Gelegentlich werde ich von Kolleginnen, die mich noch aus der ersten Zeit beim Freitag als Frauenredakteurin kennen, verwundert gefragt, warum ich jetzt nur noch über Gesundheitspolitik, Klonen oder meinetwegen Geschichtsthemen schreibe. Dann reden wir darüber, dass so genannte Frauenthemen auf dem Markt nicht mehr gefragt sind oder als überholt gelten, weil "Geschlecht" im Schredder der akademischen Dekonstruktion mittlerweile so verquer "verqueert" ist, dass sich alle deutenden Bedeutungen des kleinen und großen Unterschieds aufgelöst haben. Es könnte allerdings sein, dass - zumindest hierzulande - auch die Wende ein wenig zu dieser Entwicklung beigetragen hat.
In unserem kleinen redaktionellen Versuchslabor, in dem wir ab 1991 zwischen Ost und West eine Synthese herstellen wollten, war das Frauenthema jedenfalls ein Stoff, der sich nur schwer in die neue Chemie einfügte. Dabei waren es doch Frauen, die in der DDR-Bürgerbewegung tatkräftig und mutig die Wende herbeigeführt und sich mit der Gründung des Unabhängigen Frauenverbandes 1989 eigenständig in die künftige Politik einmischen wollten. Und es war ausgerechnet ein so genanntes Frauenthema - der § 218 und der Erhalt der in der DDR geltenden Fristenregelung -, das den Einigungsvertrag fast zum Scheitern gebracht hätte. Deshalb traf es mich doch ziemlich unerwartet, als ausgerechnet die neuen Ostkolleginnen mir - noch im Vorfeld der Fusion in den Beratungsgesprächen - ganz unverhohlen signalisierten, wie "unemanzipiert" sie eine eigene Frauenseite fänden und sie schlicht für "überflüssig" erklärten. Dass West-Feministinnen von DDR-Frauen eher argwöhnisch beäugt wurden, war ich gewohnt. Aber unemanzipiert? Dabei war doch damals schon offensichtlich, dass die DDR-Frauen massenhaft ihre Arbeitsplätze verlieren, Kitas geschlossen, Wissenschaftlerinnen abgewickelt und vielleicht auch die Fristenregelung gekippt werden würde. Und die DDR als die vom Westen heimzuführende "Braut" war in den Westmedien ein fester Topos. Sollte nicht allein das schon journalistisch mobilisieren? Nicht als Sonderthema - und schon gar nicht auf einer "Sonderseite", wurde mir bedeutet.
Von heute aus gesehen, gebe ich ihnen Recht, meinen Kolleginnen, obwohl mir scheinen will, dass sich das Problem weder politisch noch publizistisch erledigt hat. Und auch vor 15 Jahren wäre es mir lieber gewesen, wenn das, was Frauen betrifft, überall, auf jeder Seite, stattgefunden hätte. Hat es aber nicht, weil Frauen, die arbeitslos werden, ihre Kinder nicht unterbringen, häuslicher Gewalt ausgeliefert sind oder Probleme mit der Karriere haben, schnell an Nachrichtenwert verlieren und höchstens die sensationellen "Spitzen" - Vergewaltigung, Todschlag oder Kür einer Kanzlerin - wahrgenommen werden.
Das war übrigens auch in der Zeit unserer Fusion so. Ich erinnere mich an eine heftige Auseinandersetzung in der Redaktion, als es darum ging, hübsche junge US-Soldatinnen - der Akzent lag auf hübsch und jung -, die gerade in die Golfregion aufbrachen, um dort Krieg zu spielen, aufs Titelblatt zu heben. Das sei doch mal was Neues! Aber was, bitte? Soldatinnen im Krieg haben Nachrichtenwert. Vergewaltigte Frauen in Bosnien sind politisches Faustpfand, also: Nachrichtenwert. Natürlich war die Frauenredakteurin dann aufgerufen in ihrer (unbezahlten) Doppelfunktion als Frauenbeauftragte: Immer wieder gab es diese enervierenden Debatten, was sexistisch ist, was nicht. Dabei konnte ich durchaus nachvollziehen, dass eine feministische Spezialdebatte auf der Frauenseite an den Belangen der Ostkolleginnen vorbeiging; aber warum interessierte es sie nicht, wie Frauen in der Zeitung präsentiert wurden oder wie eine Bundestagsabgeordnete vom Ost-Frauenverband innerhalb der Bündnisgrünen um ihr Überleben strampelte? War die denn nun eine von "uns"? Oder eine von "ihnen"?
Ich habe erst im nachhinein verstanden, dass die kulturellen Brüche querbeet gingen und gar nicht so viel mit dem Ost-West-Dissens zu tun hatten. Denn eine Folge der Fusion war, dass plötzlich auch die aus dem Westen stammenden männlichen Kollegen die feministische Oberaufsicht leid waren. Nicht nur wurden mühsam durchgesetzte Sprachregelungen auf kaltem Wege erledigt, es war plötzlich auch wieder chic, den einen oder anderen nicht ganz korrekten Witz zu reißen. Der Tabubruch war meist moderat. Selten kam es aber auch vor, dass einer Ostkollegin, die eine Autorin als "Fachmännin" pries, unisono "Fachfrau!" entgegenschallte.
Spätestens ein drei Viertel Jahr nach dem Zusammenschluss von SONNTAG und Volkszeitung überwältigte die Freitag-Redaktion dann die erste, wahrscheinlich dramatischste und psychologisch gesehen schwierigste finanzielle Krise, in der auch die Frauenseite noch einmal zur Disposition stand und - eingeschränkt überlebte. Seither ist die Seite durch viele redaktionelle Hände und manches konzeptionelle Nadelöhr gegangen: Der einen lagen die Frauen in der Dritten Welt am Herzen, der anderen das historische Erbe, und heute sind es die akademischen Diskurse, die auf der Geschlechterseite ihren Raum finden.
Auffällig ist jedoch, dass die Frauenredakteurinnen - unabhängig davon, welches Profil sie ihrer Seite gaben - häufiger wechselten als die Verantwortlichen anderer Ressorts. Dass zwischendurch sogar ein Kollege die mittlerweile in "Geschlechter" umgetaufte Seite betreute, spricht weniger dafür, dass das Problem generell nun auch beim anderen Geschlecht angekommen wäre, sondern eher für die oben angedeuteten Auflösungstendenzen. Von der politischen Frauenbewegung der Siebziger bis zu den heutigen gender- oder queer-studies war es ein langer Weg. Ob ihr Erfolg daran zu messen sein wird, dass die "Sonderseiten" entweder abgeschafft oder, wie in anderen Blättern, zeitgeistig aufgepeppt werden, sei dahingestellt. Doch wenn ich den Freitag durchblättere, scheint mir gelegentlich, dass es hier zugeht wie in der heutigen Realität: Als Gesamtheit bleiben Frauen unsichtbar, als Besondere werden sie wahrgenommen.
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