Frauen können es einfach nicht

Machtspiele Die Qualifikation von Politikerinnen wird oft und gern angezweifelt. Auch davon erzählt das neue Buch von Susanne Gaschke
Ausgabe 38/2014

Vertrauen ist eine kostbare Währung. Und eine fragile. Seitdem die feste Burg des Gottvertrauens erschüttert ist, sind wir darauf angewiesen, uns gegenseitig zu vertrauen. Deshalb haben Vertrauensgefühle, so die Historikerin Ute Frevert, die dieser „Obsession der Moderne“ auf den Grund gegangen ist, besondere Konjunktur. Vor allem in der Familie und in Liebesbeziehungen. Dabei bleiben wir natürlich immer unsicher, zweifeln und argwöhnen, ob die anderen sich wohl gegen uns und unser Wohl entscheiden mögen. Über das Vertrauen wachen dabei die Frauen; denn ist das einmal verspielt, scheint es in der Misstrauenskultur unserer Tage nicht mehr ersetzbar zu sein.

Vielleicht reagieren Frauen auf Vertrauensbruch deshalb empfindlicher als Männer und, wie die Literatur lehrt, erbarmungsloser. Verrat von Freunden oder geliebten Menschen wird unversöhnlich verfolgt in der Art von Erinnyen, die sich, um mit Friedrich Schiller zu sprechen, „gnadenlos um den flücht’gen Fuß“ schlingen und den Verräter bis ins „Schattenreich“ jagen. Ein derlei antik anmutendes Drama hat in jüngster Zeit Bettina Wulff, die ehemalige Frau des Ex-Bundespräsidenten, zu inszenieren versucht. Mit mäßigem Erfolg, möglicherweise, weil die Fallhöhe ihres Gatten nicht mehr ausreichend hoch war. Er war ja nicht mehr im Amt.

Mit ebenso großer öffentlicher Aufmerksamkeit verfolgt im Nachbarland Frankreich derzeit Valérie Trierweiler ihren ehemaligen Lebensgefährten François Hollande. Ihr Buch zeichnet in mehr oder weniger peinlichen Einzelheiten den Verfall eines französischen Konkubinats nach. Da es sich in diesem Fall um einen amtierenden und außerdem angeschlagenen Präsidenten handelt, ist die politische Brisanz kalkulierter Indiskretion gravierender, immer jedoch handelt es sich bei diesem letzten Akt um eine verzweifelte Art des Schadenszaubers.

Eine Seiteneinsteigerin

Eine andere Form des Rachestücks bringt dieser Tage Susanne Gaschke auf die Bühne. Ein Jahr nach ihrem Rücktritt als direkt gewählte Kieler Oberbürgermeisterin sitzt die ehemalige Zeit-Redakteurin mit allem Werkzeug ihres Berufs über die politischen Verhältnisse in Schleswig-Holstein im Allgemeinen und die in ihren Sturz verwickelten Akteure im Besonderen zu Gericht. Es geht ihr um das Gleiche wie auch Valérie Trierweiler, die schrieb, die „einzige Möglichkeit, wieder Kontrolle über mein Leben zu bekommen, ist, es zu erzählen“.

Ihr Buch ist – neben einer ernstzunehmenden Auseinandersetzung mit der Verantwortung der Medien – auch ein Lehrstück über Frauen in der Politik. Diese haben zwar auf vielen Ebenen die „kritische Masse“ von einem Drittel erreicht, gehen aber, gerade wenn sie als Seiteneinsteigerinnen reüssieren, immer noch „volles Risiko“ (so auch der Titel von Gaschkes Buch) ein, wenn sie auf den konkurrenz- und profilierungsgeprägten, in Freund-Feind-Denken verharrenden Politikbetrieb treffen. Und es geht in diesem Buch um das Ausloten einer Politikkultur, in der Vertrauen und Misstrauen eine große Rolle spielen.

Als sich die Journalistin 2012 entschloss, für die SPD für das Kieler Oberbürgermeisteramt zu kandidieren, trieb sie sicher nicht nur die wiederholt versicherte Liebe zur ihrer Heimatstadt. Sie wollte, wie sie schreibt, dort „gestalten“, wo es ihr am sinnvollsten schien: in der Kommunalpolitik. Nach wie vor eine Diaspora für Frauen.

Als Seiteneinsteigerin ohne jegliche Verwaltungserfahrung, zudem mit einem SPD-Bundestagsabgeordneten verheiratet, schlug ihr insbesondere seitens der eigenen Genossen Misstrauen entgegen. Zunächst wurden „Gaschke-Verhinderungsfavoriten“ ins Rennen geschickt. Als sie sich dann jedoch in der eigenen Partei und später auch im Wahlkampf gegen die Konkurrenz mit einem durchaus honorablen Ergebnis durchgesetzt hatte, konzentrierte sich Gaschkes Vertrauenswerbung auf den „Nahbereich“. Also die Verwaltung und den selbstgefälligen, von „Frührentnern, Langzeitstudenten, Angehörigen des Öffentlichen Dienstes und abkömmlichen Rechtsanwälten“ dominierten Rat, von denen sie als Oberbürgermeisterin in hohem Maße abhängig war. „Vertrauen statt Angst“, war eine ihrer zentralen Losungen, die auch den politischen Gegner einbezogen. Und es gibt keinen Hinweis darauf, dass Gaschke nach ihrem Amtsantritt davon überzeugt war, sich durchzusetzen.

Aber Frauen sind in der Politik nicht nur historisch „Zuspätkommerinnen“, sie finden insbesondere auf Kommunalebene auch heute noch Strukturen vor, die von Gott gegeben erscheinen und überwiegend männlichen Interessen dienen. Eine fast „höfische“ Rathauskultur und ein Schleswig-Holstein-spezifischer intriganter Politikstil sind keine guten Voraussetzungen für eine Frau, die schon qua Beruf vor allem auf das Wort vertraut und auch ein gewisses pädagogisches Gebaren an sich hat. Das ließ sich bereits an ihrem Buch Die Emanzipationsfalle ablesen. Als politische Aufsteigerin und bildungsgläubige Mittelschichtsfrau traf Gaschke auf ein intellektuell eher schlichtes, dafür ausgeprägt machtbewusstes Biotop.

Statt ihre Hausmacht in der SPD zu festigen, verfasste sie lieber selbst „menschlichere“ Briefe und Grußbotschaften aus dem Rathaus oder überwachte die Leseförderung der Kleinsten. Statt sich die inkriminierte Akte über das Steuerverfahren, über das sie am Ende stolpern sollte, vorlegen und sich von ihrem Rat den Rücken stärken zu lassen, ging sie lieber in die Kitas, um sich selbst „ein Bild von der Arbeit in den städtischen Einrichtungen“ zu machen. Da scheint noch immer die ehemalige Volontärin der Regionalzeitung unterwegs gewesen zu sein, die erst glaubwürdig schreiben kann, wenn sie etwas in Augenschein nimmt. Oder eben die Frau, die sich mehr für das Schicksal der Stadtkinder interessiert als für komplizierte und intransparente Steuerangelegenheiten. Man kann das „weiblich“ nennen, und es gibt daran auch nichts zu kritisieren. Aber solange ein solcher Stil nicht durchgesetzt ist, wäre die Beschäftigung mit der Akte eben auch ein Muss gewesen, zumindest, wenn es um eine Unterschrift geht.

Über diese voreilige Unterschrift unter den so genannten Steuerdeal mit einem Kieler Klinikchef stürzte Gaschke. Sie beruhte, so schreibt sie, auf dem Vertrauen ihren Mitarbeitern gegenüber und auf dem Vorvotum ihres Amtsvorgängers Torsten Albig, der zum Ministerpräsidenten aufsteigen sollte. Albig hatte seine Verwaltung schon während seiner Amtszeit darauf angesetzt, auf einen Teil der Steuerschuld zu verzichten, um überhaupt noch etwas für die Stadt einzutreiben. Dass er von den Schatten der Vergangenheit nicht behelligt werden wollte, dass der SPD-Landesvorsitzende Ralf Stegner ohnehin zu Gaschkes Widersachern zählte und dass sich aus einer rein kommunalen Angelegenheit eine Staatsaktion entwickeln würde, konnte die Amtsinhaberin damals nicht wissen. Was sie als erfahrende Journalistin vielleicht hätte voraussehen können, ist der Verlauf einer medialen Erregungskurve, der sie dann, so scheint es, völlig hilflos ausgeliefert war.

Weibliche Fluchtreflexe

Gaschke zeichnet den Kieler Krimi minutiös, mit hoher Spannungskurve und, das räumt sie freimütig ein, subjektiv nach. Ganz so, wie sie ihn erlebt hat. Ob sie wie bei Schiller die „Bösewichter“ Albig und Stegner damit ins „Schattenreich“ verfolgen wird, ist eine andere Geschichte und letztlich zweitrangig. Gaschkes kritisches Augenmerk gilt heute ohnehin eher ihren Medienkollegen.

Was sich jedoch durch das gesamte Buch zieht, ist das in einer sehr geschlechtstypischen Weise auftretende Vertrauens-Thema. Dass man ihr nicht zutraute, den Rathausladen in Gang zu halten, hat Gaschke schon bei ihrer Kandidatur zu spüren bekommen. Auch in der Hochphase des Skandals stand ihre Qualifikation immer wieder im Zentrum. Ähnliches erlebt gerade auch Ursula von der Leyen. Der stets bleibende Zweifel an der Qualifikation – unabhängig von der Beurteilung der einzelnen Person – ist eine typische Angriffsstrategie gegenüber Frauen. Gaschke reagierte auf die Vorwürfe geschlechtsspezifisch, nämlich tief verletzt. Erinnert sei nur an jene berühmt gewordene Rede im Rathaus, während deren sie in Tränen ausbrach. Außerdem spielte sie immer wieder mit dem Gedanken, sich frühzeitig zurückzuziehen. Dass sie „hereingelegt“ und von der eigenen Partei bewusst verraten worden sein könnte, diese Vorstellung lässt sie lange nicht zu. Denn das wäre fast so, als fiele ihr ein Liebhaber oder eine enge Freundin in den Rücken.

Und dann gab es die Totstell- und Fluchtreflexe. Anthropologisch gesehen sind sie eine natürliche Überlebensstrategie, in einer Mediengesellschaft aber, zumal von einer ehemaligen Medienfrau, umso fataler. Als Flucht erschien es, als Gaschke versuchte, sich hinter dem schützenden Rücken des SPD-Ehemannes zu verstecken. Der sollte dann die Kohlen aus dem Feuer holen. Diese Intervention war zwar keine „Nötigung“ des Innenministers, wie Gerichte bestätigen, aber sie zeugt von zunehmendem Kontrollverlust. Denn dass Gaschke selbst ganz gut austeilen und nachtreten kann, beweist dieses Buch mit seinen vielen mehr oder weniger subtilen Spitzen.

Susanne Gaschke ist ein Einzelschicksal mit durchaus tragischen Zügen; es ist aber auch selbstverantwortet von einer Frau, die unter bestimmten politischen Bedingungen mitspielen wollte. Davon abgesehen scheint darin auch eine Illusion und ein Paradoxon moderner Gesellschaften auf, die glauben, die Vertrauenszone in die öffentliche Sphäre ausdehnen zu können. Ausgerechnet dorthin, wo die Münze Vertrauen inflationär in Umlauf gebracht und entwertet wird. Für Politikerinnen wird das dann ein Problem, wenn sie diese Münze als Person verkörpern sollen oder wollen, weil politische Fehler einer Frau anders wahrgenommen und geahndet werden. „Ich habe den falschen Leuten vertraut“, schreibt Gaschke über ihren Absturz. Möglich. Aber vor allem hat sie zu sehr darauf vertraut, dass „anders regieren“ nur eine Überzeugungstat und keine Machtfrage ist.

Das Buch von Susanne Gaschke ist soeben unter dem Titel Volles Risiko. Was es bedeutet, in die Politik zu gehen in der Deutschen Verlags-Anstalt erschienen

€ 4,95 statt € 14,00 pro Monat

nur heute am Geburtstag von F+

Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin (FM)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

Ulrike Baureithel

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