Als die Sozialdemokratin Ulla Schmidt im Mai 2001 die ersten 100 Tage als Gesundheitsministerin hinter sich gebracht hatte, attestierte man ihr einen „unklaren Kurs“. Ihre Bewährungsproben verlagerten sich fortan auf die Zeit nach der jeweiligen Gesundheitsreform. Zweifel an seinem Kurs lässt ihr Nachfolger Philipp Rösler von der FDP nicht erkennen, aber ob er auf seinem Gesundheitstanker je die Reformprobe antreten muss, wird sich noch zeigen.
In den eigenen Reihen enttäuscht die Fahrt des smarten Jungkapitäns, weil ihm die Öffentlichkeit den ehrlichen Seemann nicht abnehmen will und befürchtet, mit ihm in schlechte Wetter zu geraten. Die Opposition dagegen sieht auf dem Luxusdeck schon die Liegestühle für Privatversicherer, Ärz
, Ärzte und Pharmaindustrie aufgestellt. Und am gesundheitspolitischen Kompass hat der zweite Steuermann von der CSU die Nadel festgezurrt und freut sich über den aufkommenden Gegenwind.Die Frage ist nun, ob Kapitän Rösler trotz der acht Euro Heuer, die einige Krankenversicherer gerade in Rechnung stellen, den sozialpolitischen Systemwechsel herausfahren kann. Das Vermächtnis der großen Koalition erweist sich für Union und SPD als schwere Hypothek. Dass der Hartz-IV-Empfänger den Zusatzbeitrag ebenso aufbringen soll wie der Büroleiter mit Familienversicherung und Steuervorteil, ist so ungerecht, dass nicht einmal die einstigen Erfinder seine Verteidigung übernehmen wollen und die Verantwortung lieber dem durch die Talk-Runden geisternden Phantom Schmidt zuschieben.Reklametechnisches ProblemRösler versucht aus dem Unmut über die „Schmidt-Abgabe“ Rückenwind zu gewinnen. In der Boulevardpresse geißelt er den Zusatzbeitrag als „unsozial“ und bewirbt seine Gesundheitsprämie mit Sozialausgleich. Das reklametechnische Problem liegt in der Ähnlichkeit der Modelle, denn die „kleine Kopfpauschale“ der letzten Gesundheitsreform wird nicht nur von den Grünen als Einstieg in die große wahrgenommen. Auch glaubt kein vernünftiger Mensch, der überschuldete Bund könnte auf Dauer den nötigen Sozialausgleich von 36 Milliarden Euro stemmen. Steuer runter, Kopfpauschale rauf?, fragt die CSU höhnisch und treibt den Minister an, die Kosten zu senken. Die Ärzte ihrerseits fordern offen Leistungsbeschränkung. Um das Image als Lobbyist loszuwerden, hat Rösler jetzt die Pharmaindustrie einbestellt. Sogar die Positivliste für Arzneimittel, über die schon die grüne Amtsvorgängerin Andrea Fischer stolperte, ist wieder im Gespräch.Zum Opportunismus der Opposition gehört es, von den Reden und Taten von gestern nichts mehr zu wissen. Das gilt für Hartz IV und die Rente mit 67 wie für die Gesundheitsreform. War es nicht die SPD, die, an der Regierung, die Arbeitgeber von Sozialabgaben entlasten wollte? War nicht noch kürzlich von ihrem Gesundheitsexperten Karl Lauterbach zu hören, dass keine Fraktion (mit Ausnahme der Linkspartei) einen Beitragssatz von über 15,5 Prozent anvisiere? Jetzt entdeckt die Partei die Gerechtigkeitslücke und kündigt ein Reformkonzept an, das die Rückkehr zu paritätischen Beiträgen, Streichung der Zusatzprämie und Einbeziehung aller Einkunftsarten in Aussicht stellt. Schön aufgesetzt, und, na ja, Greenpeace hat es mit Schlauchbooten auch geschafft, die Großtanker zu piesacken.Wie beim katholischen AblasshandelFatal an der Diskussion ist, dass nur noch über Gesundheitskosten und ihre Finanzierung gesprochen wird, jedoch überhaupt nicht mehr davon die Rede ist, wofür die Mittel aufgebracht werden sollen. Der Medizinkritiker Ivan Illich hat die Gesundheitsökonomie einmal mit dem katholischen Ablasshandel verglichen: Man könne nie nachrechnen, wie viel die Mönche einnehmen, sondern nur Kirchenkuppeln bewundern, Messen beiwohnen und mutmaßen, wie viel der Obolus nach dem Tode einbringe. Ähnlich stehe es mit der Bereitschaft des Steuerzahlers, die steigenden Medizinkosten zu berappen. Diese Bereitschaft steigt umso mehr, je normierter Gesundheit verstanden wird. So wird der Glauben gestärkt, Gesundheit hätte etwas mit der Höhe der Arztrechnung zu tun. Dabei müsste es doch umgekehrt sein.Diese Rechnung wird den Bürgern, konkret und in übertragenem Sinne, bald präsentiert werden. Schlägt die Angst vor steigenden Zusatzbeiträgen und sinkenden Leistungen um in Zustimmung zu Röslers Pauschalprämie, die schon deshalb unsozial ist, weil sie die Privatversicherung unangetastet lässt, wird das heutige System entmischt in Bittsteller und Draufzahler. Es dürfte dann nicht mehr lange dauern, bis auf dem bisherigen Zweiklassenkahn noch ein Unterdeck mit „Grundversorgung“ eingerichtet wird.In welche Richtung das Schiff nun steuert und mit welchen sozialpolitischen Folgen, das wird sich erst in den nächsten Monaten erweisen. Ist der Kurs aber erst einmal geändert und die alte Route aufgegeben, kann man nicht mehr so einfach umsteuern. Gerade die zögernde Kanzlerin weiß das aus Erfahrung. Was eigentlich wäre aus der Deutschen Einheit geworden, wenn es nicht eine scheinbar unendlich dehnbare Solidarversicherung gegeben hätte, die den sozialen Lastenausgleich übernommen hat? Die Gesetzliche Krankenversicherung hat Besseres verdient als von einem Philipp Rösler auf See bestattet zu werden.