Schrebergarten Deutschland

Berliner Abende Uff! Hat´s der Kanzler gut! Der weiß, wohin er gehört. Weiß, wann es Zeit ist, den Blick nicht in die Ferne schweifen zu lassen, wenn doch das Gute ...

Uff! Hat´s der Kanzler gut! Der weiß, wohin er gehört. Weiß, wann es Zeit ist, den Blick nicht in die Ferne schweifen zu lassen, wenn doch das Gute liegt so nah. Muss sich nicht mit vorurteilsbesoffenen Makkaronifressern rumärgern, die ihn ihrerseits besoffen, fett und arrogant schelten und ihn alle Nase lang übers Ohr hauen mit Zuzahlungen fürs Coperto. Kann sich unter Hannovers Sonne räkeln, wo zwar kein guter Stern leuchtet wie weiter im Süden, aber um die Ecke fürs Volkswohl gebaut wird.

Uff, hat´s der Kanzler gut, sagt mein Lebensfreund, der in diesem Jahr einen starken Verbündeten an seiner Seite weiß. Der muss nicht verreisen, sich über verstopfte Autobahnen quälen oder in der Tourie-Klasse den Heldentod sterben. Erinnerst du dich noch an den lederbehosten schwulen Hotelbesitzer im vergangenen Jahr und seine morbiden Gästezimmer? Oder die Odyssee durch Lissabon? Oder an das Hôtel de Commerce, die quälenden Sprungfedermatratzen, die Gebetsmühle vor dem Fenster und die miserablen Croissants?

Das Lied, das nun beginnt, kenne ich. Alle Jahre wieder stimmt mein Urlaubsverächter die Litanei von korrupten Zimmervermietern, schlechtem Essen und Wetter und strapaziösen Autofahrten an. Opulente Frühstücksgelage, reizende portugiesische Landgutinhaber oder inspirierende französische Mädchenzimmer bleiben tunlichst unerwähnt. Während aus der Ferne das techno-bedöste Berlin wummert, von den Baustellen rechts und links Kreissägen kreischen und nebenan der Kindergeburtstag absolviert wird, lobt er dann die Ruhe Berlins, die gute Luft und meine (zugegeben schöne) neue Idylle auf drei mal zweieinhalb Meter Terrasse. Nach einem dann leise geseufzten, ach, wir passen eben nicht zusammen, verspeisen wir einträchtig die zweite Hälfte der Himbeertorte.

Die Himbeeren stammen übrigens aus Mariendorf. Dieser kleinbürgerlichste aller kleinbürgerlichen Berliner Bezirke (aus denen sich bekanntlich die Regierenden samt ihrer Herausforderer rekrutieren) weist nicht nur die höchste Laubenpieperdichte auf, dort gibt es auch etwas, was es eigentlich gar nicht geben dürfte: Alternative Laubenpieper. Das ist die von Gott gesandte Geisel jedes Kleingärtners: Keine klar aufgeteilten Parzellen, keine Zäune, keine quartalsmäßigen Baumschnitte, keine aufgeschürften Knie vom Unkrautrupfen, keine Gemeinschaftsaufgaben und schon gar keine Satzung, die Normen für Beete und Gewächse und die Frequenz des Rasenmähereinsatzes vorschreibt. Im Landschaftsgarten e.V. wächst alles kreuz und quer und wild durcheinander, die wilden Erdbeeren und der Haselnussbaum, das Gras wuchert ins provisorische Kräuterbeet, der Kirschbaum hat vor Urzeiten die letzte Schere gesehen und die Himbeeren, tja, die Himbeeren sind schon fast weg. Pech gehabt.

Dabei hatten wir von den Alternativen, die just zur Erntezeit nach Italien aufbrachen, die ultimative Aufforderung zur Beerenlese erhalten. Kann sein, dass die auch an andere erging, und überhaupt lockt offenes Gelände Wilderer an. Jedenfalls schnurren die anvisierten zwei Kilo auf ein leichtes halbes Pfund zusammen, mühsam zusammen geklaubt aus den untersten brennesselbewehrten Schichten. Damit bei der Aktion zumindest das Benzingeld herauskommt, versuchen wir uns an der Kirschbaumkrone. Wie gesagt, der alternative Landschaftsgarten ist grenzenlos, aber doch nicht so ganz, denn kaum bengeln wir ein paar Früchte zu Boden, umstreift uns eine misstrauisch äugende Nachbarin, sagt nichts, druckst nur und guckt so schief, dass selbst die süßeste Kirsche plötzlich ganz fad wird. Imaginäre Grenzen im offenen Gelände auch hier.

Die zu überschreiten und harmlos zu tun, ist die Kunst des Tabubruchs. Das wussten Mölle- und Friedman, das wissen Berlusconi und wir, die wir im Schrebergarten Deutschland aufgewachsen sind. Also tun wir so harmlos wie Berlusconi vor der EU - alles nur ein Irrtum, bedeuten wir mampfend mit safttriefenden Lippen. Und überhaupt ist das Zeug schon reichlich wurmstichig.

Die Schrebermeile der Techno-Fans hat sich mittlerweile bis zum Volkspark Schöneberg ausgeweitet. Immerhin bleibe ich dieses Jahr von Exsudaten aller Art vor meiner Haustür verschont. Der Tagesspiegel offeriert Angebote für Daheimgebliebene: Shoppen, Saunen, Sprachen lernen. Ersteres für die Gesundung der deutschen Wirtschaft, zweites für die ganz persönliche und letzteres für die Gesundung der internationalen Beziehungen. Wie sagte doch der italienische EU-Minister Buttiglione in Christiansens Muppet-Runde: Die Untertanen mögen nicht über die Reiseziele ihrer Herrscher nachdenken, sondern darüber, ob die überhaupt Urlaub verdient haben. Recht so - und schöne Ferien!

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nur heute am Geburtstag von F+

Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin (FM)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

Ulrike Baureithel

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