In den Kühlhäusern von Los Angeles lagern Millionen von tief gefrorenen Spermien und Eizellen, die ausreichen würden, eine ganze Stadt zu bevölkern. Einen selbst für kalifornische Verhältnisse ungewöhnlichen Dienst bietet das Century City Hospital an: Ehefrauen können dort den Samen ihrer verstorbenen Männer einlagern, um ihn bei Bedarf aufzutauen und zu neuem Leben zu erwecken. Ein solcher Fall ging sogar in die amerikanische Rechtsgeschichte ein. Obwohl erst nach dem Tod ihres Vaters gezeugt und geboren, wurde Judith Hart in letzter Instanz für ehelich und damit rentenberechtigt erklärt.
Damit vollzog die US-Justiz mit reichlich Verspätung nur nach, wofür schon das alte Ägypten die mythische Vorlage schuf. Auch Isis empfing den Samen ihres Brudergatten Osiris erst nach dessen Tod. Der aus dieser jungfräulichen Zeugung hervorgegangene Horus rächte nicht nur den Mord an seinem Vater, sondern wurde auch sein Erbe. Die Überlieferung erzählt, Isis habe mit ihrer Schwester die Gebeine von Osiris am Ufer des Nils zusammengetragen und das Wunder selbst bewerkstelligt, was in den späteren patriarchalisch geprägten Zeugungslegenden allerdings verloren ging.
Kein Zufall wohl, dass das „amerikanische Matriarchat“ den Mythos postmodern und ganz realistisch wieder auferstehen lässt. Bislang waren es nur verzweifelte Witwen, die sich an einschlägige Reproduktionsmediziner wandten, um ihre Männer in Form posthum künstlich gezeugten Nachwuchses unsterblich zu machen. Doch nun hat eine Mutter im texanischen Austin gerichtlich erzwungen, den Samen ihres 21-jährigen Sohnes Nikolas, der bei einer Kneipenschlägerei ums Leben kam, zu retten. Nach ihrem Willen soll er einer Leihmutter eingepflanzt werden. Nach der Geburt will die Großmutter das Kind übernehmen und aufziehen. Ihr Sohn habe den College-Abschluss machen und danach Kinder haben wollen, führt Marissa Evans als Begründung an und erklärt, sie wolle nur dessen Wunsch erfüllen.
Der Fall hat in den USA, wo man an makabre Reproduktionsverhältnisse gewohnt ist, Staub aufgewirbelt. Von „ethischer Grenzüberschreitung“ ist die Rede und von Leichenschändung. Unterstellt wird Mutter Evans sogar, sie wolle auf diese Weise zu einem Ersatzkind kommen. Der nur geäußerte Wunsch des Sohnes liefere noch keine Begründung für eine postmortale Zeugung, bei der ein elternloses Kind entsteht.
In Europa war es die Britin Diana Blood, die sich 2002 vom Samen ihres verstorbenen Ehemannes schwängern ließ und damit eine Ethikdebatte auslöste. Weniger als die „Leichenschändung“, die in anderen Zusammenhängen wie der Organentnahme bei Hirntoten offenbar kein Problem darstellt, wirkt wohl eher die Vorstellung, einem Kind einen bei seiner Entstehung bereits toten Erzeuger zuzumuten, obszön. Dass in diesem Fall zudem die Mutter über die Zeugungskraft ihres toten Sohnes entscheiden will, überstrapaziert sogar amerikanisch-liberales Bewusstsein.
Immerhin will die 42-jährige Marissa Evans das Kind nicht selbst austragen. Ein Hormonschub sollte auch dies möglich machen, und manches in diesem
lukrativen Gewerbe überschreitet die ethische Schmerzgrenze. Dass Kindern eine genetische und eine leibliche Mutter zugemutet werden kann oder ein
anonymer Samenspender als Vater, hat zwar unsere archaischen Vorstellungen von Blutsverwandtschaft gesund durcheinander gewirbelt, was das mental für die Betroffenen bedeutet, wird erst die Zukunft zeigen. Hierzulande ist die postmortale Samenspende verboten, unter anderem, weil ein Toter seine verfassungsrechtlichen Pflichten gegenüber dem Kind kaum erfüllen kann. Auch das irgendwie ein patriarchales Relikt in der schönen neuen Reprowelt.
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