Trügerische Geschlossenheit

Kassenstreit Die Gesundheitsministerin auf Nebenschauplätzen, doch vorerst geht es allen nur um die Publikumsgunst

Manchmal erzählen Stillleben mehr als das ganze öffentliche Gerede: Als kürzlich Gesundheitsministerin Schmidt im Atrium ihres Hauses sichtlich säuerlich die Presse über die Gespräche mit den Kassenvorständen unterrichtete, löste sie sich schnell aus der Truppe ihrer Gesprächspartner und trat ans Mikro, während die von oben Gemaßregelten sich seitwärts unters Pressevolk mischten, mancher augenzwinkernd einen Kollegen oder eine Kollegin begrüßend, es fehlte nur noch, dass einer im Stile Josef Ackermanns das Victory-Zeichen bemühte. Dass die Bundesverbände derzeit viel unternehmen, um die Presse und die Öffentlichkeit auf ihre Seite und in Stellung gegen den Gesundheitsfonds zu bringen, ist unübersehbar; kaum zu ignorieren ist allerdings auch das Bemühen der Ministerin, sie mit immer neuen Forderungen und Sticheleien aufzuscheuchen und öffentlich vorzuführen.

Dabei war die Drohung, die Vorstände persönlich in Haftung zu nehmen, falls die generalstabsmäßig geplante Informationskampagne zur Gesundheitsreform über Gebühr Beiträge kostet, erst der Anfang. Den aufsichtsrechtlichen Maulkorb, den die Ministerin an diesem Tag den Kassen verpassen wollte, hat dann nicht ganz gepasst, weil ein eigens in Auftrag gegebenes Gutachten den Kassenvertretern einen größeren politischen Spielraum einräumte als angenommen. Und so ziehen die Ahrens, Rebscher, Fiedler, Klusen und Co., die bis vor einiger Zeit nur Experten namentlich kannten, mit Unterstützung von Verdi weiterhin durch die Lande, um gegen die Reform zu trommeln, während Schmidt erzürnt und unter Gelächter der Opposition die Offenlegung der Kassenschulden (nach einer Anfrage der FDP bereits längst erledigt) fordert oder die ungebührlich langen Wartezeiten für Patienten geißelt, als ob dafür die Verbände verantwortlich wären.

Nebenschauplätze, so wird gemunkelt, die von der "verpfuschten Reform" ablenken sollen. Auf den ersten Blick einleuchtend, doch die Gemengelage ist komplizierter und die Publikumsgunst schwankend. Wenn nämlich die Kassen, wie angekündigt, im Jahre 2007 ihre Beiträge um mindestens 0,5 Prozent, voraussichtlich aber um mehr als das Doppelte (von bis zu 1,4 Prozent ist die Rede) anheben werden, steht nicht nur die Gesundheitsministerin, die vor allem den Arbeitgebern die Senkung versprochen hatte, blamiert da, kippen könnte dann auch die Solidarität der Kassenmitglieder, die momentan den politischen Widerstand noch unterstützen mögen.

Aber auch mit der Geschlossenheit der konkurrierenden Kassen ist es nicht so weit her, wenn es ans Eingemachte geht. Während Ende 2005 nämlich 173 Kassen - zumindest rechnerisch - als "schuldenfrei" galten und damit startbereit für den Gesundheitsfonds gewesen wären, sitzen 81 Kassen noch immer auf einem Schuldenberg, wobei sich abzeichnet, dass sich dieser Trend ohnehin wieder verstärkt und schon heute mit einer Finanzierungslücke von rund 3,7 Milliarden Euro gerechnet wird. Um gleiche Wettbewerbsbedingungen zu schaffen, beharrt die Ministerin auf Schuldenfreiheit, unter Umständen durch Kassenausgleich, sonst müssten die Beitragssätze im Jahr 2007 noch weiter angehoben werden. Dem widersetzen sich nicht nur die Kassen, sondern auch manche Bundesländer, die besser dastehen und überdies den künftigen Solidarausgleich über den Fonds fürchten. Bayerns Sozialministerin Christa Stewens (CSU) hat sich bereits entsprechend geäußert, und auch aus Baden-Württemberg sind kritische Töne zu hören.

Wenn es nach dem Willen der Ministerin geht, wird sie es ab 2008 aber ohnehin nicht mehr mit sieben Spitzenverbänden samt Vorständen und Tross zu tun haben, sondern nur noch mit einem einzigen, den sie politisch besser kontrollieren kann. Dass ausgerechnet ein Ökonom - nämlich der renommierte Bert Rürup - ihr nun vorrechnet, dass die aus den beabsichtigten Fusionen hervorgehenden größeren Kassen nicht automatisch kostengünstiger sind, ist eine bittere Pille. Und auf eine zweite Unebenheit macht er aufmerksam: Wer Krankenkassen in moderne Unternehmen verwandeln will, muss ihnen nicht nur viel unternehmerische Freiheit einräumen, sondern ihnen auch ihre Verbandsstruktur überlassen. Die beabsichtigte Reform dagegen beschneidet beides. Kann schon sein, dass die Kassenvorstände demnächst nicht nur Verdi für ihre Zwecke einspannen, sondern auch Unternehmensvertreter - und die unterlassen heute keine Gelegenheit, um beispielsweise Kürzungen im Leistungskatalog zu fordern. Unternehmensinteressen (der Kassen) und Patienteninteressen sind ihrer Natur nach nicht unbedingt identisch. Der Tag dieser Wahrheit wird kommen.


Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

Ulrike Baureithel

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