"Kein guter Tag für die Branche", urteilte der Vorsitzende des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie Ende Januar nach dem ergebnislosen Gespräch zwischen Pharma-Managern und Bundeskanzler Schröder. Von diesem Austausch hatte sich Bernd Wegener und mit ihm die forschende Pillenindustrie ein klares Signal gegen die im Rahmen des Gesundheitsmodernisierungsgesetzes geltenden Festbeträge gewünscht. Für viele Arzneimittel gelten seit Anfang diesen Jahres erstattungsfähige Obergrenzen, die vom Gemeinsamen Bundesausschuss festgelegt wurden. Darunter fallen neuerdings auch Medikamente, deren Wirkstoffe patentgeschützt sind - es sei denn, sie sind nachgewiesenermaßen therapeutisch wirkungsvoller als alle anderen verfügbaren billigeren Mittel. Weigert sich also ein Hersteller, den Preis für eine bestimmte Arznei zu senken und steht eine Alternative zur Verfügung, muss der Patient die zum Teil drastische Preisdifferenz selbst aufbringen.
Kampf um Ärzte und Patienten
Das goldene Kalb, um das sich die aktuelle Auseinandersetzung dreht, heißt Sortis und soll - so zumindest sein amerikanischer Hersteller Pfizer - besser als alle anderen Mittel das "schlechte" Cholesterin LDL senken und Infarkten beziehungsweise Schlaganfällen vorbeugen. Dies ist unter Fachleuten allerdings umstritten, weshalb der Wirkstoff Atorvastatin als "Scheininnovation" nun einer Festbetragsgruppe zugeordnet worden ist. Die 1,5 Millionen Patienten in Deutschland, die täglich diese Pille schlucken, müssen also künftig 50 Euro pro Packung draufzahlen; bei durchschnittlicher Dosierung im Jahr über 200 Euro. Würden die Ärzte künftig ein anderes Mittel verschreiben, gingen dem Konzern von den mit Sortis 2004 in Deutschland umgesetzten 410 Millionen rund 130 Millionen Euro flöten.
Aber nicht nur wegen der unmittelbaren Umsatzeinbußen, sondern weil der Preis auf dem drittgrößten Pharmamarkt auch international bindend wirkt, weigerte sich Pfizer - im Unterschied zu anderen Herstellern ähnlicher Produkte - seine Preise dem Festbetrag anzupassen. Die deutschen Verbraucher, meinte Pfizer-Chef Henry McKinnel kürzlich in einem Interview mit der Zeit, verschwendeten "eine Menge Geld für die völlig falschen Sachen". "Richtig" kann aus der Sicht Pfizers nur Sortis sein, weshalb der Konzern im vergangenen Herbst in einer großangelegten Anzeigenkampagne die Gesundheitsministerin bezichtigte, den Patienten "den Zugang zum besten Cholesterinsenker" zu versperren. Gleichzeitig spannte das Unternehmen über 15.000 Ärzte vor seinen Karren und strengte vor dem Berliner Sozialgericht ein Verfahren an, das feststellen soll, dass es sich bei Sortis eben nicht um ein Analogpräparat handelt. Im Winter legte das Unternehmen schließlich ein Programm auf, mit dem die heutigen Kunden dauerhaft an das Produkt gebunden werden sollen. Jedem von Zuzahlung befreiten Patienten innerhalb einer bestimmten, festgelegten Krankheitsgruppe verspricht Pfizer, die Mehrausgaben zu erstatten. Dazu allerdings müssen die Betroffenen ihre Krankheitsdaten zur Verfügung stellen, was wiederum Datenschützer in höchste Alarmbereitschaft versetzt. Nachdem schon die Anzeigenkampagne wegen Verstoß gegen das Heilmittelwerbegesetz verboten wurde, hat vergangenen Freitag das Landgericht Karlsruhe aus demselben Grund die Erstattung für Sozialhilfeempfänger verworfen. Der Konzern kündigte Berufung vor dem Oberlandesgericht an.
Die kompromisslose Haltung der Firma Pfizer ist nur aus der speziellen Konkurrenzsituation des Konzerns heraus verständlich. Dieser ist in Bedrängnis geraten, weil in den kommenden zwei Jahren ein Großteil seiner Patente erlischt und er nicht mit neuen aufwarten kann. Während Pfizer sich seit Jahren zum einen auf das Marketing konzentriert - von den in Deutschland tätigen 16.000 Pharmareferenten putzen alleine für Pfizer 1.900 die Praxisklinken -, flüchten er und andere Pharmahersteller sich in die Entwicklung und Patentierung so genannter Scheininnovationen, die laut Arzneiaufsicht keinen nachprüfbaren zusätzlichen Nutzen bringen.
Innovationsfeindliches Klima?
Insofern agiert Pfizer nur auf vorgeschobenem Posten. Andere forschende Arzneihersteller sekundieren, sie drohen versteckt oder offen mit dem Abzug ihrer Forschungs- und Entwicklungsabteilungen aus Deutschland und geißeln die "innovationsfeindliche deutsche Politik". Die Festbetragsregelung, lässt etwa das in Konstanz ansässige Unternehmen Altana den Vorsitzenden des Ausschusses für Gesundheit und soziale Sicherung, Klaus Kirschner, wissen, schade nicht nur den betroffenen Patienten, sondern "auch wir müssten bei solchen Rahmenbedingungen unsere geplanten Investitionen in Deutschland grundsätzlich überdenken."
Wie ernst ist es dem Kanzler nun mit der Rückendeckung seiner Ministerin? Erinnert man sich an das Ergebnis eines vergleichbaren Gesprächs im Jahre 2001, bei dem sich die Pharmazeutische Industrie mit einer "Sonderzahlung" von 200 Millionen Euro aus dem gesetzlich verordneten Preisabschlag freikaufen konnte, scheint Schröder diesen damals harsch kritisierten Weg diesmal nicht gehen zu wollen. Ulla Schmidt, der die Kassen mit der angekündigten, aber nicht eingelösten Beitragssenkung einen dicken Knüppel zwischen die Beine geworfen haben, steht ihrerseits unter Beweisnot. Die Industrie versucht nun durchzusetzen, dass die Festbeträge für patentgeschützte Medikamente und für reine Nachahmerprodukte (Generika) differenziert ermittelt werden, damit erstere auf einem höheren Niveau kalkuliert werden können.
Ausverkauf der Arzneimittelkontrolle
Und noch von einer ganz anderen, öffentlich kaum zur Kenntnis genommenen Seite bläst den Herstellern ein warmer Wind ins Gesicht: Dem Gesundheitsministerium liegt ein Gesetzesentwurf vor, der die völlige Umstrukturierung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (kurz: BFarm) - also der Behörde, die für die Zulassung von Arzneimittel zuständig ist - vorsieht.
Ziel ist eine nach Vorbild der Agentur für Arbeit geformte "Pharma-Agentur", die sich über Gebühren der Antragsteller finanziert und eine erheblich schnellere Prüflaufzeit gewährleistet. Ziel ist es, den derzeit von Großbritannien gehaltenen Zeitrekord zu übertreffen und ein Medikament nach durchschnittlich sieben Monaten auf den Verbraucher loszulassen. Damit soll die Einrichtung EU-weit konkurrenzfähig werden und sich der europäischen Zulassungsbehörde EMEA als einer von vier oder fünf geplanten "Rapporteuren" andienen. Was dies für die Arzneisicherheit heißt, zumal, wenn das Institut nur vom Obolus der Industrie abhängig ist, lässt sich kaum absehen; so wenig wie die Konsequenzen für die Kontrolle von Präparaten nach ihrer Zulassung, die derzeit ebenfalls beim BFarm liegt (vgl. hierzu Freitag 25.6.2004 ). Wie so oft im Leben gilt auch hier der Satz: Risiken und Nebenwirkungen zu Lasten der Verbraucher.
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