PROBELIEGEN

BERLINER ABEND Nach einigem Suchen stehe ich endlich vor dem empfohlenen Laden. Schwellenangst. Die ausgestellte Vornehmheit wirkt abweisend. Warum bloß bin ich ...

Nach einigem Suchen stehe ich endlich vor dem empfohlenen Laden. Schwellenangst. Die ausgestellte Vornehmheit wirkt abweisend. Warum bloß bin ich nicht ins "Matratzen-Lager" oder zu "Betten-Jumbo" gefahren? Vorsichtig spähe ich durch die Glastüre ins Interieur. Edles Holz, Plumeaus vom Feinsten. Ganz hinten sitzen zwei Menschen um eine Sektflasche. "...in die Kissen, in die Pfühle, denn man liegt nicht gerne kühle", erinnere ich mich an einen Vers von Wilhelm Busch und überwinde meinen inneren Schweinehund.

Wie man sich bettet, so liegt man, sagt der Volksmund, und schickt damit nicht nur Papa Kohl schadenfroh auf das staatsanwaltliche Prokrustesbett. Man kann diese Weisheit auch ganz wörtlich nehmen, und weil mich die schmerzhaften Folgen langjähriger Schreibtischtätigkeit wenig schlafen lassen, fahnde ich nach einem neuen Bett. In arte stellte sich vor einiger Zeit eine Frau vor, die auf ihrer Schlafstätte nicht nur nächtigt, sondern ihr durchaus seriöses Gewerbe von dort aus betreibt. Und seitdem die grauen Novemberhimmel über der Stadt hängen und ich wie jedes Jahr mit einer maroden Heizanlage kämpfe, finde ich diese Alternative ganz attraktiv.

Der Verkäufer trennt sich nur ungern vom Glas in seiner Hand. Womit er dienen könne, fragt er in professioneller Unterwürfigkeit. Ich erkläre mein Anliegen und erkundige mich nach verschiedenen Varianten und Preisen von Latexmatratzen. Die Verkäuferbraue hüpft bis zum zurückweichenden Haaransatz. Ganz so einfach, "meine Dame", sei das nicht, man biete150 verschiedene Varianten an. Und so Hereinzuspazieren, wird mir bedeutet, sei unüblich. Für die "Anpassung" möge ich bitte einen Termin vereinbaren. Anpassung? Wen, mich? Oder die Matratze an das Bett? Die Augenbraue verschwindet völlig. "Meine Dame, die Matratze wird an Sie angepasst, natürlich, mit technisch ganz ausgefeilten Messgeräten. Sie sollten zum Probeliegen kommen."

Vorläufig verzichte ich. Aufs Probeliegen und die dezente altberliner Vornehmheit. Einkaufen soll Spaß machen und anspruchsvoll sein, habe ich neulich gelesen. Die Verbindung von Kommerz und Kultur wird in Berlin nicht nur bei Dussmann großgeschrieben, sondern neuerdings auch in der Kantstrasse, wo stilwerk Berlin Ende November seine gläserne Halle eröffnet hat. Die Mall für den gehobenen Design-Geschmack enthebt den Suchenden vom Dauerlauf über die Konsumrennbahnen und dem Kampf mit dem Regenschirm.

Transparenz, denke ich, als ich in den Glaspalast einchecke, und eine gewisse Kühle. Keine lästigen Schwellen, über deren Dignität zu stolpern wäre; keine devot herbeieilenden Verkäufer mit zuckender Braue, sondern zurückhaltende Assistenz. Auf zwanzigtausend Qudratmetern Verkaufsfläche gehobene Wohnkultur und ein Gefühl, durch die 50 Läden zu gleiten. "Gleitzug" müsste eigentlich auch der Aufzug heißen, denn die gläserne Kabine schwebt in die vier Obergeschosse und öffnet den Blick in die Niederungen, Schwindelfreiheit vorausgesetzt.

Hier werden Bettenträume wahr: Von nüchternen Futons über raffinierte Konstruktionen aus Metall und Holz bis zum prachtvollen Himmelbett, wie es sich für ein Paradies gehört. "Isola Bella", ein Name ist Programm, denn auf den Betteninseln ist gut wohnen. Das findet auch der kleine Mann, der den Traum aus Stahl mit einem Trampolin verwechselt. Da fällt vom unsichtbaren Personal alle Zurückhaltung ab und es bleibt nicht nur bei der hochgezogenen Braue.

90 Prozent des auf dem deutschen Markt vertretenen Angebots, wirbt die homepage, sei hier vertreten, und man setze auf eine neue Firmen-Philosophie: Kooperation statt Konkurrenz. Synergie das Zauberwort, "synergetisch" die Preise.

Das "neue Berlin" jedenfalls hat ein Aushängeschild mehr. Mit der wursteligen Heimeligkeit der Kiez-Läden, wo man in Kellergewölben die ausrangierten Teile der vorvorletzten Saison erstehen konnte, lässt sich vor Neuberlinern nicht protzen. Und die Biederkeit des Gelsenkirchener Barock, das die Berliner Einrichtungshäuser gewöhnlich offerieren, passt ebenfalls nicht in die Berliner Republik.

In der auf zwei Etagen residierenden "Grünen Erde" allerdings fühle ich mich zurückversetzt in vergessene Öko-Zeiten, alles wirkt gefährlich gesund. Ein Hinweisschild belehrt, dass hier nur vorzügliche Hölzer verwendet würden, man in den Produktionsstätten auf gleichberechtigte Verhältnisse achte, zwischen den Geschlechtern und überhaupt und im Rahmen der Konkurrenzmöglichkeiten die Leute vernünftig bezahle. Die "political correct" hergestellten Liegeflächen finde ich allerdings ziemlich einfallslos. Schlafstätten eben.

Wie jedem Traum hängt auch schwelgerischem Konsum die Aura des Verbotenen an. Wieviel darf man sich wert sein und wieviel ist einem eine potentielle Liebesinsel wert? Von der Warenerotik eines Bettes wollen wir schweigen. Das Probeliegen dient ausschließlich ergonomischen Beurteilungen. Anderes hätten wir auch nicht angenommen.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin (FM)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

Ulrike Baureithel

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