Im Auge des Verkehrs

Handel bringt Wandel Der Dokumentarfilm "Frozen Angels" führt in die schöne neue Welt des Fortpflanzungsgewerbes von Los Angeles

Wer als Reisender einmal den S-Bahnhof Friedrichsstraße passiert, stößt im bunten Reklamereigen auf ein befremdendes Angebot: Im Herzen des Hauptstadt-Transits fahndet die Berliner Samenbank nach Samenspendern, wirbt für die optimale Bewirtschaftung von Spermien und befruchteten Eizellen und offeriert auch ein Produkt namens ICSI. Den meisten wird das wenig sagen, doch unter Eingeweihten ist ICSI ein Code, der ihren Hoffnungen eine Richtung gibt, den Traum vom eigenen Kind in eine Formel gießt. Mit ICSI wird dem schlappen Vaterkorn auf die Sprünge verholfen, indem ein bestimmtes Spermium in die Eizelle gespritzt wird. Seit 1992 wird dieses Verfahren praktiziert, und es hat sich unter den Methoden der künstlichen Befruchtung etabliert.

Dennoch ist das, was bei ICSI am Ende herauskommt - zumindest hierzulande - noch immer ein Zufallsprodukt. Ob das Baby, nennen wir es in Erinnerung an das erste Retortenkind Louise, blond wird oder dunkelhaarig, groß oder kleinwüchsig, ob es das Zeug zur Sportskanone hat oder eine Erbkrankheit in sich trägt - kurz, über die genetische Ausstattung von Louise lässt sich im Hinblick auf die Eltern nur spekulieren, doch nichts Bestimmtes sagen. Die genetische Vorauswahl ist in Deutschland umstritten und bislang ebenso verboten wie die Eizellspende und die Leihmutterschaft, die die genannte Gesellschaft mit beschränkter Haftung deshalb auch nicht in ihrer Angebotspalette hat.

Im südkalifornischen Los Angeles ist das anders: Dort ist der Verkehr nicht nur dichter als in Berlin und die Reichen sind reicher als anderswo, dort hat sich auch ein von gesetzlichen Restriktionen weitgehend unbelastetes Reproduktionsgewerbe niedergelassen. Was Chicago für den tierischen Fleischmarkt, ist L.A. für den menschlichen: Die Pornoindustrie floriert hier ebenso wie der Markt mit dem Kinderwunsch. In Kühlhäusern lagern eine halbe Million tiefgefrorener Spermien, genug, um eine Stadt zu bevölkern; Embryonen warten auf Abruf, um in einem von Leihmüttern feilgebotenen Uterus zu gedeihen; Frauen stellen unfruchtbaren Paaren ihre Eizellen zur Verfügung, und eine Phalanx von Spezialisten koordiniert diese Warenströme, an deren Ende eines stehen soll: Das optimale Produkt, das Baby nach Katalog.

In diese Zirkulationssphäre taucht der Dokumentarfilm Frozen Angels, tiefgefrorene Engel aus der Stadt der Engel. Flugzeuge am Himmel, ununterbrochene Autokolonnen unter einer nie weichenden Dunstglocke, so führen die Filmemacher Frauke Sandig und Eric Black in das Szenario der assistierten Fortpflanzung ein. Verkehr als Metapher für den umfassenden Austausch, der, wo er in den Betten nicht mehr funktioniert, nun vom Labor und der Klinik übernommen wird. Am realsten wirkt er noch dort, wo Geld die Protagonisten vermittelt, in der Agentur für Leihmütter und Eizellenspenderinnen von Bill Handel, der als Radio-Moderator gleichzeitig Werbung in eigener Sache betreibt. In Handels Agentur geht es zu wie in einem Job-Center: Leihmütter bieten Austragdienste und junge, hübsche Frauen Eizellen an. Nachgefragt werden sie von Paaren, die, aus welchen Gründen auch immer, selbst keine Kinder bekommen können.

Die Paare die wie Amy und Stece Jurewicz hierher kommen, wissen genau, was sie wollen: einen weißen, blauäugigen blonden Jungen. Intelligent soll er auch sein und musikalisch. Und gesund natürlich. Amy und Stece haben alle künstlichen Methoden, ein Kind zu zeugen, ausgeschöpft und sind nun, Mitte vierzig und zu alt für eine Adoption, auf Handels Agentur als letzte Möglichkeit gestoßen. Kim Brewer, die schon einmal als Leihmutter fungierte, soll ihr Wunschkind austragen. Sie macht es wegen des Geldes. Würde sie in einem anderen Job genügend verdienen, würde sie die Prozedur wahrscheinlich nicht auf sich nehmen. 64.000 Dollar kostet eine Leihmutter im Katalog, kombiniert mit einer Eizellspende 80.000. Davon bekommen die Frauen natürlich nur einen Bruchteil.

Anders Kari Ciechoski, die, um Eizellen zu spenden, eine aufwändige und - im Film leider nicht problematisierte - risikoreiche Hormonbehandlung auf sich nimmt. Obwohl sie mit dem Honorar die eigene Musikausbildung finanziert, sieht Kari das Ganze weniger als Geschäft. Aber "Gott spielen" will sie auch nicht, sie sieht sich selbst eher als "Engel, der den Paaren ein Geschenk macht". In der hübschen und gebildeten allein erziehenden Mutter finden die Jurewiczs eine ideale Spenderin und hoffen nun ihrerseits auf einen blonden Engel. Nur sein Geschlecht darf - was mit ICSI möglich wäre - auch in den USA offiziell nicht vorher bestimmt werden.

Aber nicht nur das Geschäft mit dem Altruismus der Frauen blüht, auch Samenbanken sind eine lukrative Angelegenheit. 45 Millionen Dollar investieren alleine US-Amerikaner jährlich in tiefgefrorenes Sperma, sei es, indem sie das eigene für spätere Nutzung konservieren lassen oder fremdes kaufen. "In Kalifornien", sagt Bill Handel, "ist es leichter eine Samenbank zu eröffnen als eine Pizzaria." Und das Beste daran: Es sei so bequem. "Man kann nach Kriterien auswählen wie Haarfarbe, Haarstruktur, Hautfarbe, Rasse ... Man kann Athleten wählen, für sämtliche Sportarten, bis hin zur Couch Potato."

Cappy Rothman, Betreiber einer bekannten Samenbank in den USA, war einer der Ersten, die Sperma von Unfalltoten konservierten, aus dem später ein Kind entstehen sollte. Der Fall Judith Hart ging in die Rechtsgeschichte der USA ein, weil das Kind, obwohl nach dem Tod des Vaters geboren, als ehelich anerkannt wurde und damit rentenberechtigt war. Rothman zum Beispiel wünscht sich, die amerikanische Regierung würde eine Samenbank für Soldaten anlegen - für alle Eventualitäten.

Die ausgewiesene Juristin Lori Andrews beobachtet den fortgesetzten Fortpflanzungstourismus in den USA mit Sorge: Mittlerweile würde das Sperma von blonden, blauäugigen amerikanischen Möchtegern-Schauspielern rund um die Welt versandt, selbst in Afrika würden weißhäutige Kinder nachgefragt werden. Denn so wie der amerikanische Pass "reines Gold" darstellt, gilt weiße Haut als die Eintrittskarte in die amerikanische Gesellschaft. Weiß sein, sagt eine Protagonistin im Film, bedeutet, es leichter zu haben. Deshalb organisiert Rothman seine Gewebebank nach Farben: weiße Röhrchen für die weiße Rasse, schwarze für die Schwarzen, gelb für Asiaten und orange für "Mischlinge". 90 Prozent seines Bestandes allerdings lagert in weißen Röhrchen.

Dass Menschen ihren Nachwuchs zu kontrollieren versuchen und Erwünschtes und Unerwünschtes zu sortieren geneigt sind, ist historisch kein neues Phänomen. Der Züchtungsgedanke trieb schon die antiken Denker um. Im 18. und 19. Jahrhundert schließlich wurden Techniken entwickelt, um das tierische Sperma zu behandeln und die Fortpflanzung zu manipulieren; und die Genetik ist bekanntlich eine Disziplin, die an landwirtschaftlich-tierischen Versuchsanstalten praktisch erprobt wurde und wird. Die erste in-vitro-Fertilisation 1978, der Louise Brown ihr Leben verdankt, war nur die folgerichtige Übertragung dieser Methoden auf den Menschen. Aber im Unterschied zur Tierzucht, wo ein ganzes Tier modelliert und gezüchtet wird, geht es in der fortgeschrittenen Fortpflanzungsmedizin auch darum, in die Keimbahn einzugreifen und per Genmanipulation erwünschte Merkmale zu erzeugen und unerwünschte zu eliminieren. Selbst der geschäftstüchtige Bill Handel, Nachfahre von Holocaust-Opfern, sieht hier ein Problem: Babys aus dem Katalog sind für ihn in Ordnung, aber sie sollen "natürlich" bleiben, nicht gentechnisch "bereichert".

Als "natürlich" gilt Doron Blake, obwohl er mit Hilfe der sogenannten Nobelpreisträger-Samenbank gezeugt wurde und mit seinem IQ von 180 zu den "erwünschten Produkten" gehört. Er hat übrigens Glück gehabt und keinen der Schäden, die oft im Zusammenhang mit der künstlichen Befruchtung auftreten, davongetragen. Eher der grüne Aussteiger-Typ, scheint dem jungen Mann seine Herkunft peinlich zu sein, und er hat auch kein Interesse daran, seinem genetischen Vater zu begegnen. Umgekehrt zeigt auch Kim Brewer, die Leihmutter, keine Neigung, das für die Jurewiczs ausgetragene Baby einmal wieder zu sehen. Sie fühlt sich dem Kind weniger verbunden als Kari, die Eispenderin, die sich schon manchmal in eine solche Szene fantasiert. Die Idee des Ursprungs, die aller genetischen Verwandtschaft zugrunde liegt, ist ein unkalkulierbares psychologisches Risiko im Fortpflanzungsgeschäft.

Und was passiert, wenn den Bestellern das Produkt am Ende nicht gefällt, das Kind "beschädigt" ist oder gar dunkelhäutig, weil "schwarzes" Sperma versehentlich in einem weißen Röhrchen abgelegt wurde? Solche Fälle haben die Justiz bereits beschäftigt und zu sensationsreifen Haftungsurteilen veranlasst. Wissenschaftler wie Gregory Stock würden derlei "Produktionsunfälle" gerne mindern, indem Embryonen vorab genetisch gecheckt und entsprechend ausgesondert würden. Leuten wie ihm geht es ohnehin nicht nur um den Nachwuchs, sondern um nichts weniger als die Generalüberholung der Menschheit, ihr Update von Version 2.6 auf 5.1. Im Unterschied zum Betriebssystem eines Computers ist der Eingriff in die menschliche Keimbahn allerdings irreversibel. Was hier einmal "angeschaltet" und auf den Weg gebracht worden ist, kann nicht per Mouseklick wieder abgeschaltet werden. Wir sind keine Ansammlung beliebiger Module, und eine einfache Löschung und Neuformatierung der Festplatte ist in der Evolution einfach nicht vorgesehen.

Und was wird aus den Naturals, denen die finanziellen Mittel zum genetischen Update fehlen und die wohl oder übel auf den eigenen Genpool verwiesen sind? Haben diese Kinder, wie Lori Andrews befürchtet, dann nicht von vornherein einen Konkurrenznachteil gegenüber den GenRich, den genetisch Optimierten, die die Politik und Wissenschaft, die Wirtschaft und Öffentlichkeit kontrollieren werden? Der Film macht, auch wenn er den einzelnen Protagonisten und ihren Motivationen, Ängsten und Hoffnungen Gerechtigkeit widerfahren lässt und nicht kommentierend interveniert, keine Konzessionen an die inhumanen Folgen der Fortpflanzungsindustrie. Wenn Kinder nach vertragsrechtlichen Kriterien gezeugt werden, dann bleibt ihre Beschaffenheit nicht mehr dem Zufall überlassen. Der Vertrag regelt Qualität, Verfügungsrechte und Ansprüche. Das dabei entstehende Produkt "Mensch" unterliegt anderen Entstehungsbedingungen als ein auf natürlichem Wege gezeugtes Baby.

Einer ganz anderen, noch viel dramatischeren Dimension des künftigen Reproduktionsgeschehens allerdings verschließen sich auch die beiden Filmemacher. Wenn nämlich die Züchtung von Eizellen, und, wie in China derzeit vorangetrieben, von Gebärmüttern Serienreife erreicht, werden Leihmütter wie Kim ebenso überflüssig wie Kari als Eizellspenderin. Dann werden Männer wie Bill Handel, Gregory Stock und Cappy Rothman das Geschäft unter sich ausmachen. Der Dokfilm, der dies dann in Szene setzt, wird nicht nur ganz schrecklich, sondern, im Unterschied zu Frozen Angels, auch ganz schrecklich langweilig sein.


Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin (FM)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

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