Wenn alles gesagt ist und die »harten« Argumente ausgetauscht sind, gebietet es die gängige Konferenzkultur, möglichst inhomogene Typen um einen Tisch zu scharen, und das Ereignis noch einmal journalistisch zu ventilieren. Gelungen gelten Podien dann, wenn es dem sogenannten, meist unserer Zunft entstammenden Moderator gelingt, die (in der Regel überhaupt nicht austauschwilligen) DiskutantInnen aufeinander zu hetzen und den am Ende eher verdunkelten Erkenntnishorizont mit einem Kommunique aufzuhellen, etwa der Art, dass bei aller Annäherung der streitenden Parteien noch viele Fragen offen geblieben seien.
Das Kommunique, das die Ringvorlesung »Bioethik und Biopolitik« an der FU Berlin abschloss, übernahmen allerdings nicht die weitgehend abgetauc
d abgetauchten Moderatoren, sondern die beiden Hauptakteure selbst - und es fiel überraschend aus: »Wir sind schließlich nicht die Prawda!«, proklamierte FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher; was der eigens aus der schweizer Provinz eingeflogene und als Kontrahent installierte Peter Glotz (SPD) süffisant als »den wichtigsten Satz des Abends« notiert haben wollte.Unsichtbarer Dritter auf dieser Veranstaltung, die etwas schwerfällig die »Vermittlung von Bioethik in einer Demokratie« offerierte, war das Medium selbst. Überaus schwungvoll zerrte der Kommunikationswissenschaftler Glotz die »Forschungspuristen« und ihr im FAZ-Feuilleton inkarniertes »Angstkartell« aufs Schafott der Wissenschaftsfreiheit, um sie dort mit der Wort-Guillotine zu erledigen. Die »schwarz-grüne Bioallianz« mit ihrem »Hass auf die Naturwissenschaften« torpediere in Deutschland nicht nur eine »vernünftige Diskussion über Sterbehilfe«; vielmehr gehe ihr »Generalsekretariat für Seele« mit unseriösen Wissenschaftsgurus wie Bill Joy oder Ray Kurzweil auf Leserfang und versuche, das wissenschaftliche Zeitalter einfach zurückzudrehen.Nach derlei rhetorischer Sterbehilfe bedurfte es einiger Reanimation, bis sich Schirrmacher aus der Asche der katholischen Kirche zu erheben vermochte und sein Credo der »Freiheit von Angst« anzustimmen. Nicht Angstproduktion, sondern die journalistische Begleitung des wissenschaftlichen »Visions- und Utopie-Kartells« sei Sache seiner Redaktion. Keineswegs verbeuge man sich vor katholischen Richtern, sondern spüre der letzten »säkularen Religion«, der Gesundheit, nach, und den »Hysterien, die der Gesundheitsmarkt« hervortreibe. »Wir wollen als Zeitung entziffern helfen, was sich im Innern der Menschen abspielt.« Ach, glückliche Gen- und Seelenfahnder und Verehrer der Schrift, die Euch in beschleunigte Galaxien versetzt! »Wenn sie einknicken«, schallte Schirrmachers Ruf über den halbbesetzten Hörsaal - und man wusste nicht recht, meinte er nun die katholische Kirche oder galt der Appell seiner Redaktion? - »dann ist alles verloren!«Kein Zweifel, da steht einer, der von seiner Mission überzeugt ist und gleichermaßen in den Niederungen des Geschäfts - how to sell sciences - bewandert. Mit »Angstkartell«, wie Peter Glotz meint, hat das wenig zu tun, auch nicht mit den Schatten der Nazi-Vergangenheit - mehr schon mit hybrider Überbietung: Da machen sich welche auf, die in der trägen Kultursphäre nicht abgehängt, von der »Beschleunigungserfahrung« nicht überrollt werden, sondern sich an die Spitze der technischen Zivilisation stellen und das »Diskursformat« bestimmen wollen.Wo nämlich die »großen Erzählungen« versagt und die Wissenschaftsspezialisten sich selbst anschicken, als Erzähler ihrer Geschichte aufzutreten, tut sich das traditionelle Feuilleton schwer, ihre Anschlussfähigkeit zu behaupten. So wird die Überholspur planiert von apokalyptischem Raunen und selbstmächtiger, futorologisch gestimmter Rhetorik. Das ist alles nicht sonderlich neu, denn die »Freiheit von Angst«, so wie sie Schirrmacher Co. in der Nachfolge eines Ernst Jünger verstehen (und der kürzlich zwei kostbare Feuilletonseiten geopfert wurden), ist ein intellektuelles Unternehmen der Moderne. Sie hat nicht vorrangig mit sozialen Ängsten zu tun, sondern mit den mentalen Eiswüsten und Absturzrinnen der sogenannten gebildeten Schichten.Das blieb in der dualistisch angeordneten Diskussion zwischen Klotz und Schirrmacher allerdings außen vor. Dabei hätte es nur eines kleinen Gedankenexperiments bedurft, die Definitionsmacht des FAZ-Feuilletons zu überprüfen: Was eigentlich wäre aus dem kulturell formieten Gen-Diskurs geworden, wenn sich im Jahre 2001 der Neue Markt und seine biotechnologischen Spitzen nicht verabschiedet und stattdessen weiterhin seine Fieberkurven geschrieben hätte? Denn, da wird Frank Schirrmacher vielleicht zustimmen, für die Wirtschaftsrepublik ist die FAZ allemal eine »Prawda«.