Viel ist dieser Tage von politischem Besteck die Rede: dem Gegenstand angemessen auch etwas altertümlich Tafelsilber genannt. Wer das schwere Geschirr sein eigen nennt, weiß, dass es die Neigung hat, anzulaufen und blind zu werden. Aufwendige Putzaktionen sind dann von Nöten, die unansehnlichen Teile aufzupolieren. Wem das zu viel der Mühe ist, mag auch auf die Idee verfallen, das lästige Zeug einfach einzutauschen gegen ein pflegeleichteres Gedeck. Man wird dann vielleicht das solide Gewicht in der Hand missen und den eigentümlichen Glanz. Doch im Alltag, wird man feststellen, sind Chromargan, Glas oder Porzellan praktischer. Kein Wunder, dass spülfester Hausrat gefragt ist - auch bei politischen Parteien.
Auch die Union durchforstet derzeit ihren Bestand
en Bestand und stößt dabei auf das wertvolle Silber, das ihr so lange als eiserne Reserve gedient hat. Sie holt es hervor, wendet es nach allen Seiten, und siehe da, blinde Flecken allenthalben. Keiner mag mehr mit dem konservativ gedrechselten Familienlöffelchen essen von einem schwärzlich angelaufenen Tellerchen, auf das nur Pflichterfüllung gehäuft ist. Keiner mag aus dem silbernen Becherchen trinken, aus dem nur Sekundärtugenden rinnen. Zumal nicht die jungen Frauen in den schnelllebigen Städten, die das undankbare Geschäft mit der Politur haben.Dies jedenfalls meint die Unions-Vorsitzende Angela Merkel bei ihrer Wahlinventur festgestellt zu haben: Der christlich-soziale Hausstand sei ein bisschen zu altertümlich, ein wenig zu matt, um die neu heranwachsende Generation an ihren Tisch zu locken. Und übrigens nicht nur die jüngere, sondern auch jene, die langsam ins Rentenalter gleitet und nach kulturrevolutionären Jahrzehnten vielleicht doch anderes will als kontemplatives Dahindämmern im Seniorenstift. So immerhin ließe sich die kürzlich von der Konrad-Adenauer-Stiftung vorgelegte Wahlanalyse auch interpretieren, die besagt, dass die Union im letztgenannten Wählersegment zunehmend ihren Rückhalt verliert.Was tun? Das Silber in Ehren halten und höchstens vorsichtig aufpolieren, wie ihr manch einer aus dem Familienrat südlich des Mains empfiehlt? Es gar als Waffe gegen das allgegenwärtige Blech einsetzen, wie der Ex-General diesseits der Oder und ausgemusterte Verfassungsrichter fordern? Oder es doch lieber in die hintere Lade räumen und es nur bei besonderen Anlässen - nationalen Tugendtagen - aufdecken? Und für den Alltag dagegen strapazierfähigere Bestecke bereit stellen für die gestressten Frauen in ihren Patchwork-Familien, die hedonistischen Alten, die vielseitig orientierten Jungen.Die Union, glaubt Merkel, muss ein neues "Identifikationsmodell" für die Städter entwerfen. Was der rührige Friedrich Merz einst mit dem Ruf nach "Leitkultur" nicht schaffte, soll nun sein Fraktionskollege Jürgen Rüttgers, der schon einmal deutsche Kinder gegen fremde Inder verteidigte, in einem "Arbeitskreis Städte" ausbrüten. Ein bisschen erinnert das an linke Mobilisierungskampagnen auf dem Land.Für jene, die den christlichen Traditionsbestand mit jedem Maß Bier oder jedem Schoppen Wein verinnerlicht haben, ist der Menüzettel ihrer Vorsitzenden nicht leicht goutierbar. Wer, wie kürzlich der bayerische Leithammel Stoiber im Spiegel, den "Leistungsgedanken" im Süden der Republik verortet sieht oder die dreifaltige Familie eher in Saulgrub als in Warnemünde bewahrt weiß, dem dürfte der Wandel der Union von einer christlichen Traditions- in eine, wie der hessische Ministerpräsident Roland Koch kürzlich forderte, "moderne Dienstleistungspartei" für "glückliche Bürger" keine reine Freude sein. Der Spagat über die regionalen und konfessionellen Gräben war eine durchaus glückliche Nachkriegsleistung der Union, und sie sicherte den Bestand der alten Bundesrepublik. Doch der Sprung über die kulturellen und mentalen Abgründe der sogenannten Berliner Republik fordert mehr als nur Toleranz gegenüber "Mischehen" oder "Marterln" am Wegkreuz.Bleibt die Hausfrauenehe mit ihren Privilegien das Normalmodell oder kriegt auch die alleinerziehende ledige Mutter den göttlichen und fiskalischen Segen? Kann man sich mit Gleichgeschlechtlichen arrangieren, soweit sie ihre generativen Aufgaben erfüllen oder bleibt ihre Bettkultur Werk des Teufels, über das Verfassungsrichter urteilen? Will man seine Kinder ganztägig einer eher unkontrollierbaren aushäusigen Erziehungsgewalt ausliefern? Kurz: Will man ein bisschen mit dem Zeitgeist segeln oder sich ihm doch lieber entgegenstemmen?All diese Fragen wollen beantwortet sein, bevor man wieder beginnt, um die Gunst jener Grünen zu buhlen, die so viel besser als man selbst den Zeitgeist verstehen und - zumindest in den Städten und mangels Alternative - als Menschenfischer agieren. Sie müssen auch beantwortet werden, bevor eine rotgrüne Koalition, getrieben von Haushaltskrisen, das Traditionsgeschirr endgültig abgeräumt hat und dann auch das Ehegattensplitting nicht mehr schont. Eine mentale "Wende" wie weiland in der Ära Kohl ist dann schon aus ökonomischen Gründen kaum mehr denkbar.Am Ende muss sich die Union vielleicht die gleiche Frage stellen wie heute schon die von ihr so gehasste PDS: Sind wir (nur noch) eine Regionalpartei? Eine, die im Süden die ehrwürdige Familie in die Brauchtumspflege übernimmt, während im Norden und Osten je nach Nachfrage "Lebensmodelle" bedient werden? Eine, die sich im Süden auf ihrer politischen und wirtschaftlichen Infrastruktur ausruht, während sie sich anderswo andienen muss an Konkurrenten jedweder Couleur? Eine, der in westlichen Landstrichen der Begriff "gender gap" (Roland Koch!) mittlerweile mühelos von den Lippen kommt, während man anderswo für die Reinheit der deutschen Sprache kämpft?Das "Generationenprojekt", das der CDU/ CSU demnächst ins Haus steht, wird ihre Basis stärker herausfordern, als die Sozialdemokraten einst das Godesberger Programm. Und es wird dabei nicht nur ihr politisches "Tafelsilber" zur Disposition stehen, sondern auch der Tisch, der es trägt. Keine leichte Aufgabe für die Vorsitzende aus dem Osten, den Hausstand zu erneuern, ohne das Tischtuch zu zerreißen.