Es sei "ein großes Unglück, wenn vereinfachende Schwarz-Weiß-Phrasen auftauchen und die Oberhand gewinnen, wenn sich in ihrem Umfeld schwülstiges Lärmen verbreitet und die Zweifler in den Schmutz gezogen werden ... in solchen Zeiten haben nur persönliche Worte Geltung, und es kann sein, dass allein der Künstler fähig sein wird, Gedanken zu artikulieren, für die er nur selbst Garant ist." Was György Konrád anlässlich der nichtöffentlichen Herbstversammlung der Akademie der Künste Berlin den Mitgliedern auf den Weg gab, bezog sich ursprünglich auf den Balkan-Krieg, den er in seiner Funktion als Akademiepräsident im Frühjahr dezidiert verurteilt hatte, und den drohenden Krieg im Kaukasus. Man könnte Konráds Worte jedoch auch als eine implizite Stellungnahme zu den aktuellen Vorwürfen um die Einladungspolitik ungarischer Autoren und Autorinnen zur Frankfurter Buchmesse interpretieren: Dann entpflichteten sie die Schriftsteller von der zugemuteten Aufgabe, mit ihrem Werk ein Land, eine nationale oder ethnische Identität vertreten zu müssen.
Solche Intervention scheint notwendig, seitdem István Csurka - Führer der rechtsextremen mitregierenden Ungarischen Partei der Arbeit und des Lebens - in einer Budapester Zeitschrift ein Pamphlet mit dem Titel "Die Frankfurter Tyrannei" veröffentlicht hat, in dem er sich in kaum überbietbarem antisemitischen Jargon ereifert, dass mehrheitlich Autoren jüdischer Abstammung nach Frankfurt geladen seien, "unbedeutende Persönlichkeiten", weit entfernt davon, das Magyarische zu repräsentieren. Mit der Sprache der Börse implizit auf das Âjüdische Verkaufstalent verweisend, geißelt Csurka die bis zum Regierungswechsel im Sommer 1998 betriebene liberale ungarische Kulturpolitik und ihrer Repräsentanten in Deutschland, die für den "kosmopolitischen Ausverkauf" Ungarns verantwortlich zeichneten. Seine geifernde Abrechnung gipfelt schließlich in der Feststellung, auf der Frankfurter Buchmesse vollziehe "sich der Holocaust der ungarischen Literatur."
Man könnte Csurkas Ausfälle als grünneidige Exstirpation eines vernachlässigten "früher einmal ganz guten Novellendichters", wie sein Kollege Esterházy freundlich einräumt, erledigen, fände sich im Anhang des Pamphlets nicht eine Liste der geladenen ungarischen Gäste, in der die Gruppe der "liberal-homosexuell-hermaphroditisch-kosmopolitischen" und natürlich "jüdischen" Autoren kursiv gedruckt herausstechen. Diesen Index "Budapester jüdischer Literatur" arbeitet Csurka in seinem Artikel an exemplarischen Bespielen ab, beginnend mit dem "zunächst zum Schrifstellerverbandschef, dann zum Staatspräsidenten aufgeblähten" Árpád Göncz über Imre Kertész mit seinem "Auschwitz bis zum Gehtnichtmehr" bis hin zum "maoistischen Romantrödler" György Dalos, der sich als "korrupter" Kurator des Ungarn-Schwerpunkts mit sechs eigenen Veröffentlichungen in den Vordergrund der Messe geschoben habe. Demgegenüber würde die "volkstümliche" ungarische Literatur völlig in den Hintergrund verdrängt: "Ein liberaler Schriftsteller kann und will sich in die Sorgen des einfachen Menschen, der von der Geschichte fortgeschleudert und von der europäischen Abwasserflut (sic!) zu Zugeständnissen gezwungen wird, der notgedrungen nach der Waffe greift oder sich erniedrigt, überhaupt nicht hineinleben
Diese angebliche "Verschwörung der Asphaltliteraten" gegen das "platte Land": Alles schon einmal dagewesen, auch in Ungarn, wo der Gegensatz von Hauptstadt und Provinz besonders krass ausgeprägt ist. Das Messe-Motto "Ungarn unbegrenzt", das zunächst Rumänen und Slowaken auf die Barrikaden trieb, weil sie magyarische Annexionsansprüche befürchteten, ist auch den Vertretern einer in Ungarn durchaus vorhandenen national gefärbten, eher regionalistisch verankerten Literatur suspekt. Andererseits existiert in Budapest mit 120.000 Mitgliedern die größte jüdische Gemeinde Mitteleuropas, die das kulturelle Leben der Hauptstadt entscheidend mitprägt.
Nicht zu vernachlässigen ist darüberhinaus die Tatsache, dass mit dem Jahr 1989 - ganz ähnlich wie in Ostdeutschland - die ungarische Literatur an Bedeutung verloren hat, und es schon aufgrund der finanziellen Rahmenbedingungen für unbekannte Autoren viel schwieriger geworden ist, ihre Werke zu verlegen. Die Ressentiments gegenüber den im Ausland bekannten Schriftstellern speisen sich also aus ganz verschiedenen Quellen, wovon der Antisemitismus nur eine nicht stärker als anderswo sprudelnde ist. Die Ungarn, erklärte kürzlich György Dalos, seien nicht generell antisemitisch eingestellt, und auch Csurkas Parteigänger dächten in der Regel nicht über solche Fragen nach. Es gäbe jedoch politische Provokateure, die emsig dieses Feld bestellten, und es sei vor allem die Schwäche der Regierung und der linksliberalen Opposition, die derartige Kulturkampftöne salonfähig machten.
Die von Csurka angegriffenen Autoren gehen erstaunlich gelassen mit dessen Vorwürfen um: Kertész hat seine Teilnahme an den Eröffnungsfeierlichkeiten abgesagt, um, wie er ironisch meldete, "die ungarische Krone nicht zu beschmutzen". Péter Esterházy, dem alten ungarischen Adelsgeschlecht entstammend und unverdächtig, Jude zu sein, be gnügt sich damit, seine Landsleute in Schutz zu nehmen, und Peter Zilahy sinniert über die besondere Qualität "lockenköpfiger Literatur". Vielleicht unterschätzen die Intellektuellen die Wirkkraft des Csurka'schen Giftes in einer Gesellschaft, deren Identität nach 1989 erodierte und die mühsam nach historischen Anknüpfungspunkten sucht. "Wenn die Kursivierung einmal beginnt", resümiert der jüdische Autor István Bächer in seiner souveränen Erwiderung, "dann endet der Prozess im Bierkeller von Großwardein." Im ungarischen Ghetto Großwardein lebte der von Csurka als "militantester jüdischer Schriftsteller" diffamierte Autor Béla Zsolt. "Woran mag es liegen", fragt Bächer, "dass der Parteiführer den Schriftsteller dermaßen hasst, ist dieser doch an den seelischen und körperlichen Folgen der Tortur bald gestorben?" Der Hass rührt daher, dass einer wie Zsolt akribisch registriert hat, wohin es führt, wenn man anfängt, bestimmte Namen kursiv zu schreiben."
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