Wahrheit ist nicht alles

Weathermen Robert Redfords Thriller „The Company You Keep“ mythisiert den bewaffneten Arm der US-Antikriegsbewegung nicht, vertraut aber auch nicht auf die politischere Vorlage
Ausgabe 30/2013
Wahrheit ist nicht alles

Bild: Concorde Filmverleih

Während des US-amerikanischen Wahlkampfs 2008 verdächtigte die Republikanerin Sarah Palin den demokratischen Präsidentschaftskandidaten Barack Obama, er sympathisiere mit Terroristen. Hintergrund war eine private Spendensammlung, die der ehemalige Weatherman Bill Ayers in den neunziger Jahren für den damaligen Senator Obama angeleiert hatte, und Statements von Ayers wie: „Es tut mir nicht leid, dass wir Bomben gelegt haben.“ Solche Sätze wirken wie Dynamit in einer Gesellschaft, in der der Generalverdacht allgegenwärtig und die Erinnerung an die Wut einer Generation verblasst ist, die auszog, einen Krieg zu beenden.

„Du brauchst keinen Wettermann, um zu wissen, woher der Wind weht“, hieß es in einem Song Bob Dylans, nach dem sich die Weathermen benannten, der militärische Arm der US-amerikanischen Antikriegsbewegung – in einer Zeit, als man tatsächlich noch zu wissen glaubte, woher die politischen Wetter kommen. Doch anders als die deutsche RAF, die aus der Erfahrung von 1968 den Weg der zynischen Gewalt ging, richteten sich die Bombenattentate der Weathermen nur gegen Einrichtungen. Die dabei entstandenen Kollateralschäden waren mit ein Grund für die innere Zersetzung der Gruppe und ihre Auflösung in den späten achtziger Jahren.

Keine Reue

„Würden Sie es wieder tun?“, lautet deshalb die ultimative Frage der Nachgeborenen.Sie fällt in einer Schlüsselszene, vielleicht sogar einer Urszene zwischen den alten Kämpen und den Jüngeren, in Robert Redfords Politthriller The Company You Keep. Die Akte Grant. Und die Antwort: Ja, „wenn da nicht meine Eltern wären und die Kinder.“ Aber: „Was wir wollten, war richtig.“ Shia LaBeouf und Susan Sarandon spielen die Vertreter dieser Generationen. Der ehrgeizige, eine geile Story witternde Jungreporter Ben Shepard (LaBeouf) wird von seiner dümpelnden Lokalzeitung auf die im Gefängnis sitzende ehemalige Aktivistin Sharon Solarz (Sarandon) von Weather Underground angesetzt. Als Weatherwoman soll sie in den Siebzigern an einem Bankraub beteiligt gewesen sein, bei dem unbeabsichtigt ein Mann erschossen wurde. Ihre Verhaftung bedroht nun die untergetauchten Gesinnungsfreunde von einst, die wie Jim Grant mit neuer Identität seit Jahrzehnten ein bürgerliches Leben führen.

Stofflich fiele also etwas fürs Actionkino ab: Konspiration, Sex und Gewalt, Verfolgung und Nibelungentreue. Doch Redford, der mit dieser neunten Regiearbeit wieder einmal die Herausforderung der Doppelrolle angenommen hat – er spielt auch Jim Grant –, setzt auf die ruhigere Variante, die man aus RAF-Filmen wie Die innere Sicherheit oder Die Stille nach dem Schuss kennt. Nicht die militärische Konfrontation zwischen Bewegung und Staat ist das Thema, sondern das, was danach kam, das Schicksal der Versprengten und Untergetauchten. Derer, die sich nahe standen und dann verschiedene Wege eingeschlagen haben.

30 Jahre nach seinem Ausstieg lebt der gesuchte Terrorist Nick Sloan alias Jim Grant als Bürgerrechtsanwalt mit seiner elfjährigen Tochter Isabel in einem Vorort von Albany, bis er von Sharons Verhaftung aufgeschreckt wird. Shepard lässt durchblicken, dass er den abgetauchten Weathermen auf der Spur ist. Was für den Reporter nach einer Sensation klingt, bedeutet für Grant erneute Flucht, auf die er sich vorbereitet, mit deren Notwendigkeit er aber nicht mehr gerechnet hat. Am schlimmsten trifft ihn die Trennung von Isabel, die er bei seinem Bruder zurücklassen muss: „Er kauft sich Zeit“, kommentiert der Jims Flucht. „Wenn er schuldig wäre, bräuchte er das nicht zu tun.“

Mit dem Instinkt eines guten Journalisten und der Skrupellosigkeit eines Sensationsreporters nimmt Shepard trotz der Warnungen seines Chefredakteurs (Stanley Tucci) die Fährte auf. Gleichzeitig heftet sich das FBI an die Fersen von Jim und Ben, der mit seinen Recherchen in die Verdachtszone gerät. Ihr Wettlauf führt sie quer durchs Land, durch Röhren und Tunnel, über Straßen und Schienen. Grant bittet alte Kombattanten um Unterschlupf und Hilfe auf der Suche nach seiner alten Liebe, Mimi Lurie, die an dem Überfall beteiligt war und ihn entlasten könnte. Ihm bedenkenlos nachsetzend, beginnt Ben wider Willen, Jims Cleverness zu bewundern.

Die Begegnungen mit den großartig besetzten alten Mitstreitern bilden den Erzählkern des Films. Sharon, die sich freiwillig gestellt hat, „weil ihre Kinder alt genug sind, um damit umzugehen“, steht für die Mischung aus Stolz, Trotz und Resignation: „Wofür würden Sie denn etwas aufs Spiel setzen?“, fordert sie Shepard heraus. Nick Nolte als Don, inzwischen Sägewerkbesitzer, der Ex-Knackis beschäftigt, verkörpert das schlechte Gewissen derer, die nicht so mutig waren und immer noch glauben, sich rechtfertigen zu müssen, weil sie sich abseits hielten. Brillant auch Richard Jenkins als Geschichtsprofessor, der die Revolutionstheorien Frantz Fanons lehrt und vor Angst schlottert, als ihn sein alter Kumpel Nick alias Jim überfällt: „Ich hab was zu verlieren.“ Und schließlich die hartgesottene Mimi (Julie Christie), die sich keine Sentimentalitäten erlaubt. Noch immer flüchtend und unter diversen Identitäten segelnd, sind die Überzeugungen von einst ihr einziger Anker. Und das Wissen, dass keiner den anderen verraten wird.

Hätte sich der Film auf den Umgang mit alter Schuld konzentriert und die Frage, wie schwer, ja fast unmöglich es ist, jüngeren Menschen einmal getroffene falsche Entscheidungen zu vermitteln, hätte aus The Company You Keep. Die Akte Grant eine grandiose Fallstudie werden können. Zumal in Kontrast zu einer medial zugerichteten Gegenwart, die sich um Motive nicht mehr schert. Shia LaBeouf als Ben jedenfalls überzeugt als egozentrischer Reporter, dem es zunächst nur um seinen Namen über der Story geht, die ihn berühmt machen soll, und der ohne Rücksicht agiert. „Ich will Geschichte schreiben“, versucht Ben den FBI-Leuten zu erklären, als sie seine Wohnung durchsuchen. Eben das wollte die Generation vor ihm auch. Bens Job ist es, deren Geschichte zu erzählen. Und zu lernen, dass seine Wahrheit nicht alles ist.

Keine Dämonen

Doch leider scheinen Drehbuchautor Lem Dobbs und Redford der politischer angelegten Romanvorlage von Neil Gordon nicht wirklich vertraut zu haben. Im Bemühen um human touch werden Figuren umgruppiert und ein parallel verlaufendes, konstruiertes Enthüllungsdrama inszeniert, in das auf der einen Seite Jim und Mimi, auf der anderen ein ehemaliger Polizeichef (Brendan Gleeson) und dessen Adoptivtochter Rebecca (trotz weniger Auftritte in Erinnerung bleibend: Brit Marling) verwickelt sind. Dass sich Ben dann auch noch in Rebecca verliebt und daraus geläutert hervorgeht – geschenkt. Aber über Redfords penetrantes Old-Daddy-Gehabe hinaus wird der Gefühlshaushalt der Zuschauer auch noch mit den privaten Selbstzweifeln eines alternden Revoluzzerpaares strapaziert, vor der Kulisse eines alles überwölbenden Indian Summer mit einsamem weißen Segelboot auf weiter See. Und natürlich muss vor der stimmungsvollen alten Blockhütte, wo sich Jim und Mimi nach 30 Jahren wieder begegnen, auch noch eine Spinne ahnungsvoll ihr Netz stricken.

Immerhin entgehen Redford und seine Crew einer Falle, die im Kontext mit revolutionären Desperados schon manchen Regisseur hat straucheln lassen: Die Weathermen werden in diesem Film nicht mythisiert. Das Revolutionspersonal von einst hat nichts Heroisches an sich und auch nichts Dämonisches wie in so mancher Produktion über die RAF. So durchschnittlich sie ihr bürgerliches Nachleben führten, so normal waren sie als Aktivisten, selbst als sie beschlossen, zur Waffe zu greifen und gegen einen omnipotent erscheinenden Staat zu kämpfen. Ihr Irrtum widerlegt nicht das Ziel. Allein eine solche Erkenntnis ist es wert, sich diesen Film anzuschauen.

The Company You Keep. Die Akte Grant läuft ab 25. Juli im Kino

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin (FM)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

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