Seitdem Forscher nicht mehr nur ihrem wissenschaftlichen Gewissen, sondern auch öffentlichen Interessen verpflichtet sind und wissenschaftliche Publikationen Temperatursprünge auf dem Börsenbarometer auszulösen imstande sind, haben sich auch die wissenschaftsimmanenten Konjunkturen sehr verändert. Ein instruktives Beispiel hierfür war kürzlich die Meldung, der Forschung sei ein "Durchbruch" mit dem Klonen von genetisch veränderten Schweinen gelungen Dass es sich bei derlei Schlagzeilen natürlich niemals nur um einen kleinen, wenn möglicherweise auch richtungsweisenden Schritt in der Grundlagenforschung handeln könnte, sondern die Öffentlichkeit immer mit grandiosen "Durchbrüchen" in Atem gehalten wird, sind wir mittlerweile gewohnt.
Schweine-Umsatz erwartet
Doch wenn zwei unabhängige, einschlägig arbeitende Forscherteams in Großbritannien und den USA offenbar zu denselben Ergebnissen kommen, dann mag die Gültigkeit der "wissenschaftlichen Tatsachen" zunächst kaum angezweifelt werden. Erwartungsgemäß trieb die Meldung von der Geburt der fünf Klon-Ferkel also die Fieberkurse der britischen Firma PPL Therapeutics und der amerikanischen Immerge Biotherapeutics (eine Tochter des Pharmariesen Novartis) in die Höhe - für genau einen einzigen Tag. Denn kaum war die Sau durchs Dorf getrieben, lahmte daheim im schottischen Stall das Schaf. Ian Wilmut, der "Vater" des ersten Klon-Schafs Dolly, gab bekannt, dass das arme Tier an der Alterskrankheit Arthritis leide und dies, obwohl Dolly schafsmäßig eigentlich noch ein Youngster ist. Dumm für PPL, der Dolly gehört: mit der Schweine-Konjunktur war schnell wieder ein Ende, die Börsenkurse brachen am selben Tag ein.
Nun rechnet man Schafe und Schweine zwar zur Art der Tiere, doch forschungsstrategisch haben sie unterschiedliche Bedeutung: Während die transgenen Schafe vor allem als Experimentiermaterial für Klonversuche herhalten, sind Schweine von unmittelbarerem medizinischem Interesse: Sie sind derzeit die einzigen Tiere, von denen angenommen wird, dass ihre Organe zur Transplantation beim Menschen geeignet sein könnten. Angesichts medizinischer Bedarfsweckung, steigender Nachfrage und langen Wartelisten für Organe, den damit verbundenen Verteilungsproblemen und den ethischen Problemen bei der Spende und Übertragung menschlicher Organe, ist das Interesse an den scheinbar beliebig verfügbaren Tierorganen kaum zu überschätzen. Nicht nur das medizinische, sondern auch das ökonomische: Mit sechs bis sieben Milliarden Euro rechnet man beim Umsatz mit Schweineorganen, von den Gewinnen mit immununterdrückenden Medikamenten (Immunsuppressiva), die Novartis weltweit anbietet, ganz abesehen.
Doch trotz immer wieder forcierter Erfolgsmeldungen sind die medizinischen Probleme bei der Xenotransplantation so erheblich, dass auf jede Ausrufung des Xeno-Zeitalters der wissenschaftliche Kater folgt. Während 1999 das "Schweineherz" noch zum "Hoffnungsträger" stilisiert wurde, titelten die Gazetten 2000 verhaltener mit dem Tenor, dass bis zur klinischen Erprobung noch "viele Hürden zu überwinden" seien. Eben diesen klinischen Versuchen den Weg zu ebnen, geht es gegenwärtig. Nach dem spektakulären Vorpreschen des Xeno-Pioniers David J. White, der in den neunziger Jahren Schweineherzen an Affen angeschlossen hatte und 1996 die ersten Versuche an Menschen ankündigte, ist die europäische Politik der Xenotransplantation eher zurückhaltend begegnet. Die britische Regierung pfiff White zurück, der Europarat empfahl 1991 ein Moratorium und im gleichen Jahr kam der wissenschaftliche Beirat der Bundesärztekammer zum Schluss, "die Voraussetzungen für eine hinreichend risikoarme Durchführung von Xenotransplantationen" seien "noch nicht gegeben". Seither allerdings verstärkt sich der Druck auf die Politik: Der Europarat bastelt an einer neuen Richtlinie, und auch von der Bundesärztekammer (BÄK) wird im Sommer eine neue Stellungnahme erwartet.
Bislang gibt es über die Voraussetzungen, etwa die Übertragung von Schweineherzen im klinischen Versuch zu testen, keinen internationalen Konsens, sondern nur Empfehlungen, beispielsweise der Weltgesundheitsorganisation WHO und der amerikanischen Food and Drug Administration (FDA). Danach sollen 60 Prozent der Primaten, denen ein Schweineherz implantiert wurde, in einer Serie von Transplantationen drei Monate oder länger überlebt haben; mindestens aber sollten zehn der getesteten Tiere diesen Zeitraum lebend überstanden haben. Weitgehend ausgeschlossen werden sollte das erhöhte Krebsrisiko für den Empfänger und das Infektionsrisiko für die Bevölkerung. Darüber hinaus muss gewährleistet sein, dass die sogenannte hyperakute Abstoßung - das heißt wenn der menschliche Körper das artfremde Tierorgan nicht annimmt und spontan zerstört - unterdrückt werden kann.
Diese Kriterien verweisen bereits auf die Problemfelder, mit der sich die Transplantationsforschung derzeit herumschlägt, und eben letztere - die Spontanabstoßung - stand im Mittelpunkt der kürzlichen Schweine-Euphorie. Abstoßungsreaktionen gehören zum Alltag des Transplantationsgeschäfts, auch dann, wenn es sich um menschliche Organe handelt (Allotransplantation). Normalerweise werden diese Reaktionen durch die Gabe von Immunsuppressiva unterdrückt. Das schwächt nicht nur das Immunsystem der Empfängerpatienten, sondern hat auch viele unerwünschte Nebenwirkungen bis hin zum erhöhten Krebsrisiko.
Von willkürlicher Manipulation zu gezieltem Eingriff in das Erbgut
Wird nun aber das Organ eines Tieres auf den Menschen übertragen, kommt die hyperakute Abstoßung hinzu: Die Zellen von Schweinen etwa sind auf ihrer Oberfläche mit Zuckermolekülen ausgestattet, was sie grundlegend von menschlichen Zellen unterscheidet. Der menschliche Organismus produziert Antikörper, die sogenannten T-Lymphozyten, mit dem immunologisch durchaus sinnvollen "Befehl", das fremde Gewebe vom Organismus fernzuhalten. Deshalb sinnieren Forscher darüber, wie dieses Abwehrsystem am besten "auszutricksen" ist: Beispielsweise indem die T-Lymphozyten ganz oder teilweise "knock out" gesetzt werden und darüber hinaus die Immuntoleranz erhöht wird, indem dem Empfänger Knochenmark des Spenders übertragen bekommt. Neuerdings geht man davon aus, dass auch xenogene Stammzellen - also von Tieren - auf den Menschen übertragen werden können.
Die Forscher von PPL und Immerge sind einen anderen Weg gegangen: Sie versuchten, das hinderliche Zuckermolekül (das sogenannte GGTA1-Gen) im Erbgut der Schweine auszuschalten und die entsprechenden Tiere zu klonen. Das hat den Vorteil, dass das Ausgangs"material", vom dem Organe gewonnen werden sollen, genetisch einheitlich ist. Ganz gelungen ist die Ausschaltung des Zuckerenzyms allerdings nicht, denn das als Kopie existierende Gen ist weiterhin aktiv. Es soll durch gezielte Züchtung der Tiere ebenfalls lahmgelegt werden.
Experimente, das tierische Erbgut zu verändern, gibt es schon seit längerem: Weihnachten 1992 kam das erste genmanipulierte Schwein Astrid auf die Welt, nun liegen neun Jahre später die fünf transgenen Klonferkel in der Stallkrippe. Die Ausschaltung des GGTA1-Gens ist jedoch insofern eine Neuigkeit, als dass dies, nachdem bislang nur unspezifisch am schweinischen Erbgut herummanipuliert wurde, der erste gezielte genetische Eingriff ist. Ein Problem für die Forscher ist, dass bislang keine embryonalen Stammzellen von Schweinen gewonnen werden konnten.
Mörderisches beim Sprung über die Artengrenze
Dass mit der hyperakuten Abstoßung nun die Klippen der Xenotransplantation umschifft seien, bezweifeln selbst jene, die sich für diese medizinische Ersatztechnik stark machen. Der Leiter der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Xenotransplantation, Joachim Denner, bescheinigte vergangenes Jahr, dass die Xenotransplantation mit erheblichen Problemen verbunden sei und äußerte sich auch angesichts der aktuellen Berichterstattung skeptisch. Völlig ungeklärt sei das mikrobiologische Risiko sowohl für die Organempfänger als auch für die gesamte Bevölkerung. Denn niemand kann garantieren, dass sich Erreger, die eigentlich nur bei Tieren vorkommen - etwa die Schweinepest - an die Umgebung der Menschen anpassen und den neuen Wirt befallen. Mancher sogenannter endogener Retrovirus bleibt im Tier auch unerkannt und erhält erst mit dem Sprung über die Artengrenze Gelegenheit, sein mörderisches Wesen zu entfalten; dieses Szenario, von dem BSE nur eine schwache Ahnung gibt, ist um so bedrohlicher, als dass das menschliche Alarmsystem ja zusätzlich unterdrückt wird, damit es das fremde Gewebe nicht abstößt.
Deshalb erregte eine Studie von Khazal Paradis, Chef der britischen Firma Imutrans - jene Firma, die das erste Gen-Schwein Astrid produziert hatte - und seiner Forschungsgruppe im August 1999 auch besonderes Aufsehen: Sie untersuchten 83 Männer und 77 Frauen, denen in den letzten zwölf Jahren Schweinegewebe (Haut und Inselzellen) implantiert worden und deren Immunsystem durch Medikamente besonders geschwächt war, auf Anzeichen solcher "übersprungenen" tierischen Erreger. Paradis folgerte, dass es "keinen Hinweis auf eine Infektion und eine damit verbundene Krankheit beim Menschen" gebe. Allerdings ist diese Studie von beschränkter Aussagekraft, denn die geringen Zellmengen sind nicht vergleichbar mit einem Schweineherzen. Überhaupt nichts sagt die Studie darüber aus, auf welche Weise ein Virus in größeren Populationen wirken könnte: Der AIDS- und auch der Ebola-Virus kamen ursprünglich nur bei Tieren vor.
Von leidenden Tieren und unglücklichen Menschen
Derlei Studien geben indessen indirekt Auskunft über den Charakter der Xenotransplanation insgesamt: Dass Tiergewebe verpflanzt wird, ohne die genannten Risiken ausschließen zu können, macht die betroffenen Patienten zu Probanden medizinischer Experimente. 1993 wurde in Pittsburg einem Mann eine Pavianleber implantiert - er überlebte drei Monate. Nicht viel besser ging es einem 38-jährigen Litauer, der vor drei Jahren in der Berliner Charité nach akutem Herzversagen für 60 Stunden an zwei Schweinelebern angeschlossen wurde, um den Körper zu entgiften. Zunächst verlief das Experiment erfolgreich, die Leber erholte sich, doch mit letalem Ausgang: Der Mann starb nach acht Tagen.
Am experimentellen Charakter der Xenotransplantation ändert sich auch nichts, wenn Betroffene - etwa Patienten, die auf der Warteliste für ein Organ stehen - behaupten, sie könnten sich vorstellen, mit einem Schweineherzen zu leben. Ihre besonders verzweifelte Situation im Sinne von Einverständnisbekundungen auszulegen und sie als Zustimmung der Bevölkerung insgesamt zu deuten, ist besonders perfide.
Abgesehen von den medizinischen Risiken für Patienten und die Gesamtbevölkerung sind es auch tier-ethische Aspekte, die die Xenotransplantation verdächtig machen. Auch wenn Tiere keine Menschen sind, so sind sie doch zweifelsfrei leidensfähig. Was die gentechnische Anpassung von Schweinen an den Menschen für die betroffenen Tiere bedeutet, kann niemand beantworten, weil diese darüber keine Auskunft geben können. Weltweit wurden bislang mehrere hundert genmanipulierte Schweineorgane auf Affen übertragen, was für die Tiere Leiden und schließlich den Tod bedeutet. Als empfindungsfähige Lebewesen, so der Bioethiker Johann S. Ach, hätten Tiere zwar nur einen schwachen Anspruch, nicht getötet zu werden, doch einen starkes Recht darauf, nicht gequält zu werden.
Xenotransplantion - kein Thema der Bioethik
Ebenso wie beim Verbrauch von Embryonen zu Forschungszwecken birgt der Missbrauch von Tieren als "Ersatzteillager" unabsehbare Probleme und Risiken. Für die Organspende bestehen ist Deutschland mit dem Transplantationsgesetz klare Bestimmungen, und sie verbieten den Handel mit menschlichen Organen eindeutig. Dass bei der Diskussion um das Transplantationsgesetz Tiere ebenso "vergessen" wurden wie der Umgang mit Embryonen, wirft ein Licht auf den anthropozentrischen Geist es Gesetzes. Während es um die Embryonen zumindest noch eine Diskussion gibt, ist die Xenotransplantation in der Bundesrepublik kaum eine Thema der Ethik: Es scheint ganz selbstverständlich, Tiere zu experimentellen Zwecken und als leicht verfügbare Materialressource auszubeuten.
Dass dies auch anders gehen kann, zeigt das Beispiel Niederlande: Dort wurde im August vergangenen Jahres ein Bericht vorgelegt, der die Ergebnisse einer vom Gesundheitsministerium initiierten landesweiten Debatte zur Xenotransplantation zusammen fasst. Die Niederländer hatten Gelegenheit, sich über die Medien, in Veranstaltungen und Diskussionen, per Internet und vieles mehr über das Thema zu informieren und ihre Meinung darüber abzugeben. Die Umfrage, die auch skeptische Haltungen spiegelt, liefert eine Grundlage für die Beschlussfassung im Parlament und die niederländischen Initiativen im Europarat.
Ähnliche Initiativen auch in der Bundesrepublik zu fördern, forderte schon vor fast zwei Jahren das Büro für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB). Eine öffentliche Diskussion müsste dann auch die Alternativen - die umstrittenen wie die Züchtung von Organen aus Stammzellen und die gesundheitspolitischen, etwa in der Präventionsmedizin - aufzeigen. Die damalige TAB-Studie umriss nicht nur die medizinischen, sondern auch die politischen Risiken der Xenotransplantation, die so lange unterbelichtet bleiben, wie Gewinnerwartungen, Börsenkurse und unrealistische Heilsversprechen die öffentliche Diskussion bestimmen.
Kürzlich haben Fachleute und Studenten an der Universität Bonn ein von der EU finanziertes Internetangebot eröffnet, wo sich Interessierte über Alternativen zu Tierversuchen informieren können:
Nähere Informantionen bei Dr. Hella Lichtenberg-Fraté, Botanisches Institut der Universität Bonn, Abt. Bioenergetik, Tel.: 0228/73-5518, E-Mail: h.lichtenberg@uni-bonn.de
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