Seit dem 1. August 1996 hat jedes drei- bis sechsjährige Kind in Deutschland einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz, der durch die Stichtagsregelung allerdings erst Anfang 1999 für alle wirksam wurde. Damals trommelten Länder und Kommunen im Vorfeld zum Widerstand wegen der unabsehbaren finanziellen Belastungen: Der damalige Stuttgarter Oberbürgermeister Manfred Rommel (CDU) zweifelte aus dem Präsidium des Deutschen Städtetags heraus sogar an der Verfassungsmäßigkeit des Plans, die Gemeinden zu einer Kita-Vollversorgung zu zwingen. Eine Erhebung aus dem Jahr 2002 indessen zeigt, dass fast alle Bundesländer das Plansoll erfüllt haben, selbst wenn es hie und da noch zu Engpässen kommen mag. Zweifelsohne hat dieser einklagbare Rechtsanspruch der Eltern die Kommunen auf Trab gebracht.
Heute immerhin, insofern haben sich die Zeichen verändert, begrüßt der Präsident des Deutschen Städtetags, Christian Ude (SPD), auf dem Krippengipfel Anfang April den "entscheidenden Durchbruch" im Betreuungsstreit. Zu einem Rechtsanspruch aller unter dreijährigen Kinder auf einen Betreuungsplatz allerdings konnte sich die Runde um Familienministerin Ursula von der Leyen nicht durchringen. Zwar soll bis 2013 jedes dritte Kind in einer Betreuungseinrichtung oder in der privaten Tagespflege (wobei bezeichnenderweise immer nur von Tagesmüttern die Rede ist) untergebracht werden können, und das Angebot von heute maximal 280.000 soll auf 750.000 Plätze steigen, doch einzuklagen ist der Krippenplatz nicht.
Eine Familienrevolution ist mit der grundsätzlichen Einigung zwischen Bund und Ländern gewiss nicht eingeläutet, auch wenn sich in verschiedenen "Leitmedien" mittlerweile immer nachdrücklicher Stimmen zu Wort melden, die sich gegen die angebliche Diskriminierung der Hausfrauenehe wehren und Familien, die Kinder in ihrer Mitte betreuen, "kommunikativ an den Rand gedrängt" sehen. Die Verabredung auf dem Krippengipfel ist nichts weiter als eine - reichlich späte - Reaktion auf die Tatsache, dass sich junge Menschen zwar Kinder wünschen, die Realisierung des Kinderwunsches aber - wenn auch nicht ausschließlich - daran scheitert, dass junge Frauen im Zusammenhang mit der "Kinderpause" berufliche Nachteile erwarten.
So lange also kein staatlicher Gebärzwang für den arbeitenden und Beiträge zahlenden Nachwuchs sorgt, muss der Staat Anreize schaffen, da ist die Familienministerin ganz pragmatisch. Das Elterngeld war ein erster Schritt, die besser verdienenden Frauen (und Männer) ins Kinderboot zu holen; die bessere Krippenversorgung ist eine konsequente Folge, wenn man will, dass die gut ausgebildeten Frauen baldmöglichst wieder berufstätig zur Verfügung stehen. Da ist, wie Connie Uschtrin kürzlich zeigte (Freitag 8/2007), wahrlich keine emanzipatorische Ideologie am Werk - und schon gar keine sozialistische, wie manche orakeln, weil da etwas Vernünftiges aus dem Osten über den Westen kommt. Eher schon führt neoliberale Notenschrift durch dieses Familienlibretto.
Der Verzicht auf den Rechtsanspruch könnte im bereits angelaufenen Streit um die Finanzierung zur Achillesferse werden. Die Ministerin rechnet mit drei Milliarden Euro für Ausbau und laufende Kosten, die Kommunen veranschlagen für den Ausbau fünf, für den Betrieb noch einmal drei Milliarden Euro. Wie das Projekt gegenfinanziert werden soll, ist bislang völlig offen und steht auf der nächsten Beratung des Koalitionsausschusses am 16. April zur Debatte. Der Finanz-Krakeel hat mittlerweile auch die Länder erreicht, und er verläuft sauber am Ost-West-Graben entlang. Da die westlichen Bundesländer die Entwicklung entweder verpennt oder ausgebremst haben, ist ihr Nachhol- und Mittelbedarf besonders groß, und sie melden einen überproportionalen Anteil am großen Goldfluss aus Berlin - zu Lasten der ostdeutschen Länder - an. Die ostdeutschen Kita-Vorbilder wie Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern oder Brandenburg (um nur die drei Spitzenreiter zu nennen; Sachsen-Anhalt, wo es einen Rechtsanspruch gibt, stellt schon heute für die Hälfte der Kleinsten einen Krippenplatz), haben, was den Ausbau angeht, geringeren Bedarf und müssten sogar Krippen schließen, wenn sie der Ein-Drittel-Regelung des Ministeriums folgen würden. Deshalb fordern vorab Hessen, aber auch das Saarland und Niedersachsen als Schlussleuchten bei der Kinderbetreuung nach 17 Jahren Solidarpakt "umgekehrte Solidarität". Der brandenburgische Ministerpräsident Platzeck hat sich mittlerweile gegen eine solche "Bestrafung" für gute Führung verwahrt.
Bis zur endgültigen Finanzierungslösung dürfte an Bedarfszahlen und Verteilungsquoten noch reichlich geschnitzt werden. Typisch für Debatten dieser Art ist, dass es nur um Zahlen und nirgends um Inhalte geht. Eine Idee jedoch des SPD-Linken Dieter Rossmanns hat eine unleugbare Evidenz: Er schlägt im Duett mit dem Wohlfahrtsverband vor, die Kitas durch die Unternehmen finanzieren zu lassen, indem die Steuerentlastungen für Unternehmen rückgängig gemacht werden. Ein Motiv für die außerhäusliche Betreuung von kleinen Kindern nämlich ist die Frühförderung - insbesondere, wenn es sich um Kinder aus so genannten bildungsfernen Schichten handelt. Die neue Direktorin des Wissenschaftszentrums Berlin, Jutta Allmendinger, hat kürzlich in einem Interview mit dem Tagesspiegel für "andere Kindergärten" plädiert, die eher "Lern-, nicht nur Spielwiesen" sein sollten. Kein "sozialistischer Drill", sondern Früheinübung in die nachwuchshungrige Konkurrenzgesellschaft. Die unkonventionelle Wissenschaftlerin, die als Leiterin des Instituts für Arbeitsmarkt- und Bildungsforschung ein Kinderzimmer einrichten ließ, um die Forscher auf den Fluren auch mit Kindern zu konfrontieren, beklagt die "deutsche Bildungsarmut" und fordert eine nachdrückliche Bildungsoffensive. Und die käme ja nicht nur den Kindern und ihren Familien zugute, sondern zuallererst dem "Standort".
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