Symbolische Bannung

Vogelgrippe in Deutschland Noch keine Katastrophe und schon durchgefallen. Doch der Faschingsauftritt der Bundeswehr und das fröhliche Hühneressen stiften täuschende Einigkeit

Bei der EU speiste man dieser Tage Huhn. Beim kollektiven Hühneressen demonstrierten die europäischen Minister Einigkeit. Keiner ist nach dem Mahl tot umgefallen, aber wer hat das ernsthaft erwartet? Die Verbraucher bestimmt nicht, denn da dürfte mittlerweile beim Letzten angekommen sein, dass die Vogelgrippe keinen Menschen so schnell dahinrafft, soweit er nicht gerade mit den Hühnern das Bett teilt. Also geht es, auch wenn das von Horst Seehofer (nur zum Beispiel) nachdrücklich bestritten wird, nicht um Gesundheit, sondern doch um Ökonomie: Wenn Jacques Chirac in sein Poulet beißt, soll den Geflügelhaltern symbolisch der Rücken gestärkt, der Exportartikel Huhn mit präsidialem Gütesiegel versehen werden.

Die Einigkeit täuscht. Denn längst haben die EU-Staaten den gemeinsamen Weg bei der Bekämpfung der Tierseuche verlassen. Frankreich und die Niederlande haben aus Angst vor unabsehbaren ökonomischen Schäden beantragt, die Tiere vorsorglich impfen zu dürfen, was der offiziellen europäischen Richtschnur widerspricht, weil geimpfte Tiere das Virus unbemerkt weitergeben können. Diese Praxis findet auch hierzulande Anhänger, ausgerechnet die Grüne Bärbel Höhn kann sich Massenimpfungen vorstellen - mit gentechnisch verändertem Serum! In einigen europäischen Ländern gilt die Stallpflicht, in anderen nicht; doch selbst dort, wo sie gilt, ist sie gerade auf kleinen Höfen wie im Geflügelland Polen nicht überall durchzusetzen.

Dabei hat Deutschland keinen Grund, den Finger zu heben. Was die deutschen Behörden in Rügen abgeliefert haben, sollte nicht nur dem bedauernswerten Minister Till Backhaus (SPD) aus Mecklenburg-Vorpommern, der das Pech hatte, dass die kranken Wildvögel zuerst durch sein Revier zogen, peinlich sein. Tierkadaver, die tagelang vor sich hinseuchen, fehlendes Personal und Material, Informationsdefizit, Kompetenzstreitigkeiten und eine Journaille, die Krisenstimmung verbreitet und tagelang den infizierten Kot an den Stiefeln aufs Festland trägt, wirken wenig vertrauenserweckend. Auch nicht die nachgetragenen Schuldzuweisungen oder der Streit darüber, wer für das von den Ländern vorsorglich eingelagerte Grippemittel aufkommen soll. Als Gesellenstück für den so genannten "Ernstfall" glatt durchgefallen.

Deshalb ist jetzt plötzlich wieder die Rede von der "Naturkatastrophe", vom "gigantischen Naturereignis" (Seehofer), das uns überrumpelt habe. Wie die Flut, der Tsunami oder Wirbelstürme, die mit Plötzlichkeit über uns kommen, unberechenbar sind und auf die unvorbereitet reagiert werden muss. Der auf Rügen von Landrätin Kerstin Kassner (PDS) zögernd ausgerufene Katastrophenalarm nötigte zum Aufmarsch martialisch kostümierter Bundeswehrsoldaten (kein Faschingsauftritt!), die nun Gelegenheit haben, im Innern für die Weltmeisterschaft zu üben. Bei der Gelegenheit sind auch gleich das föderale System und seine Entscheidungsstrukturen unter Verdacht zu stellen, und angesichts des drohenden nationalen Notstands Arbeitskämpfe zu inkriminieren.

Dabei kann von "Naturkatastrophe" in doppelter Hinsicht keine Rede sein: Zunächst einmal, weil eine Tierseuche keine Himmelskeule ist, sondern Folge menschengemachter Bedingungen: Massentierhaltung, Störung des ökologischen Gleichgewichts und Verkehrswege, die geeignet sind, das Virus in der ganzen Welt zu verbreiten. Viele der im Menschen wirkenden Viren stammen ursprünglich vom Tier; andere Erreger hatten noch keine Gelegenheit, auf den Menschen zu springen. Doch wer zum Beispiel das Risiko eingeht, sich eine Schweineleber einpflanzen zu lassen, setzt sich dem Risiko aus, dass ein solches Tiervirus überspringt.

Zum anderen ist diese "Katastrophe" keinesfalls über uns hereingebrochen wie die große Flut. Seit Jahren weiß man um die Gefahr, seit Jahren kann man von den Erfahrungen der Länder, die ihr als Erste ausgesetzt waren, lernen. Material aufzustocken und Notfallpläne zu vereinheitlichen und zu testen, sollte innerhalb von Jahren und Monaten zu bewerkstelligen sein. Selbst wenn man das Pandemie-Szenario für völlig übertrieben hält, gibt es gute Gründe, zivilen Katastrophenschutz zu üben.

Aber das ist wie mit dem Hühneressen: Mit symbolischen Handlungen soll die Gefahr gebannt werden, in der Hoffnung, das Übel möge vorüberziehen. Mit der rituellen Einverleibung des besiegten Gegners versuchten sich übrigens schon unsere Vorfahren zu stählen. Vielleicht ist die Vogelgrippe ja einmal mehr ein Exempel dafür, wie langsam unsere "mentale" Evolution tickt. Langsamer jedenfalls als die Virus-Mutanten.


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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

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