Eine primitive Hütte im Wald. Ein Stein zum Feuermachen. Ein paar Kühe und Ziegen. Ein Hektar Kornfeld. Und am Leib nichts weiter als einen Lendenschurz, ein Hemd und notdürftig zusammengehaltenes Lederzeug an den Füßen. Lässt sich so überleben? Nicht im Rahmen eines exremsportlichen Männer-Survivals in den Wäldern Kanadas, sondern als Gemeinschaft mit Frauen und Kindern, unmittelbar vor unserer Haustüre?
Die Wissenschaftsredaktion des Südwestrundfunks, Erfinderin des vielfach kopierten, mittlerweile weich gewaschenen und ausgelaugten TV-Formats Zeitreise, hat es noch einmal wissen wollen. Doch statt lächerlicher 100 Jahre, die einst die Familie Boro ins Schwarzwaldhaus 1902 überwand, muss es dieses Mal schon ein bisschen spektakulärer sein. Schlappe 5.000 Jahre geht es zurück in die Jungsteinzeit, als "Ötzi" durch die Alpen vagabundierte und in unseren Breiten die ersten Bauern sesshaft wurden, am Bodensee zum Beispiel und in Oberschwaben. Dort, im Hinterland von Ravensburg, steht die Hütte mit dem vermaledeiten Ofen, dort liegt das Feld, alles streng nach archäologischen Erkenntnissen (an)gebaut, und wartet auf den modernen Steinzeitmenschen.
Es ist ein Experiment, das schon am Anfang zu scheitern droht. Denn wer rechnete im August 2006, als sich die Familien Matthes und Burberg mit ihren sechs Kindern und den drei Freunden Ingo, Henning und Sophia in Richtung Süden in Bewegung setzten, schon mit wochenlangem Dauerregen und spätherbstlichen Temperaturen? Nach dem ersten sonnigen Tag im Steinzeitdorf übernimmt die Natur die spannungsreiche Dramaturgie: Nässe, Kälte - und gnadenloser Hunger, der vor allem die Kinder quält.
Schnell stellt sich heraus, dass das steinzeitliche Leben einer anderen Zeitrechnung gehorcht: Steinzeitleben bedeutet Zeitstress, und trotz aller Vorbereitung im Pfahlbaumuseum am Bodensee sind die Beteiligten darauf nicht gefasst. Das Emmer-Korn ist widerspenstig und lässt sich nicht zu Mehl verarbeiten; das Feuermachen benötigt viel Zeit und der Umgang mit den Tontöpfen Übung; das Schlachten erweist sich, wie schon für die Boros, als emotionale Herausforderung; und die Kleidung hält weder der Feuchtigkeit noch den Temperaturen stand. Zuerst sind es die Kinder, die wieder nach Hause wollen, weil sie sich statt nach halbgaren Erbsen und spelzigem Brei nach Pommes mit Mayo sehnen und keinen Bock haben, sich an der neusteinzeitlichen Arbeitsteilung - mühseliges Beeren- und Holzsammeln, langweilige Erntearbeit und Abwasch - zu beteiligen. Der moderne Erziehungsstil ist, vorsichtig gesagt, mit Ur-Verhältnissen wenig kompatibel.
Unter der Ägide des Wettergottes kommt der "Motor Steinzeit" nur schleppend in Gang. Das liegt nicht nur daran, wie Steinzeit-Experte und Berater Harm Paulsen formuliert, dass die "Hardware" zwar stimmt, aber die "Software" - das Wissen der Familien und ihr Umgang mit den Problemen - ungenügend ist und immer wieder "abstürzt", sondern weil schon die Versuchsanordnung, die oft genug nur auf wissenschaftliche Vermutungen angewiesen ist, sich häufig als falsch herausstellt. Nach ein paar Tagen Regen ist das Hüttendach so leck, dass nur eine Plastikplane und Daunendecken das Schlimmste verhindern. Das hätte unseren Vorfahren nicht passieren dürfen, wie sie wahrscheinlich auch nicht bei hohem Wellengang mit einem Einbaum über die Bregenzer Bucht gepaddelt wären. Die Freunde Ingo und Henning, die damit zu ihrer Alpenüberquerung aufbrechen, wären jämmerlich ersoffen, hätten hilfreiche Lebensretter sie nicht aus dem See gefischt.
Diese Alpenüberquerung, die die Steinzeitmenschen nach neueren Erkenntnissen schon vor 5.000 Jahren unternommen haben, um Waren und Wissen auszutauschen, ist einer der Höhepunkte der Serie. Werden die beiden Freunde, angewiesen auf ihre steinzeitliche Ausrüstung, es schaffen? Und kommen die Zurückgebliebenen ohne ihre Arbeitskraft zurecht? Die beteiligten wissenschaftlichen Institute erhoffen sich von diesem Feldexperiment Aufschlüsse über das steinzeitliche Leben. Doch die 13 überaus sympathischen "Versuchspersonen", die diese acht Wochen mit Ausdauer, Mut und allen Widrigkeiten zum Trotz ausharren und so die Serie am Laufen halten, werden, so hat man den Eindruck, mehr als einmal über ihre Grenzen getrieben. Es dürfte kein Zufall sein, dass die begleitende dreiteilige Kinder-Steinzeit von den drastischeren Szenen "entlastet" und ins milde Licht des Abenteuers getaucht wird.
Natürlich weiß jeder Zuschauer, der auf der Couch mit in diese Steinzeit reist, dass im Fall der Fälle Plaste, Decken, Antibiotika, Feuerlöscher und Lebensretter bereitstehen, und selbst Tierschützer haben keinen Grund zum Protest. Aber wie viel erfahren wir eigentlich über die Steinzeit, wenn die Mitspieler nicht mit Pfeil und Bogen durch die Wälder streifen und Wild erlegen dürfen und das Vieh vor dem Verzehr zur amtlichen Beschau kommt? Versuchsanordnungen im Labor sind eine neuzeitliche Erfindung, und der Versuch taugt nur so viel wie die Anordnung. Das gilt durchaus auch für das Fernsehen, das mit dem neuen Format Living Science nicht nur Authentizität suggerieren, sondern auch wissenschaftlich valide erscheinen will.
Steinzeit. Das Experiment 27. und 28. 5. und 4. und 11. 6.; Die Steinzeit-Kinder vom 26. bis 28. 5.; begleitet wird die Serie von mehreren Wissenssendungen, alles unter www.SWR.de/steinzeit.
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