Gehen Gewerkschaften in Tarifverhandlungen und wollen, sagen wir, drei Prozent Lohnerhöhung für die Beschäftigten herausholen, fordern sie hemdsärmelig erst einmal fünf oder sechs, um sich dann irgendwo in der Mitte zu treffen. Man muss also nicht unbedingt, wie der gesundheitspolitische Sprecher der SPD, Karl Lauterbach, die zweifelhaften Methoden von Teppichhändlern bemühen, um den Rabatt-Deal, den Gesundheitsminister Philipp Rösler der Pharmaindustrie andient, mies zu machen. Jede wie immer geartete Preisverhandlung, ob um Arbeitskraft, Teppiche oder Pillen, unterliegt auf dem freien Markt den Gesetzen von Angebot und Nachfrage (auch wenn die im Falle der Arbeitskraft, marxistisch betrachtet, anders fundiert sind).
Im Falle von Arzneimitteln sind e
eln sind es Patienten in oft existenziellen Situationen, die das Produkt nachfragen, und je einmaliger und Erfolg versprechender es sich präsentiert, desto phantasievoller können die Hersteller die Preise gestalten. Für sie kommt es also darauf an, die Pille als „Solitär“ vorzustellen und das bisherige Prozedere, nach dem ein zugelassenes Medikament von den Kassen auch bezahlt werden muss, wenn kein gleichwertiges Nachahmerprodukt zur Verfügung steht, zu erhalten.An dieser Nahtstelle setzen Röslers Pläne, den Medikamentenmarkt zu verbilligen, an. Er will, dass die Pharmafirmen nachweisen, dass das neu auf den Markt gebrachte patentgeschützte Produkt tatsächlich innovativ ist und einen erheblichen Zusatznutzen hat. Gleichzeitig sollen die Krankenkassen eine Handhabe erhalten, mit den Herstellern über die Preise zu verhandeln, je nachdem, wie hoch der Nutzen eingeschätzt wird. Kommt es innerhalb eines Jahres zu keiner Einigung, soll das Kölner Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit (IQWiG) den Preis festlegen. Weil das gesamte Gesetzesprozedere aber langwierig ist und das Defizit der Gesetzlichen Krankenkassen schon in diesem Jahr bei vier Milliarden Euro kalkuliert wird, sollen Zwangsrabatte von bis zu 20 Prozent und ein mehrjähriges Preismoratorium den Kostenanstieg verlangsamen.Mit diesem Vorschlag, den Philipp Rösler in den einsamen Nächten, die er auf einer Pritsche im Ministerium verbringen soll, ganz alleine und ohne Bruderhilfe der großen Union ausgebrütet hat, kommt der Gesundheitsminister nun in die Morgengänge. Mit angezogener Handbremse freilich, denn das Thema Zwangsrabatte siedelt, wie gesagt, auf dem Niveau von Teppichhändlern und anderen und arrondiert das Kosten treibende Feld nur kosmetisch.Wirkungslose PillenEin qualitativer Fortschritt wäre es immerhin, wenn der Nutzen eines Medikaments künftig davon abhängig sein soll, ob es wirksamer ist und diesen Nachweis den Herstellern aufgibt. Wäre es, wohlgemerkt, vorausgesetzt, diese Gutachten würden von unabhängigen Sachverständigen vorgelegt. So ist es aber nicht, und wer um die von der Pharmaindustrie ausgelobten korrupten „Beraterverträge“ im Gesundheitssystem weiß und um die methodischen Probleme, einen „Zusatznutzen“ wissenschaftlich abzuklären und die Möglichkeiten, die Wirkungslosigkeit von Pillen zu verschleiern, ahnt, wie die industriegesponserten Expertisen gestrickt sein werden.Dass der Gesundheitsminister, von der politischen Stand- nun auf die Überholspur wechselnd, in der TV-Abfrage gestern bei der Nennung des IQWiG ausgerechnet das Wörtchen „Qualität“ vergessen hat, mag rhetorischem Überschwang zuzuschreiben sein, ist aber insofern sprechend, als dass er den ausgewiesenen Qualitätshüter dort, Peter Sawicki, kürzlich in die Wüste geschickt hat. Wenn das IQWiG im Streitfall nach einem Jahr überhaupt tätig werden darf, haben die Pharmafirmen schon reichlich Reibach gemacht. Und der Minister muss sich nicht nur von der Opposition fragen lassen, warum er das hoch gelobte Institut nicht schon vor der Pillen-Zulassung mit der Qualitätsprüfung beauftragt.Vielleicht muss man dazu den Koalitionsvertrag zu Rate ziehen. Dort findet sich auf Seite 56 nämlich die Absichtserklärung der Regierung, die individualisierte Medizin zu fördern. Unter anderem beinhaltet das passgenaue, auf den biologisch-genetischen Patiententypus hin produzierte Medikamente, die aber teuer in der Entwicklung und, weil keine Massenware, Preis treibend sind. Die heute schon komplizierte Kosten-Nutzen-Bewertung wird unter dieser Voraussetzung noch viel aufwändiger und die Hersteller sind den Prüfern per se im Vorteil.Rösler im WindkanalPhilipp Rösler, im politischen Windkanal inzwischen von allen Seiten bedrängt, geht beim Übergang in den gedrosselten Turbo allerdings auch Risiken ein. Zumindest der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie reagiert empört auf den „populistischen“ Vorstoß des Gesundheitsministers, während Cornelia Yzer vom Verband der Forschenden Arzneimittelhersteller, möglicherweise noch Schlimmeres erwartend, etwas defensiver die Preispolitik der Pharmaindustrie verteidigt.Die meisten Krankenkassen und die Verbraucherzentralen dagegen loben Rösler für seinen Anstoß „in die richtige Richtung“, wobei sich zumindest die Kassen daran noch blutig stoßen könnten, wenn sie von der Pharmalobby bei Preisverhandlungen nämlich gegeneinander ausgespielt werden. Die SPD kündigte einen eigenen Entwurf an, in dem, so ist zu hören, auch die Apotheker Federn lassen sollen.Ein Etappensieg für Rösler, der plötzlich die Belange der Patienten entdeckt hat? Nicht mehr als eine kleine Verschnaufpause wohl, bevor er vom Koalitionspartner auf der einen, von der Opposition auf der anderen Seite in die Engspur getrieben wird. Diese Ralley könnte enden, bevor sie überhaupt richtig angefangen hat.
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