Vergangene Woche wurde in Berlin nicht nur bei der EuroRettung Große Koalition geübt. Auch in Sachfragen verabredeten sich Regierungs- und Oppositionsparteien zum gemischten Sirtaki, um auszutesten, wer da demnächst mit wem am besten kann. Anlass bot die bereits seit zwei Jahren debattierte Reform des Transplantationsgesetzes. Doch der nun vorliegende interfraktionelle Gruppenantrag scheint noch nicht endgültig ausgereift.
Denn als das Gesundheitsministerium Anfang der Woche zum Pressegespräch lud, lag nicht etwa der Entwurf vor, sondern nur ein allgemeines „Faktenpapier Organspende“. Erklärtes Ziel ist es, die 12.000 auf der Warteliste stehenden Patienten mit einem Spenderorgan zu versorgen. Deshalb werden nun die Krankenkassen in die Pflicht genom
icht genommen.Allerdings meldete der oberste Datenschützer Peter Schaar sofort Bedenken an, weil das Vorhaben mit der datenrechtlich umstrittenen elektronischen Gesundheitskarte verknüpft werden soll. Bisher gilt die sogenannte erweiterte Zustimmungslösung, die auf der Erklärung des Organspenders oder dem von seinen Angehörigen vermittelten „mutmaßlichen Willen“ basiert. Es soll abgelöst werden durch die Entscheidungslösung, bei der die gesetzlichen und privaten Krankenkassen eine Art Vermittlerrolle spielen. Sie sollen ihnen entsprechendes Aufklärungsmaterial zur Verfügung stellen und sie auf diese Weise zu einer Selbsterklärung animieren. Diese wird dann auf der elektronischen Gesundheitskarte dokumentiert.Mit der jetzigen simplen Form der Karte ist das noch nicht möglich. Doch bei der zweiten Generation, die voraussichtlich ab 2016/17 ins Haus flattert, soll ein elektronisches Fach für Notfalldaten zur Verfügung stehen. Gespeichert werden kann dort, ob und wo es eine Vorsorgevollmacht gibt; und hinsichtlich Organspende kann ein „Ja“, „Nein“ oder „Ich weiß nicht“ dokumentiert werden. Um die sensiblen Gesundheitsdaten vor Unbefugten zu schützen und die elektronische Gesundheitskarte überhaupt durchsetzen zu können, sind die Zugriffsregelungen relativ streng. Für Diskussionen sorgte eine weit auslegbare Formulierung im Gruppenantrag, nach der die Krankenkassen die Versicherten bei der Organspendeerklärung zu unterstützen haben. Sollen die Angestellten einer Krankenkasse die Versicherten beraten? Oder den Versicherten helfen, ihre Gesundheitskarte entsprechend zu bestücken? Das allerdings würde mit einer Bestimmung kollidieren, dass nur ein genau umrissener Personenkreis ein Schreib- und Leserecht für die Karte hat. Auf Druck der Grünen sollen Versicherte nun zumindest persönlich und ausdrücklich ihre Zustimmung geben müssen, bevor die Karte von einem Sachbearbeiter beschrieben werden darf. Die Verkoppelung des heiklen Themas Organspende mit dem umstrittenen Projekt Gesundheitskarte wirft Fragen auf. Zum einen kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass bei dieser Gelegenheit mittels einer „guten Sache“ die elektronische Gesundheitskarte aufgewertet werden soll; zum anderen wird, weil es nun vornehmlich um datenschutzrechtliche Probleme geht, von der Organspende und ihren Begleitumständen abgelenkt. Wurde in den neunziger Jahren noch kontrovers über das Transplantationsgesetz diskutiert, regt sich heute kaum mehr eine grundsätzlich kritische Stimme. Offensichtlich schreitet ein Gewöhnungsprozess voran, der auch bei anderen bioethischen Fragen zu beobachten ist: Viele empfinden es inzwischen als normal, dass unsere Körperteile und -stoffe – der Gruppenantrag regelt auch Gewebespenden – nach unserem Tod entnommen und verteilt werden. Der nächste Schritt wäre möglicherweise irgendwann die Vermarktung. Willkürliches KriteriumDas öffentliche Einvernehmen steht dabei im Widerspruch zu der wieder aufgeflackerten wissenschaftlichen Diskussion um den Hirntod, der die unabdingbare Voraussetzung der postmortalen Organspende ist. Dass sich der Deutsche Ethikrat Mitte März öffentlich ausschließlich mit Organentnahme und Hirntod befassen wird und dazu den amerikanischen Neurologen Alan Shewmon eingeladen hat, ist eine Reaktion auf diese Irritation. Shewmons Studien lassen vermuten, dass das Hirntodkriterium willkürlich und nicht in jedem Fall mit dem Tod des Menschen gleichzusetzen ist. Davon will sich die Politik aber offenbar nicht irritieren lassen, sondern das Gesetzgebungsverfahren möglichst rasch abschließen.Zwar hält der Entwurf fest, dass über Organspende „ergebnisoffen“ informiert werden und dass sie freiwillig bleiben soll. Gleichzeitig lässt Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP), dem dies eine „Herzensangelegenheit“ ist, aber auch keinen Zweifel daran, dass der Bürger „sehr nachdrücklich“ in die Erklärungspflicht genommen werden und die von der Krankenkasse zugestellte Aufforderung keineswegs im Papierkorb landen soll. Die Regierung hat einen weiteren Gestzesentwurf ausgearbeitet, der die organisatorischen Rahmenbedingungen verbessert. Demnach wird jedes Krankenhaus verpflichtet, einen Transplantationsbeauftragten zu bestellen, um die „organisatorischen Defizite“ bei der Aushebung potenzieller Organspender „zu verringern“. Mit der Unterstützung der Opposition rechnet Bahr für dieses Projekt allerdings nicht.Dass die Krankenhäuser eine Schlüsselrolle im System spielen, war schon kurz nach der Verabschiedung des Transplantationsgesetzes 1997 klar. Die Beteiligten dort tun sich oft schwer, in einer Notfallsituation Angehörige mit der Frage nach einer Organspende zu konfrontieren, während der hirntote Patient noch auf der Intensivstation versorgt wird. Hardliner wollten die Kliniken damals mit Zuckerbrot und Peitsche – notfalls mit Strafandrohung – dazu zwingen, „Organressourcen“ zu erschließen. „Das Entscheidende ist“, sagte Günter Kirste, Chef der kürzlich in die Schlagzeilen gekommenen Deutschen Stiftung Organtransplantation, jetzt im Deutschlandradio, „dass die möglichen Fälle zur Organspende in den Krankenhäusern erkannt werden“.