Gesundheit auf dem Aldi-Markt?

ÄRZTEPROTEST 40 Verbände demonstrieren gegen die Berliner »Zuteilungsmedizin«

Wer schon einmal - um ein willkürliches Beispiel zu wählen - bei Aldi Merci-Schokolade gekauft hat, weiß, dass sie ebenso gut schmeckt wie die gleichnamigen Schokostäbchen aus der Confisserie. Allerdings wird man sich gut überlegen, ob man zu einem Geburtstag eine Packung aus dem Aldi mitbringt oder die Dankeschön-Schokolade brav und zum höherem Preis aus dem regulären Sortiment ersteht. Im Unterschied zum quadratischen Merci-Gruß ist die längliche Aldi-Packung nämlich verräterisch und weist peinlich auf den Konsumort hin.

Am Rande vergleichbar ist das mit den sogenannten Generika, die momentan im Mittelpunkt der erbitterten Auseinandersetzung zwischen Gesundheitsministerin Fischer und den Ärzten stehen. Generika sind billige Kopien von Markenarzneimitteln, deren Patente (in der Regel nach zehn Jahren) abgelaufen sind. Andere Hersteller übernehmen die Rezeptur und lassen ihre Produkte unter neuem Namen zu, mit allen Hürden, die üblicherweise ein medizinisches Produkt in der Bundesrepublik zu nehmen hat. Eine solche Vorgehensweise nennt man marktgängigen Kapitalismus, und dieser wird hierzulande mehr denn je als wirtschaftsgesundend verordnet.

So jedenfalls sieht das die Gesundheitsministerin. Mit Winfried Schorre, dem Vorsitzenden der Kassenärztlichen Vereinigung, handelte sie den Generika-Kompromiß aus. Zum größten Ärger der Mediziner-Lobby, die er vertritt und die nun öffentlich seinen Rücktritt fordert.

Im Unterschied zur Merci-Schokolade aus dem Aldi ist es den Patienten letztlich egal, ob ihre Arznei aus dem Hause Sandoz oder Bayer stammt oder beispielsweise aus der Stada-Arzneimittelfabrik aus Bad Vilbel, die kürzlich mit ihrer breiten Palette von Generika das Börsenparkett betreten hat; ihr Interesse konzentriert sich darauf, dass das Medikament wirksam ist. Die Verflechtung zwischen Medizinern und Pharmaindustrie ist bekanntlich etwas komplizierter, und zudem sieht die Ärzteschaft ihre Verordnungsfreiheit gefährdet.

Seit vergangener Woche schaltet nun ein sogenanntes »Bündnis Gesundheit 2000« großflächig Anzeigen, das reklamiert, für unsere, der PatientInnen Gesundheit, »zu kämpfen«. Von den Ärztekammern über die niedergelassenen Ärzte und deren schlechtbezahlten Helferinnen bis hin zu den Hebammen behaupten ca. 40 bundesweit agierende Verbände, die Bonner, jetzt Berliner »Zuteilungsmedizin« mache krank und bedrohe 19.000 Arbeitsplätze im Gesundheitswesen. Eine Großkundgebung am 22. September soll die Aktion, die eine halbe Million Mark kostet, abschließen.

In der Tat ist das Vorhaben der Ministerin, die Ausgaben strikt zu begrenzen und das Globalbudget an die Lohnentwicklung zu koppeln, von wenig Weisheit beseelt, denn die Tatsache, dass die Menschen weniger lohnarbeiten, macht sie keineswegs gesünder.

Andererseits weist die Aufregung über das Arzneimittelbudget und die Tatsache, dass die Kosten für Medikamente im ersten Quartal 1999 um 12,1 Prozent in die Höhe geschnellt sind, darauf hin, dass Gesundheitspolitik immer auch Standespolitik ist. Weshalb sollte beispielsweise die Patientengemeinschaft die Entwicklung einer aufwendigen und oft genug fragwürdigen High-Tech-Forschung, nicht zuletzt im Bereich der Gentherapie, bezahlen, während andererseits die nach wie vor aussichtsreicheren und billigeren Alternativtherapien wie Homöopathie nicht erstattungsfähig sind?

Wer wie die Mediziner-Lobby gegen »Planwirtschaft« polemisiert, sollte sich nicht scheuen, das Unternehmer-Risiko zu tragen. Wer jedoch ein vernünftig geplantes patien tenorientiertes Gesundheitswesen will, sollte sich von der Vorstellung verabschieden, Krankheit und Gesundheit könnte den zufälligen Marktströmen angepasst werden.

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

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