorteil auszubauen. Eine "Einheitskasse", wie von der freidemokratischen Ärztelobby als Schreckgespenst inszeniert, ist nicht zu erwarten. Schwierig dagegen wird es für Patienten, sich im immer komplizierteren Angebotsdickicht der Kassen zurechtzufinden: Wahltarife mit und ohne Selbstbehalt, Sondertarife und Zusatzversicherungen. Wer hier den Überblick behalten und nicht auf dem neuen unternehmerischen Glatteis der Kassen ausrutschen will, benötigt Wissen, Zeit und Nerven. Die ärmeren Versicherten werden aus der Konkurrenzschlacht jedenfalls weniger Nutzen ziehen.
Den Kassen hatte das Ministerium bis zum 1. Januar Schuldenfreiheit verordnet, um allen die gleichen Chancen zu garantieren. Nachvollziehbar, dass diese mit einem möglichst gut gefüllten Fondstopf starten wollen. Je mehr Geld in den Fonds fließt, desto mehr wird pro Kopf - die Pauschale wird je nach Beitragslage zwischen 150 und 170 Euro liegen - an die Kassen ausgeschüttet und desto geringer ist deren Druck, einen Zusatzbeitrag erheben zu müssen. Da der Bundeszuschuss für den Fonds für 2009 feststeht, lässt sich dessen Finanzniveau nur über die Beitragsschraube regulieren.
Unterstellt man einmal rund 160 Milliarden Euro Fondsvermögen, dann hat man eine Vorstellung von der fetten Schokoladentorte, die hier verteilt wird. Damit es zwischen den Kassen nicht zu Wettbewerbsverzerrungen kommt, erhalten sie für bestimmte Gruppen von chronisch Kranken einen Zuschlag (morbiditätsorientierter Risikostrukturausgleich). Ein echtes Finanzrisiko liegt aber weniger bei den Kranken als bei den Hartz IV-Empfängern, für die der Bund derzeit nur rund 118 Euro an Versicherungsbeiträgen monatlich in den Fonds einbezahlt - eine glatte Unterfinanzierung, über die im Kabinett derzeit gestritten wird.
Wie sich das System 2009 entwickeln wird, hängt aber nicht nur von den Einnahmen und Ausgaben ab, sondern auch davon, wie sich die Versicherten verhalten werden. Folgen sie dem Rat von Bundesfamilienministerin von der Leyen und wechseln die Kasse, wenn sie ihnen zu teuer wird, werden diese sich veranlasst sehen, die Schere entweder am Leistungsangebot anzusetzen oder beim Personal einzusparen - oder beides. Ob es tatsächlich zum lustigen Kassen-Hopping kommt wie vor einigen Jahren in den Niederlanden in einer vergleichbaren Situation, ist derzeit noch nicht absehbar. Erfahrungswerte zeigen, dass es eher die jüngeren, gesünderen Versicherten sind, die den Markt beobachten und bereit zum Wechsel sind.
Die "kleine Kopfprämie", der Zusatzbeitrag, den Kassen erheben können, wenn sie mit den zugewiesenen Mitteln aus dem Fonds nicht auskommen, ist deshalb das von Versicherten wie Kassen und Politik am meisten gefürchtete Ass im Gesundheitspoker. 2009, so haben die Vorstände angekündigt, soll der Zusatzbeitrag möglichst nicht erhoben werden; sehr im Sinne der Regierung, die da schon im Wahlkampf steht. Im November 2009 - also nach den Bundestagswahlen - wird der Beitragssatz neu festgesetzt. Wie er ausfällt, hängt von der Kostenentwicklung, der neuen Regierung und dem Einfluss der Unternehmen ab. Für den Zusatzbeitrag wird es dann kein Halten mehr geben.
Im Unterschied zum Börsengeschäft, aus dem Anleger einfach aussteigen können, sind 90 Prozent der Bevölkerung als Pflichtversicherte dem Gesundheitsfonds auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Was aber passiert, wenn Kassen ihre Leistungen einschränken, wenn die Wartezeiten in den Facharztpraxen und Krankenhäusern noch länger werden, wenn neue Zuzahlungen erhoben werden und die 65 Prozent, mit denen Versicherte heute schon an den Gesundheitskosten beteiligt sind, auf 70 Prozent und mehr steigen? Wenn der Notarzt nicht mehr kommt oder Patienten im Krankenhaus unversorgt auf dem Gang liegen bleiben? Wer das Vertrauen in die Gesundheitsversorgung verspielt, hat ein gravierendes politisches Problem.
Der Gesundheitsfonds war einmal so etwas wie ein Rohbau, aus dem je nach politischer Konstellation die von Rot-Grün gewünschte gesundheitspolitische Solidarkirche namens Bürgerversicherung oder die Eremitage der Union ("Kopfpauschale") hätte entstehen sollen. So wie die Dinge derzeit liegen, bekommen wir beides - zu einem horrenden Preis. Denn wenn die Überforderungsklausel greift und die gesetzlich auf ein Prozent des Einkommens gedeckelte Zusatzprämie nicht ausreicht, müssen die gut verdienenden Versicherten einer Kasse ´ran. Und irgendwann werden auch die dran glauben müssen, die ihr Einkommen nicht aus Erwerbsarbeit beziehen. Das wäre ja durchaus wünschenswert. Falls bis dahin das globale Finanzsystem nicht völlig zusammengebrochen ist.
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