Traum von Super-Nannys

Modell Amerika II Sind private Haushaltshilfen der Königsweg aus der Jobmisere?

Amerika, du hast es besser! Jedenfalls die amerikanischen Mütter. Die erfahren dort nämlich eine ganz ungewöhnliche Hochschätzung, weil sie "flexibel, pragmatisch, organisiert und belastbar" sind. All das, was gemeinhin von Führungskräften als "soft skills" erwartet wird und woran es hier zu Lande in den Machtetagen krankt. Ebenso, wie es an Kindern mangelt, das ist ja nun sattsam bekannt. Gäbe es also mehr Kinder, ergo mehr Mütter (und, ernsthaft, Väter), dann verfügten auch wir über ein besonderes "Humankapital", das "über sich hinauswachsen" und zuvor "nie wahrgenommene Kräfte" zu entdecken hätte.

So in etwa lesen sich die persönlichen Erfahrungen, die Mutter von der Leyen, im Nebenberuf Familienministerin, während ihrer Zeit in den USA gemacht und die sie kürzlich im Berliner Tagesspiegel ausgebreitet hat. Gerne glauben wir ihr, dass der jungen Ärztin mit Kindern in Deutschland der Karriereweg verbaut und das Leben auf einem amerikanischen Campus in dieser Hinsicht ungleich angenehmer war. Wir unterstellen auch bereitwillig, dass lange Ladenöffnungszeiten es Vater von der Leyen erlaubten, abends hin und wieder "den Familieneinkauf" zu erledigen und dass der Arbeitsplatz seiner Frau so flexibel war, dass sie hin und wieder nach ihren fünf Kindern (unter sechs Jahren!) sehen konnte.

Leider verrät Ursula von der Leyen nicht, welche "Familien unterstützenden Netzwerke" ansonsten die Seile spannten und Knoten knüpften, damit der große Haushalt nicht im Chaos versank und die fünf Kinder durch die Versorgungsmaschen fielen. Wer hat geputzt, gebügelt, gekocht und sich, wenn Mutter von der Leyen unabkömmlich war, um die Kinder gekümmert? Die Großeltern? Nicht verfügbar. Öffentliche Kinderbetreuung? In den USA? Kaum. Eher schon die "guten Geister", neudeutsch die Super-Nannys, die sich, unendlich "belastbar", mit zwei, drei und mehr Jobs über Wasser halten. Mütter meist, die "pragmatisch und organisiert" ihre eigenen Kinder irgendwo abstellen, einsperren oder der Straße überlassen müssen, um das nötige Geld heranzuschaffen.

In den adeligen Kreisen des "alten Europa" war es noch üblich, für solche Aufgaben spezialisierte Dienstboten zu halten (was im nachgeholten Selbstversuch und zur Einübung übrigens in Vorabend-Soaps zu besichtigen ist wie Gutshaus um 1900). Nach dem Ersten Weltkrieg konnte sich die verarmte Mittelschicht höchstens noch eine Allround-Domestikin leisten - wenn überhaupt, andernfalls wurde Hausarbeit nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten "rationalisiert". "Das Mädchen" tauschte das häusliche Kommando ohnehin lieber mit dem der Fabrik.

Doch mit dem Niedergang des Fabriksystems werden "haushaltsnahe Dienstleistungen und Kinderbetreuung" (von der Leyen) plötzlich wieder "in". Was für die einen steuerlich bevorzugt und absetzbar ist, soll für die anderen ein Weg aus der Jobmisere sein. Amerika, hast du es besser? Jetzt warten wir nur noch darauf, dass auch die allround "organisierte, flexible, pragmatische und belastbare" Nanny in die Vorstandsetagen aufsteigt und ihr "Humankapital" entfaltet.


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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

Ulrike Baureithel

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