Wen kümmern die Regeln für den Menschenpark?

PATENT AUF MENSCHLICHE GENE Die Auseinandersetzung um das Münchener Patentamt hat die Debatte um biotechnologische Forschungsmöglichkeiten und ihre Kontrolle neu entfacht

Als Anfang der achtziger Jahre die Friedensbewegung gegen den Nato-Doppelbeschluss mobilisierte, war eines ihrer überzeugenden Argumente, dass einer der beiden Supermächte die nukleare Katastrophe »aus Versehen« auslösen könnte. Die Vorwarnsysteme waren damals bereits so ausgereizt, dass die Zeit zwischen Alarmschaltung und dem Befehl, die Marschflugkörper in Bewegung zu setzen, zu kurz erschien, um eine verantwortliche Entscheidung zu treffen. Das Schicksal Mitteleuropas, so das Argument, bliebe deshalb mehr oder weniger dem Zufall überlassen.

Den Zufall, also den pathogenen »Unfall« auszuschalten, versprechen uns heutzutage die Genetiker, wenn sie für ihre zukunftsweisenden Technologien, insbesondere die Keimbahnforschung, werben. Ob Aussehen, Intelligenz oder die Vermeidung krankhafter Abweichungen, alles scheint berechen- und manipulierbar zu sein. Wie ein Witz wirkt es da, dass wir, allen bestehenden gesetzlichen Beschränkungen und Richtlinien zum Trotz, nun offenbar zufällig in den Genuss dieses von Krankheit bereinigten »Menschenparks« kommen. Als ein »Versehen« deklarierte vergangene Woche das Europäische Patentamt (EPA) in München das am 8. Dezember des Vorjahres vergebene Patent EP 695 351 mit dem hübschen Titel »Isolation, Selektion und Züchtung von tierischen transgenen Stammzellen« an die Universität Edinburgh, die das Projekt exklusiv mit der australischen Firma Stem Cell Science (SCS) durchführt.

Es ist noch kein halbes Jahr her, dass Peter Sloterdijk die Republik in provokativer Weise vor die Frage stellte, wer künftig als Hirte den biotechnisch zugerichteten Menschenpark beaufsichtigen und nach welchen Regeln dieser verfasst sein soll. Ungeachtet seiner umstrittenen wissenschaftspolitischen Intentionen, rüttelten Sloterdijk und die Auseinandersetzung um seine Rede viele Zeitgenossen aus dem Dornröschenschlaf. Wie hoffnungslos anachronistisch seine philosophische Mahnung - wenn man sie denn als solche verstehen will - ist, zeigt der aktuelle Skandal beim Münchner Patentamt. Keine Bio-Piraten oder sonstigen Dunkelmänner sind es, die die biotechnologische Kettenreaktion auslösen, sondern etablierte Wissenschaftler, geschäftstüchtige Manager und pflichtbewusste Beamte, so jedenfalls die öffentliche Verlautbarung.

Dass das beantragte und genehmigte Patent auch die Entnahme von Zellen aus menschlichen Embryos, die beliebig verändert und gezüchtet werden können, beinhaltet, wurde erst durch Greenpeace bekannt, die das Forschungsfeld aufmerksam beobachtet und schon Ende August letzten Jahres - von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt - vor dem Europäischen Patentamt protestiert hatte. Als bislang einzigartigen »Tabubruch« wertete nicht nur die Umweltorganisation den Vorgang, sondern auch Politiker beeilten sich mit Stellungnahmen.

Für »einen verantwortlichen Umgang mit Biotechnologie« als »Schlüssel zur Bekämpfung von Hunger und Krankheit« plädierte CDU-Sprecher Peter Hintze, dem offenbar entgangen ist, dass die Life-Science-Industrie bestrebt ist, gerade das Saatgut durch Patente gewinnträchtig zu kontrollieren (vgl. Freitag 6/2000). Ein »gravierender Fehler«, kommentierte Bundesjustizministerin Hertha Däubler-Gmelin, und einen auf »Missstände« verweisenden »Skandal« sekundierte ihr ehemaliger Amtskollege von der FDP, Schmidt-Jortzig. Für die Einhaltung der in Deutschland geltenden engen Grenzen in der Fortpflanzungsmedizin will sich nun die aufgeschreckte Gesundheitsministerin Andrea Fischer stark machen und kündigte ihr Veto an. Überraschende Unterstützung fand sie dieses Mal bei einem ihrer erbittertsten Gegner in Sachen Gesundheitspolitik, dem Marburger Bund und dessen Vorsitzenden Ulrich Montgomery, der menschliche Gene ebenso wenig patentiert sehen will wie die Sonne: »Das ist so, als ob sich jemand den Sonnenschein patentieren lassen würde und von uns Gebühren für ein Sonnenbad verlangen würde.«

So weit, könnte man annehmen, wäre die »natürliche« Ordnung der Spezies wieder hergestellt. Der Verstoß gegen geltendes europäisches und deutsches Recht - einerseits die Richtlinie der EU zum Patentrecht, andererseits das deutsche Embryonenschutzgesetzes, das ausdrücklich die Forschung an der Keimbahn untersagt - ist so eklatant, dass eine politische »Missbilligung« geradezu herausgefordert war.

Doch ein Blick auf die Geschichte der EU-Patent-Richtlinie verweist auch darauf, wie einbruchgefährdet das politische Eis ist, auf dem die Skeptiker der Gentechnologie operieren. Bis in die neunziger Jahre hinein gab es überhaupt keine rechtliche Grundlage, was dazu führte, dass das Patentamt bereits 1981 den ersten Mikroorganismus patentierte und mit der sogenannten »Krebsmaus« 1992 das Patent für das erste Säugetier vergab. 1995 nutzte das Europäische Parlament seine neuen, aus dem Maastricht-Vertrag resultierenden Rechte und lehnte mit großer Mehrheit eine vom Ministerrat vorgelegte Richtlinie zum »Rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen« ab.

Das gleiche Parlament allerdings stimmte drei Jahre später, im Mai 1998, einer fast identischen Richtlinie zu. Vorangegangen war die nach Ansicht von Beobachtern in der Geschichte der EU bisher größte Lobby-Kampagne der Life-Science-Industrie, der es zeitweise gelang, Patientenorganisation vor ihren Karren zu spannen. Daraufhin legten die Niederlande und Italien Klage vor dem Europäischen Gerichtshof ein, unterstützt vom Votum des Europarates, das sich im September 1999 gegen Patente auf Leben aussprach.

Das Münchener Patentamt, das sich ausschließlich aus den Gebühren für die Patentverfahren finanziert und deshalb an zahlreichen Anmeldungen interessiert ist - eine Patenterteilung kostet durchschnittlich 60 000 Mark - reagierte sofort: Es erklärte bakterielle, tierische und menschliche Gene generell für patentierbar, soweit sie von einem Wissenschaftler »schöpferisch« entdeckt, gentechnisch beschrieben, analysiert und verändert, also »erfunden«, worden sind. Das ursprünglich für Erfindungen aus der unbelebten Natur geschaffene Patentrecht, das den Urheber schützen und ‚geistigen Diebstahl' ausschließen sollte, wird hier auf die belebte Natur übertragen, mit dem Effekt, dass der Patentinhaber automatisch Besitz- und Nutzungsrechte auf die natürlichen Nachkommen dieser Lebewesen - gleichgültig ob es sich nun um Saatgut, Krebsmäuse, geklonte Schafe oder irgendwann vielleicht einmal Menschen handelt - reklamieren kann. Ein gentechnisch veränderter Mensch wird damit in letzter Instanz auch wieder zum patentierbaren Produkt.

Kurz vor Abschluss des staatlich finanzierten Internationalen Humangenomprojekts HUGO, das seit zwei Jahrzehnten in systematischer Grundlagenforschung die über drei Milliarden menschlicher Bausteine kartiert, sollte die einhellige Empörung über den Galopp von Stem Cell Science und anderen privaten Biotechnologie-Unternehmen allerdings skeptisch betrachtet werden, denn es geht dabei auch um nationale Standortvorteile und Wissenschaftskonkurrenzen. Tatsächlich ist es so, dass sich Firmen wie SCS und andere wenig um Grundlagenforschung scheren und den staatlichen Forschungseinrichtungen den Rang ablaufen, die sich dadurch wiederum im Nachteil sehen.

William A. Haseltine, Leiter der Firma Human Genome Science (HGS), hat kürzlich behauptet, das Rennen um die menschlichen Gene sei bereits beendet, die Datenbanken seiner Firma erfassten bereits 80 Prozent aller Humangene. Nur ein kleiner Teil davon sei überhaupt interessant für die industrielle Verwertung, so zum Beispiel jenes Gen, für das Haseltine kürzlich das Patent erhalten hat, und das angeblich die Bauanleitung für die Eintrittspforte des Aids-Virus in menschliche Zellen darstellt. Seitdem ist der Börsenwert von HGS in die Höhe geschnellt; Aktien im Bereich der Biotechnologie gehören heutzutage zu den aussichtsreichsten Anlagewerten und ihr Kauf wird selbst in alternativen Zeitungen wie der taz empfohlen.

Auch Craig Venter, der »Mr. Genome« unter den Molekularbiologen und Chef des Institute for Genomic Research in Rockville, Maryland, scheut sich nicht, den ökonomischen Nutzen seiner Forschung hervorzuheben. »Es gibt nur ein paar Gene, die ein Patent lohnen«, erklärte er in einem Interview. Deshalb plädiere er dafür, »ein Gen, das für die Medizin wichtig ist, zur Entwicklung eines Impfstoffs oder einer Arznei« patentieren zu lassen. Auf diese Weise erhielte die Gesellschaft ihre Investitionen in die Wissenschaft zurück.

Gerade dies bezweifeln jene, die zwar den Alleingang des Münchener Patentamtes missbilligen, aber durchaus nicht das Genomprojekt an sich. Der Leiter des Instituts für Biochemie in Darmstadt, Professor Hans Günter Gassen, etwa lehnt das erteilte Patent ab, weil es die »Freiheit der Forschung« behindere und die Eigentumsrechte einzelner Unternehmen fördere. Gleichzeitig fordert er die Änderung des deutschen Embryonenschutzgesetzes, das seiner Ansicht nach der Wissenschaft den Weg blockiere. An der TU Darmstadt hatte sich schon vor zwei Jahren ein Kongress für die Freigabe der Keimbahnforschung stark gemacht. Die deutschen Wissenschaftler fürchten - übrigens ganz ähnlich wie in der Transplantationsforschung - durch die gesetzlichen Restriktionen ins Abseits zu geraten. Vor allem deshalb halten sich die deutschen Berater in den sogenannten Ethik-Kommissionen bedeckt, wenn sie um Stellungnahmen zur Embryonenforschung aufgefordert werden.

Im Falle des Patents EP 695 351 sind im übrigen auch die Verflechtungen der antragstellenden Firma mit anderen Biotech-Konzernen von Interesse. Die Firma SCS arbeitet vor allem an der Züchtung von menschlichen Stammzellen, die aus embryonalem Gewebe stammen. Zwischen SCS und der US-amerikanischen Firma BioTransplant, die unter anderem im Bereich der Xenotransplantation engagiert ist, bestehen enge Verbindungen. Dabei geht es um die Züchtung von transgenen Tierorganen, die vom Menschen nicht als solche erkannt und abgestoßen werden. Kooperationspartner von BioTransplant ist wiederum die schweizer Firma Novartis und ihre diversen Tochterunternehmen, unter anderem in Großbritannien. Novartis seinerseits ist derzeit einer der Hauptanbieter von Medikamenten wie Sandimmun und Neoral, die das körpereigene Immunsystem unterdrücken und eine Abstoßung von menschlichen oder tierischen Fremdorganen verhindern sollen.

Kritiker weisen deshalb darauf hin, dass Genpatentierung eben nicht dem Patientenwohl dienen, sondern ganz im Gegenteil die Entwicklung von alternativen Therapien und Medikamenten verhindern, weil sie lizenzpflichtig sind und von den Patenthaltern blockiert werden könnten; Patienteninteressengruppen sehen die Gefahr, in Abhängigkeit einer einzigen Firma zu geraten.

Die Europäische Kommission hat für den Sommer eine Direktiv angekündigt, die Fälle wie die jüngste Patentvergabe verhindern soll. In der Bundesrepublik wird es ab März - entgegen dem Beschluss vom September 1999 - wieder eine Enquête-Kommission zur Biomedizin geben, wenn in deren Arbeit auch Themen wie die umstrittene, von der Bundesrepublik nicht ratifizierte europäische Bioethik-Konvention mit ihren weitreichenden Forschungsmöglichkeiten am Menschen ausgeblendet bleiben sollen. Gesundheitsministerin Fischer plant, noch in diesem Jahr eine sogenanntes Fortpflanzungsmedizingesetz vorzulegen.

Anlässe zur öffentlichen Diskussion gibt es zuhauf; doch was nützen die schönsten »Regeln für den Menschenpark«, wenn sich am Ende keiner daran hält und gemacht wird, was Gewinn verspricht? Die Annahme, dass das Machbare durch gesetzliche Restriktionen verhindert wird, ist naiv, sagen nicht nur die Befürworter der Biotechnologie, denn was machbar ist, wird nachgefragt. Eben hier liegt der kritische Punkt und auch die Chance.

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin (FM)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

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